Im Interview:Stuart Dunbar, Baillie Gifford

ESG neu definiert: "Transformation, nicht Exklusion"

Die Selbstverpflichtung, überhaupt nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren, klingt gut. Aber sie löst das Problem nicht, sagt Stuart Dunbar, Partner bei Baillie Gifford, im Interview der Börsen-Zeitung. Besser wäre es, Anlageformen aufzuwerten, die auf Veränderungen zum Positiven hinzielen.

ESG neu definiert: "Transformation, nicht Exklusion"

IM INTERVIEW: STUART DUNBAR

"Es geht um Transformation, nicht Exklusion"

Der Partner des schottischen Vermögensverwalters
Baillie Gifford über ESG, Greenwashing und Boykottaufrufe

hip London
Von Andreas Hippin, London

Die Selbstverpflichtung, überhaupt nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren, klingt gut. Aber sie löst das Problem nicht, sagt Stuart Dunbar, Partner bei Baillie Gifford. Besser wäre es, Anlageformen aufzuwerten, die auf Veränderungen zum Positiven hinzielen.

Herr Dunbar, was wird aus ESG?

Ich denke, dass es sich letztlich zu etwas Nützlichem entwickeln wird, was es im Moment nicht ist. Es gibt eine Menge Missverständnisse darüber, was ESG ist. Aus meiner Sicht ist es im Moment eine wenig hilfreiche Abkürzung. Sie bringt bestimmte Aspekte, die wir beim Investieren berücksichtigen sollen, zusammen. Folglich ist auch die Regulierung in diesem Bereich gut gemeint. Aber sie ist in keinster Weise präskriptiv.

Es gibt eine Menge Missverständnisse darüber, was ESG ist. Aus meiner Sicht ist es im Moment eine wenig hilfreiche Abkürzung.

Stuart Dunbar

Wie meinen Sie das?

Die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) etwa schreibt keinem genau vor, was er zu tun hat. Man muss nur transparent machen, was man tut. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen. Es ist eigentlich sogar ziemlich schlau von der Aufsicht.

Warum?

Wenn wir wirklich mehr auf die ökologischen und sozialen Aspekte und Folgen unserer Investments achten sollen, ist das nur sehr schwer in Gesetze zu gießen. Was die Regulierer aus meiner Sicht versuchen, ist Transparenz zu schaffen, die Druck auf die Kapitalflüsse ausübt. Die Investmentbranche würde in der Form darauf reagieren, dass sie kein Geld in Unternehmen steckt, die für sozial oder ökologisch verantwortungslos gehalten werden. So weit die Theorie.

Und was ist daran das Problem?

Die Schwierigkeit besteht darin, dass es nicht wirklich funktioniert. Es ist sehr gut gemeint, aber es wird immer irgendeinen Käufer für die Assets geben, die als inakzeptabel gelten. Das Problem lässt sich auf diese Weise also nicht lösen.

Was ist also gut an ESG?

Wenn ich sage, dass ESG zu etwas Nützlichem werden kann, meine ich vor allem, dass mehr Investoren sich aktiv für Verbesserungen bei den Unternehmen einsetzen. Wir setzen uns mit den Unternehmen, in die wir investieren, auseinander und versuchen zu verstehen, wo aus ihrer Sicht die negativen Auswirkungen ihres Geschäfts liegen. Im Grunde gibt es bei allen Firmen negative Auswirkungen, denn fast alle nutzen beispielsweise irgendwo Energie, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Es gibt zahllose weitere Beispiele. Ein viel größerer Fokus auf den Weg hin zu Verbesserungen ist nötig. Der Ausgangspunkt ist, dass wir als Investoren soziale und ökologische Gesichtspunkte viel stärker berücksichtigen müssen. Und das ist keine Ideologie.

Selbst wenn es einem nur um die Rendite geht, kann man nicht ignorieren, dass Nachhaltigkeitsfragen eine immer zentralere Rolle für den Erfolg von Unternehmen spielen.

Stuart Dunbar

Sondern?

Selbst wenn es einem nur um die Rendite geht, kann man nicht ignorieren, dass Nachhaltigkeitsfragen eine immer zentralere Rolle für den Erfolg von Unternehmen spielen. Auch wenn ich kein Interesse an der Umwelt oder sozialer Fairness hätte, müssten wir stärker darüber nachdenken, wie solche Dinge dem Ruf einzelner Firmen schaden oder aufsichtsrechtlich problematisch für sie werden könnten. Die gesamte Branche hat sich hier durchaus bewegt. Sie hat sich also durch ESG verbessert, allerdings nicht ganz in der Form, wie sich die Leute das denken.

