Bankenaufsicht

Zins­änderungs­risiken treiben die EZB um

Nachdem EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine Leitzinserhöhung noch im laufenden Jahr nicht mehr ausgeschlossen hat, warnt die europäische Bankenaufsicht die Kreditwirtschaft vor Turbulenzen am Ende der Tiefzinsphase.

Zins­änderungs­risiken treiben die EZB um

bn Frankfurt

Die Gefahr von Turbulenzen am Ende der Tiefzinsphase treibt die Bankenaufseher Eurolands um, wie Andrea Enria, Chair des Single Supervisory Mechanism (SSM), am Donnerstag erklärt hat. So könne der Ausgang aus dem Niedrigzinsumfeld charakterisiert sein durch plötzliche Korrekturen von Assetpreisen und Spreads, einen kostspieligen Bilanzabbau sowie unerwartete Kanäle einer direkten und indirekten Ansteckung, sagte er bei Präsentation der Ergebnisse der jährlichen aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung (Supervisory Review and Evaluation Process/SREP) der Großbanken Eurolands. Das Risiko plötzlich unerwartet deutlich anziehender Zinsen oder Spreads sei gerade wegen der von manchen Banken in den vergangenen Jahren und auch in der Pandemie eingesetzten Strategie auf der Suche nach Rendite ein Grund zur Sorge, erläuterte er und hob namentlich das Leveraged-Finance-Geschäft hervor.

Enrias Déjà-vu

Vor den Risiken gewagter Hebelfinanzierungen hatte der SSM-Chef bereits im vergangenen Sommer gewarnt; damals beklagte er, die Underwriting-Standards der im Markt aktivsten Banken seien, nachdem die EZB aufsichtliche Erwartungen formuliert habe, weiter gesunken. Vor dem Hintergrund, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde seit der vergangenen Woche eine Zinswende schon in diesem Jahr nicht mehr ausschließen will, hat die Situation freilich an Brisanz gewonnen. Im Schlussquartal 2020 wiesen mehr als die Hälfte der Leveraged Loans der Platzhirsche im Markt einen Hebel von mehr als sechs sowie eine Covenant-lite- oder No-Covenant-Struktur auf, wie Enria im Sommer gerügt hatte. Gestern hieß es, die Ausreichungen an strukturell risikoreichere Gegenparteien hätten stufenweise zugenommen. Zugleich seien Grenzen für den Leverage angehoben und Bestimmungen zum Schutz der Investoren sukzessive reduziert oder ignoriert worden.

„Dies läuft unseren öffentlich gemachten aufsichtlichen Erwartungen entgegen“, stellte Enria fest. Die Aufsicht bereite daher einen Brief an Banken vor, die im Leveraged-Lending-Markt besonders stark aktiv seien, um ihre Erwartungen klarzustellen. Zudem werde man „quantitative Anforderungen“ im diesjährigen SREP erwägen, sollten Banken diese Erwartungen nicht erfüllen, spielte Enria auf Eigenkapitalzuschläge an.

Unterdessen relativierte Enria in einem Pressegespräch die mit Russland-Engagements für Europas Banken verbundenen Gefahren. Die direkten Exposures seien kein großer Grund zur Sorge, erklärt er, eher schon die Folgen potenzieller Weiterungen des Ukraine-Konflikts.

Neben den Zins- und Kreditrisiken hat sich im SREP 2021 die interne Governance als Hauptgebiet herausgeschält, in welchem die Aufseher Großbanken zu Nachbesserungen drängten. Aufsichtliche Feststellungen betrafen demnach oftmals Schwächen in den Steuerungsfähigkeiten und Governance-Arrangements etwa mit Blick auf die Ri­sikokontrolle. Diese könnten die Risikosteuerung­ ebenso beeinträchtigen wie Compliance-Funktionen, IT-Transformationspläne­ sowie die Lösung von Datenproblemen, bemängeln die Aufseher.

EZB dringt auf Diversität

Viele Banken müssten zudem die Zusammensetzung und Eignung ihrer Management-Gremien verbessern, da sie Diversität mit Blick auf Geschlecht und berufliche Herkunft nach wie vor zu wenig Bedeutung beimäßen, hieß es. Die EZB verlange daher Diversitätsprogramme und geschlechtsspezifische Ziele.

Derweil zeige die Analyse der Geschäftsmodelle, dass die meisten Banken nach wie vor mit ihren Renditen hinter den Kapitalkosten zurückblieben. Auch wenn sich die Ertragskraft 2021 erholt habe, so bleibe sie insgesamt strukturell niedrig. Sorgen bereiteten dabei in erster Linie bereits vor der Pandemie virulente Probleme wie unbefriedigende Strategiepläne oder Mängel bei deren Umsetzung.

Entsprechende Bedenken der Aufseher haben Folgen: So ist der Anteil jener Institute, deren Geschäftsmodell die EZB auf einer von 1 bis 4 reichenden Skala mit 1 oder 2 bewertet, seit 2018 um 11 Prozentpunkte auf 44% gefallen, die Zahl der in Kategorie 3 oder 4 verorteten Häuser hingegen von 45% auf 56% geklettert (vgl. BZ am 25. Januar).

Nachdem eine deutliche Entlastung in der Risikovorsorge die Rendite der Banken in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 in die Höhe getrieben hatte, signalisieren die im Zuge des SREP individuell ermittelten Kapitalvorgaben indes Stabilität. Im Durchschnitt zogen sie samt der jeweiligen Kapitalempfehlung 2021 gegenüber 2019 – im ersten Pandemiejahr war eine Rekalibrierung ausgeblieben – um 0,2 Punkte auf 15,1% an und die Anforderungen an die harte Kernkapitalquote um 10 Basispunkte auf 10,6%. Der Anstieg geht auf einen Zuschlag für unterbliebene Risikovorsorge für notleidende Forderungen zurück.

Wie die EZB zudem mitteilte, sollen die Banken ab Januar 2023 wieder oberhalb ihrer jeweiligen Kapitalempfehlung operieren. Angesichts der Corona-Pandemie hatte sie die Kapitalpuffer bis Ende 2022 frei­gegeben.

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