Zinserhöhung macht noch keinen Bankenfrühling
Europas Banken erleben derzeit einen regelrechten Profitabilitätsschub. Auch das Geschäft der Banken hierzulande dürfte in diesem Jahr so gut gewesen sein, wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Doch die Entwicklung täuscht über das hohe Risikopotenzial im aktuellen Marktumfeld hinweg. Die Hausaufgaben für die Branche bleiben und werden wichtiger denn je.
Haupttreiber des aktuellen Ertragsbooms im europäischen Banking ist die Zinswende, die sich insbesondere ab der zweiten Jahreshälfte in den Bilanzen niederschlägt, wie die jüngsten Zahlen für das dritte Quartal zeigen. So legte etwa der Zinsüberschuss bei der Deutschen Bank gegenüber dem Vorjahresquartal um 32% auf rund 3,7 Mrd. Euro zu, bei der Commerzbank gar um mehr als 44% auf rund 1,6 Mrd. Euro.
Ertragsboom der Banken
Eine nachhaltige konjunkturelle Belebung im Nachgang der Pandemie oder radikale Neuaufstellungen der Finanzinstitute im Markt spielen bei diesem Ertragsboom der europäischen Banken eine eher nachgelagerte Rolle. Viel mehr ist es die Zinserhöhung, die Banken in diesem Fall in die Karten spielt. Dabei hatte, was ein Ende der starken Pandemieauswirkungen und den wirtschaftlichen Aufwind anbetrifft, noch zu Beginn des Jahres vieles genau darauf hingedeutet. Zwischen dem Szenario und heute liegen jedoch bekanntlich Welten. Im Licht der Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, anhaltend gestörten Lieferketten und der letztlich stark anziehenden Inflation blieb der EZB kaum etwas übrig, als die Leitzinsen signifikant anzupassen. Der aktuelle Effekt auf die Bankbilanzen ist das Ergebnis. Er dürfte sich aber als alles andere als tragfähig erweisen, schließlich deutet sich eine globale Rezession an, die letztlich auch massiv auf die Geschäftsentwicklung und die Risiken in den Büchern durchschlagen wird.
Banken sollten die glückliche Fügung nutzen, dass sie nach Jahren des Ad-hoc-Parierens von Sondersituationen im Krisenmodus nun ein wenig Raum bekommen für die Strategie. Die temporäre Erholung sowie die sich nun bietenden Cashflows sollten ganz bewusst in Neuaufstellung investiert werden. Oberste Priorität dürfte dabei weiter die Digitalisierung des Geschäftsmodells und der zugrundeliegenden Prozesse und Strukturen haben.
Selbstverständlich waren die Finanzinstitute in den vergangenen Jahren nicht untätig. Sie haben an ihrer Kostenstruktur gearbeitet und zum Beispiel die Filialpräsenz in der Fläche zurückgebaut. Das Banking-Frontend zum Kunden hin, sprich die „Benutzeroberfläche“, wurde modernisiert und digital ertüchtigt.
Leider erfolgte Letzteres nicht immer konsequent, was schließlich noch immer zu Medienbrüchen, Redundanzen, einem anhaltend hohen Verwaltungsaufwand und einer limitierten Kundenerfahrung führt. Zu oft leiten Digital-Banking-Menüs zu Formularen, die dann doch wieder manuell ausgefüllt und per Post an die Bank gehen müssen. In einigen Fällen vergehen nicht Minuten, sondern Tage, bis ein Onlineauftrag umgesetzt wird. Andere Dienste sind über digitale Kanäle überhaupt nicht verfügbar.
Basics sind wichtig
Diese Retail-Banking-Basics im Sinne einer signifikanten Verbesserung der Kundenerfahrung bei Finanzdienstleistungen sind wichtig. Gleichwohl die eigentliche Kür darin liegt, Bankdienstleistungen in ihrer Summe relevanter für den Kundenalltag werden zu lassen. Langfristig werden viele Banken ihre gesamten Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen müssen.