In welcher Hinsicht dann?

ESG zwingt die Branche, darüber nachzudenken, welche Folgen die Geschäftstätigkeit der Unternehmen hat, in die sie investiert. Und das auf eine Art und Weise, wie sie das immer schon hätte tun sollen. Wenn man eine quantitative Anlagestrategie betreibt, die auf Basis des 200-Tage-Durchschnitts kauft oder verkauft, interessiert einen nicht einmal, worin man investiert. Das ist ein Totalausfall in Sachen Stewardship. Durch ESG und die entsprechende Regulierung hat sich unsere Branche wieder stärker auf Stewardship und einen Stakeholder-Ansatz besonnen, der nicht nur die Anliegen von Aktionären berücksichtigt.  

Wie ist das denn bei Baillie Gifford?

Wir sind gut darin, Unternehmen bei ihrer Transformation zu begleiten, weil wir uns von Anfang an bei vielen Firmen stark engagiert haben. Aber auch wir mussten nachlegen, uns immer weiterentwickeln. Ich glaube, dass die Branche wegen ESG besser geworden ist, aber „E“ und „S“ geht sie nicht besonders effizient an.

Und die Regulierung?

Es war interessant zu verfolgen, wie sich die Regulierung entwickelt. Die SFDR kam, und die Unternehmen hatten erst einmal keine Ahnung, was genau von ihnen erwartet wurde oder wie hoch die Hürden für Artikel 9-Fonds liegen. Vieles war unklar. Doch das Kernproblem ist, dass die Regulierung den Prozess des Wandels ausreichend erfasst.

Was meinen Sie damit?

Greenwashing sieht doch so aus: Ich gebe Ihnen das Gefühl, dass Sie die Welt retten, weil Sie in meinen „Low Carbon“-Fonds investieren. Aber alles, was ich dabei mache, ist, in eine Auswahl von Aktiengesellschaften mit niedriger CO2-Intensität zu investieren. Ich kann Ihnen ein Portfolio zusammenstellen, dessen CO2-Fußabdruck lediglich 10% des breiten Marktes entspricht. Aber auf diese Weise tue ich rein gar nichts, um die Treibhausgasemissionen zu senken.  

Dabei brauchen wir weiterhin Zement und all diese Dinge.

Wenn man sein Geld in einen Fonds steckt, der Gutes tun will, ist der wichtigere Teil, wie man durch Investitionen in Unternehmen Veränderungen erreicht. Die irische Baustofffirma CRH gibt zum Beispiel eine Menge Geld dafür aus, grünere Formen von Beton zu entwickeln. Da geht es um eine energieeffizientere Produktion mit niedrigerem CO2-Ausstoß und einen stärkeren, aber leichteren Beton. Solche Innovationen sind für wirksamen Klimaschutz absolut unerlässlich. Wir investieren also in die Firma und ermutigen sie, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Das tun wir nicht, um die Welt zu retten, sondern weil wir glauben, dass es wirtschaftlich vernünftig ist. Hinzu kommen die steigenden regulatorischen Kosten für CO2-Emissionen, etwa durch den Emissionshandel: Firmen, die weniger für ihren CO2-Ausstoß bezahlen müssen, werden die erfolgreichsten Unternehmen sein. Das ist nur ein Beispiel. Aber die Leute müssen diesen Prozess verstehen. Auf dieser Grundlage lassen sich übrigens auch Investitionen in bestimmte Ölgesellschaften rechtfertigen, die es mit dem Wandel ernst meinen. Die meisten versuchen allerdings leider nicht ernsthaft, ihr Geschäft zu dekarbonisieren, und tun einfach nur so.

Ein paar Ölfirmen tun auch gar nicht mehr so.

Richtig. Was zählt, sind immer die Details. Ich kann Ihnen zum Beispiel sagen, wo das, was die Ölwirtschaft geschaffen hat, sehr nützlich für die grüne Transformation sein kann. Schauen Sie sich den Wasserstoffbereich an. Es ist wahrscheinlich, dass grüner Wasserstoff Teil der Energiewende sein wird. Damit lassen sich Flugzeuge und große Fahrzeuge sinnvoll betreiben. Die Infrastruktur für die Verteilung von grünem Wasserstoff wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit aus bestehender Infrastruktur hervorgehen, die aktuell den Öl- und Gasgesellschaften gehört. Ein anderes Beispiel ist Climeworks. Wir haben zu einem sehr frühen Stadium in diese Firma investiert, die Anlagen baut, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Im Moment ist das furchtbar unwirtschaftlich. Aber wenn sie auf eine bestimmte Größe heranwachsen, wird sich die Frage stellen, wo das abgeschiedene CO2 hinsoll. Und am Ende werden wir es dahin zurückbringen, wo das Öl hergekommen ist. Dafür brauchen wir die bestehende Infrastruktur der Ölgesellschaften. Das sind sehr komplexe Fragen, über die einige Menschen nicht wirklich nachdenken wollen.

