„Zwangsberatung würde eigenständige Anleger verprellen“
Stefan Reccius.
Herr Bergmann, warum macht Ihnen das drohende Provisionsverbot solche Sorgen?
Wir begrüßen es, wenn die Europäische Union private Wertpapieranlagen voranbringt. Die EU-Kapitalmarktunion war und ist ein wichtiges Projekt. Die Retail-Investment-Strategie bietet hier die Chance, Anlegerinnen und Anleger mit Feinjustierungen bei Transparenz und Produktinformationen sowie mit einem vielfältigen Angebot zu überzeugen. Beim Provisionsverbot zeigen Erfahrungen, dass letztlich weniger Beratung, weniger Vorsorge und weniger Wettbewerb das Ergebnis ist. Solch ein Verbot führt in die falsche Richtung. Diesen Fehler sollte die EU als Ganzes nicht machen.
Sie spielen auf Großbritannien und die Niederlande ein. Dort hat die Einführung eines Provisionsverbots andererseits dazu geführt, dass Fonds deutlich günstiger geworden sind. Ist ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis nicht ein überzeugendes Argument?
Faktisch gibt es in diesen Ländern für Kleinanleger kaum Beratung. Honorarberatung wird in Großbritannien vielfach erst ab 50000 Pfund, manchmal erst ab 1 Mill. Pfund angeboten. Bei den Kosten zählt die Gesamtbetrachtung. Im Vergleich zu den typischen Sätzen in der Honorarberatung können Wertpapieranlagen mit provisionsbasierter Beratung in Deutschland vergleichsweise günstig sein. Das ist besonders für Menschen mit kleinen Anlagebeträgen entscheidend.
Gehen Sie davon aus, dass das Argument der Beratungslücke ziehen wird, um ein Komplettverbot von Provisionen in der EU abzuwenden?
Das Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung hat sich bewährt und sollte beibehalten werden. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, so viele Kleinanleger faktisch von Beratung auszugrenzen. Anlegerinnen und Anleger sollten die Wahl haben.
Eine mildere Lösung wäre ein Provisionsdeckel nach dem Vorbild der Lebensversicherungen in Deutschland. Ist das nicht ein vernünftiger Mittelweg?
Ich wäre vorsichtig bei Einschnitten in Preise. Wir haben für strukturierte Wertpapiere eine wissenschaftliche Studie beauftragt. Über alle strukturierten Anlageprodukte hinweg liegen die Gesamtkosten in Deutschland demnach bei 0,8% der Anlagesumme pro Jahr. Darin sind auch Zuwendungen beziehungsweise Vertriebsprovisionen enthalten. Die Kosten sind transparent und zugleich verhältnismäßig niedrig. Das liegt nicht zuletzt am starken Wettbewerb auf allen Ebenen.
Wenn dem so ist, müssen Sie einen Provisionsdeckel nicht fürchten: Der führt ja nur dazu, dass die schwarzen Schafe mit überteuerten Produkte aus dem Markt fliegen, während die meisten nicht viel zu befürchten haben.
Ich bevorzuge den marktwirtschaftlichen Ansatz. Der Wettbewerb funktioniert, und der Markt in Deutschland ist besonders wettbewerbsintensiv.
Im Bereich der Rückvergütungen bei Online-Brokern, dem sogenannten Payment for Orderflow (PFOF), läuft es auf ein Verbot hinaus. Ist das eine Art Vorläufer eines flächendeckenden Provisionsverbots?
Die Diskussion über Payment for Orderflow wurde viel zu überstürzt geführt. Fundierte Erkenntnisse zu den Auswirkungen eines Verbots auf die Kundenentgelte, auf die Wettbewerbssituation und auf die Ausführungsqualität fehlen schlicht und einfach. Die EU-Kommission hat unter dem Eindruck der Geschehnisse in den USA, wo Order an Hochfrequenzhändler weitergereicht wurden, ein Verbot vorgeschlagen. Dabei hat die Finanzaufsicht BaFin festgestellt, dass für Kundenaufträge mit kleineren Volumina die Ausführung über PFOF gewährende Handelsplätze überwiegend vorteilhaft ist. Ich sehe daher mit großer Sorge, dass es im EU-Parlament eine Mehrheit für ein Verbot von Payment for Orderflow gibt.
Die Diskussion über die Kleinanlegerstrategie wird stark verengt auf das Thema Provisionsverbot, dabei steckt da viel mehr drin. Was macht Ihnen sonst noch Sorgen?
Die Online-Broker, die im DDV versammelt sind, führen mittlerweile mehr als 10 Millionen Depots für Selbstentscheider. Diese Anlegerinnen und Anleger haben die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, wollen schnell und günstig ihre Order abgeben und haben sich bewusst gegen eine Beratung entschieden. In den Konsultationen der EU-Kommission gibt es Überlegungen, quasi eine Zwangsberatung im beratungsfreien Geschäft einzuführen. Solche Überlegungen halten wir nicht für zielführend. Man würde damit aktive, eigenständige Anleger verprellen.
Mit der Kleinanlegerstrategie will die EU-Kommission nicht nur den Verbraucherschutz stärken, sondern auch mehr Anleger für den Kapitalmarkt begeistern. Fürchten Sie, dass dieses Ziel auf der Strecke bleibt?
In der aktuellen Lage mit einer hohen Inflationsrate und der Sorge um eine wachsende Rentenlücke stellt sich für immer mehr Menschen die Frage, wie sie Vermögen aufbauen und sichern können. Das bedeutet, wir brauchen gute Rahmenbedingungen, damit mehr Menschen in die Kapitalmärkte gehen können. Das schaffen wir am besten mit einem vielfältigen Angebot und einem fairen Wettbewerb. Es muss darum gehen, Anlegerinnen und Anleger richtig zu schützen, ohne das Wertpapiergeschäft bürokratisch zu überfrachten oder gar durch Verbote zu beeinträchtigen.
Das Interview führte