Der Siegeszug von Buy-now-pay-later-Angeboten ist nämlich nur einer von vielen Vorboten, die zeigen, dass Banking- und Finanzbausteine längst nicht mehr mit Finanzinstituten verknüpft werden müssen. Schon heute sind viele Finanzdienstleistungen Commodity. Künftig verschwinden sie ganz aus dem Blickfeld und werden unsichtbarer Teil von Wertschöpfungsketten – ob nun die Ratenzahlungsoption beim Onlinehändler, die Finanzierung oder das Leasing beim Autokauf oder Depotbankservices bei Neobrokern.
In einer Welt personalisierter End-2-End-Services, der Plattformökonomie, brauchen Banken neue Wege, um eine neue Kundennähe aufzubauen und überhaupt noch als relevanter Anbieter wahrgenommen zu werden. Für die Finanzinstitute kommen in diesem Szenario zwei grundlegende Positionierungsoptionen in Frage: 1) die des White-Label-Anbieters, der künftig Bankbausteine in die Services Dritter integriert oder 2) die des Orchestrators relevanter Dienste verschiedener Anbieter unter eigener Flagge.
Beziehungsmeisterschaft
Die erstgenannte Option setzt einen massiven Automatisierungsschub voraus, um Angebote weit kosteneffizienter zu produzieren als heute. Das könnte für die meisten Institute (vor allem im Retail-Geschäft) extrem schwer werden. Nicht ohne Grund kamen beispielsweise erfolgreiche Banking-as-a-Service-Konzepte in der Vergangenheit nicht aus dem etablierten Finanzmarktsegment, sondern aus dem Lager der Challenger. Option zwei setzt wiederum eine starke Kundenschnittstelle und den Aufbau von Expertise im Partnering mit Drittanbietern von Finanzprodukten voraus, um tatsächlich von der Vertriebsmarge zu profitieren. Gerade die Zusammenarbeit mit Fintechs kann hier sinnvoll sein, wie beispielsweise die niederländische ING unter Beweis stellt.
Außerdem braucht es natürlich neue und relevante Beratungsansätze – ob nun Financial Health für Privatkunden oder die Unterstützung von Unternehmen bei der Nachhaltigkeitstransformation, um zum Magneten für Kunden zu werden. Auch kombinierte Ansätze aus Zulieferung und Orchestrierung sind sicherlich denkbar. Wichtig wird aber sein, dass die mit den Geschäftsmodellen verbundenen Aufgaben nicht halbherzig angegangen werden und dass sich Banken grundsätzlich für das Zukunftsszenario positionieren. Das geschah bislang, wenn überhaupt, nur sehr zögerlich.
Es war wahrscheinlich selten dringender als heute, die Weichen zu stellen – nicht nur im ganz eigenen Interesse der Branche, sondern unserer gesamten Volkswirtschaft. Zur Bewältigung der zentralen Zukunftsherausforderungen wie der digitalen Transformation und des nachhaltigen Umbaus unserer Wirtschaft braucht es einerseits starke Finanzierungspartner. Viele der künftigen Geschäftsmodell-Innovationen der Unternehmen setzen aber andererseits wettbewerbsfähige und nicht minder innovative Banking-Services voraus.
Weg vom Produktverkauf
Wenn Unternehmen beispielsweise künftig vom klassischen Produktverkauf in Pay-per-Use- oder Asset-as-a-Service-Modelle wechseln wollen, dann müssen sich Banken mit ihren Finanzierungslösungen auch grundlegend anpassen und ihre Beziehung zu ihren Kunden neu denken. Gleiches gilt für die enge Begleitung der ESG-Initiativen unserer Wirtschaft, beispielsweise beim Aufbau nachhaltiger Geschäftsmodelle, die eine ganz neue Banking-Expertise erfordert. Unsere Finanzinstitute müssen der neuen Rolle so schnell wie möglich gerecht werden.