Vor kurzem sind Sie selbst ins Visier der Klimaaktivisten geraten.

Wir sind vor kurzem in unserer Rolle als Sponsor des Edinburgh International Book Festival kritisiert worden. Aktivisten störten sich daran, dass wir einen geringfügigen Betrag in Unternehmen investiert haben, die im Geschäft mit fossilen Brennstoffen tätig sind. Leute wollten das Festival deswegen boykottieren. Dabei stehen wir ihrem grundsätzlichen Anliegen – Klimaschutz – mit Sympathie gegenüber. Wir glauben eben nur nicht, dass alles gut wird, wenn alle aufhören, in Firmen zu investieren, die mit fossilen Brennstoffen zu tun haben. Es gibt gute Argumente, dass manche dieser Unternehmen zu dem erwünschten Wandel zu einer grüneren Wirtschaft entscheidend beitragen können.

Hatten Sie Kontakt zu den Aktivisten?

Ich habe mit einer Autorin gesprochen, die einen Brief an uns unterschrieben hat. Zunächst dachte ich, dass ich sie nicht besonders mögen würde, aber dann fand ich sie doch sehr sympathisch. Sie hat mir gesagt, dass ihr klar sei, dass man nicht einfach aufhören kann, in fossile Brennstoffe zu investieren. Das verlange man auch gar nicht. Man wolle vielmehr, dass Menschen Führungsrollen dabei übernehmen, Veränderungen durchzusetzen. Das ist ein nachvollziehbares Anliegen.

Was bedeutet das für Baillie Gifford?

Für uns besteht eine große Herausforderung darin, dass nicht alle unsere Kunden der gleichen Meinung darüber sind. Wir haben also ganz unterschiedliche Ansichten zu berücksichtigen und treffen am Ende Entscheidungen, von denen wir überzeugt sind, dass sie langfristig im Interesse aller Kunden sind. Die Vielfalt der Perspektiven kann dabei ausgesprochen hilfreich sein. Wenn Sie zum Beispiel über ökologische Fragen nachdenken, kommen schnell auch soziale Aspekte ins Spiel. Die Energiewende wird tiefgreifende gesellschaftliche Folgen haben. Auch darüber denken wir bei unseren Anlageentscheidungen nach.     

Zurück zum Greenwashing ...

Das findet statt. Nehmen Sie etwa die vielen Selbstverpflichtungen. Wenn sich eine Investmentfirma in vorauseilendem Gehorsam dazu verpflichtet, überhaupt nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren, dann klingt das gut. Aber das löst das Problem nicht, weil es viel komplexerer Natur ist. Es geht um Transformation, nicht Exklusion. Interessanterweise schlägt Großbritannien unter SDR, der hiesigen Version von SFDR, eine Kategorie Transition vor. Anlageformen, die auf Veränderungen zum Positiven abzielen, würden dadurch aufgewertet. Ich halte das für eine gute Idee.

Warum?

Es würde Leuten, die mehr darüber nachdenken, ermöglichen, statt einfach in einen „Low Carbon“-Fonds in einen Fonds für Verbesserungen zu investieren. Für einen erheblichen Teil der komplexen Herausforderungen, vor denen unsere Welt steht, wäre das ein besserer Weg.

Für Climeworks sind Regierungen der Markt. Wie kann das Geschäftsmodell funktionieren, wenn es auch Staaten mehr kostet, sich Geld zu leihen?

Da geht es nicht nur um die Kosten der Kreditaufnahme, sondern auch darum, für welche Lösungsarten für den Klimaschutz sich Regierungen entscheiden. Climeworks bietet eine Lösung, die das Problem CO2-Emissionen sehr direkt angeht. Solche Lösungen, die heute noch sehr teuer sind, aber großes Potenzial haben, könnten in hohem Maße vom Staat finanziert werden, bis sie sich selbst tragen.

