LeitartikelHauptversammlungen

ESG in konzertierter Aktion

Die Politisierung der Hauptversammlung unterstreicht die Bedeutung von ESG-Kompetenz speziell in Aufsichtsräten. Auch regulatorisch zieht sich die Schlinge zu.

ESG in konzertierter Aktion

Hauptversammlung

ESG in konzertierter Aktion

Von Sabine Wadewitz

Die Politisierung der Hauptversammlung unterstreicht die Bedeutung von ESG-Kompetenz in Aufsichtsräten.

Aktionen von Klimaschutz- und Menschenrechtsgruppen gehörten für viele große Unternehmen schon in der Vergangenheit zum Alltag in und um die Hauptversammlung (HV). Organisationen wie der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre werden seit Jahrzehnten in schöner Regelmäßigkeit bei Chemie- und Energiekonzernen sowie Banken mit Gegenanträgen vorstellig, um ökologische und gesellschaftspolitische Themen zu adressieren und Teile des Bilanzgewinns in alternative Projekte umzulenken und/oder Management und Aufsichtsrat über den Entlastungsbeschluss die gelbe Karte zu zeigen.

Vielfältige Formen des Protests

Opposition artikulierte sich auch früher nicht nur im Saal, sondern ebenso im Umfeld von Aktionärstreffen. Zwar war es noch nicht üblich, sich auf der Straße festzukleben, doch der Chemiekonzern BASF etwa war schon mal gezwungen, vor dem Congress Center Rosengarten in Mannheim einige Tonnen Kartoffeln abzuräumen, die Gentechnik-Gegner im Protest gegen die einst geplante Genkartoffel Amflora vor die Tür gekippt hatten. Eher von Parteitagen oder politischen Demonstrationen bekannt waren dagegen Tortenwürfe und Nacktproteste, aber auch darauf haben sich Aufsichtsräte und Aktionäre heutzutage einzustellen, wie man in der laufenden Saison im Fall Volkswagen erleben musste. Das könnte bei Organvertretern den Wunsch nach dem virtuellen HV-Format festigen, auch wenn die Kuchenattacke bei VW ihr Ziel verfehlte.

Regulierung sorgt für Schub

Mit der Nachhaltigkeitsregulierung hat das Thema ESG in der HV generell mehr Schub bekommen. Eine größere Zahl dem Gemeinwohl verpflichteter NGOs ist in der Sache unterwegs. Auch Fondsgesellschaften blicken auf ein immer breiteres Themenspektrum und fordern zunehmend ESG-Ziele ein – mit starkem Fokus auch auf Governance. Dabei gibt es durchaus Annäherungen zwischen beiden Gruppen. So hat etwa Greenpeace den Wirtschafts- und Finanzexperten Mauricio Vargas an Bord geholt, der vor seiner Tätigkeit für die Umweltschutzorganisation unter anderem für Union Investment gearbeitet hat. Er nimmt die Klimaversprechen deutscher Fondsgesellschaften unter die Lupe und reicht fundierte Analysen an institutionelle Anleger weiter.

ESG-Kompetenz gesucht

Neu auf den ESG-Zug aufgesprungen sind aktivistische Aktionäre, die über eher kurzfristige Investments den Wert von Unternehmen und ihren eigenen Gewinn steigern wollen. Sie machen sich die Hauptversammlung zur Bühne und nutzen vermehrt ESG-Themen als Hebel, um Druck auszuüben und Aufsichtsräte auszutauschen oder Strukturmaßnahmen zu verlangen. Darauf müssen Unternehmen vorbereitet sein.

Die Politisierung der Hauptversammlung unterstreicht die Bedeutung von ESG-Kompetenz in den Unternehmensgremien und speziell in Aufsichtsräten, die ja als Vertreter der Aktionäre eingesetzt sind. Hier ist leider immer noch ein Auseinanderfallen von Außenwahrnehmung und Selbsteinschätzung zu erkennen. Während Aufsichtsräte sich in Umfragen selbst ein Kompetenzprofil mit hoher ESG-Expertise bescheinigen, kritisieren Investorenvertreter, dass Nachhaltigkeit in den Kontrollgremien unterschätzt werde und das notwendige Know-how vielerorts schlichtweg nicht vorhanden sei.

Vorstände und Aufsichtsräte in der Haftung

Aufsichtsräte und Vorstände sind gut beraten, dem Thema ESG in seinem gesamten Spektrum hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Es wird in der Hauptversammlung eine zunehmende Rolle spielen: in Beschlüssen zur Vorstandsvergütung bis zum Say-on-Climate, einem in Großbritannien und Frankreich schon verbreiteten Aktionärsvotum über die Klimastrategie von Unternehmen. Auch regulatorisch zieht sich die Schlinge zu. Mit dem geplanten EU-Lieferkettengesetz, der Corporate Sustainability Due Diligence Directive, werden die Sorgfaltspflichten signifikant verschärft. Brisant ist, dass hier erstmals gesetzlich ein konkreter Bezug zwischen ESG und den Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat hergestellt wird und die zivilrechtliche Haftung der Organvertreter vorgesehen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das den Weg ins deutsche Aktienrecht finden wird.