Die Frage ist, wo der Markt dafür ist.

Was man schaffen muss, ist, auf die nötige Größe zu kommen. Vielleicht funktioniert es für Climeworks. Für Tesla, die damals ein Geschäftsmodell hatten, an das kaum jemand ernsthaft geglaubt hat, hat es funktioniert. Da gab es keine Beteiligung der Regierung.

Tesla hatte das Glück, in der Nullzinsphase an den Start zu gehen.

Ich glaube, dass Tesla das, was das Unternehmen erreicht hat, auch in einer Umgebung mit höheren Zinsen erreicht hätte. Der Großteil wurde mit Eigenkapital finanziert und dabei spielen Zinsen keine Rolle. Es geht mehr darum, ausreichend Leute mit einem langen Anlagehorizont und dem Ehrgeiz, so etwas umzusetzen, zu finden. Tesla wäre mehrfach fast gescheitert, weil das Unternehmen hohe Verluste schrieb und in großem Stil investierte, um auf die nötige kritische Masse zu kommen.

Und Climeworks?

Noch ist das Produkt für die Nutzer nicht wirtschaftlich. Von der nötigen Größe, damit sich das ändert, ist das Unternehmen noch ein gutes Stück weit entfernt. Und es bedürfte gesetzlicher Veränderungen, die Firmen auferlegen, ihre CO2-Emissionen auszugleichen. Stand heute funktioniert der Markt für Emissionsausgleichszertifikate noch nicht gut.

Ist das ein Thema, das Sie interessieren könnte? All die unterschiedlichen Zertifikate aus dem freiwilligen Emissionshandel ...

Das Problem ist, dass es keine homogenen Emissionsausgleichszertifikate gibt. Die Preise reichen von 3 Dollar bis 1.000 Dollar. Die für 3 Dollar sind völlig unwirksam, die für 1.000 Dollar haben eine super Wirkung, sind aber auch viel zu teuer. Ein funktionierender Emissionsmarkt ist schwer vorstellbar, wenn es keine marktweiten Standards gibt.

Ein funktionierender Emissionsmarkt ist schwer vorstellbar, wenn es keine marktweiten Standards gibt.

Stuart Dunbar

Mich hat erstaunt, dass die CME Produkte dazu aufgelegt hat.

Es fällt mir schwer, hier einen Mehrwert zu erkennen. Das fällt für mich in die gleiche Kategorie wie das, was wir in Teilen des Handels mit Kryptowährungen sehen. Wenn Leute spekulieren wollen, werden Börsen ihnen das ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass das, worauf sie spekulieren, einen bestimmten intrinsischen Wert hat. Man kann auf Emissionsausgleichszertifikate gegeneinander spekulieren, aber man könnte es auch auf fliegende Schweine tun. Die wirkliche Frage ist doch, ob wir für den Emissionsausgleich sinnvolle Standards schaffen können, die einen Handel ermöglichen würden. Aus Sicht unserer eigenen Klimaexperten kosten die billigsten glaubwürdigen Emissionsausgleichszertifikate 200 Dollar pro Tonne CO2. Das zahlt kaum jemand.

Wie geht Baillie Gifford mit den eigenen Emissionen um?

Als Firma gleichen wir die bei uns verursachten Emissionen mit Hilfe von Climeworks aus. Das ist wahnsinnig teuer, aber wir machen es, weil es der effektivste Weg ist, unseren Treibhausgasausstoß auszugleichen. Aus Anlegersicht sind es die frühen Investoren, die das Scaling ermöglichen, das den späteren Erfolg hervorbringt. Für Regierungen ist es in einem demokratischen System sehr schwierig, die nötigen Ressourcen für so etwas bereitzustellen. Die Frage ist, ob wir genug private Investoren zusammenbekommen, die es solchen Firmen ermöglichen, die nötige Größe zu erreichen. Regierungen können vielleicht die gesetzlichen Grundlagen schaffen, indem sie in einem gewissen Umfang den Kauf ihrer Produkte verordnen oder selbst vorangehen.

Wie sieht es mit dem Recycling von E-Auto-Batterien und Windrädern aus?

Welche Rolle haben Regierungen?

Regierungen haben eine wichtige Rolle zu spielen. Auch hier gilt, dass die Welt nicht so einfach ist, wie man sie sich wünschen mag. Man kann ganze Länder wie die USA oder China nicht einfach als gut oder böse kategorisieren. Schließlich wird selbst in den republikanisch regierten US-Bundesstaaten viel Geld in regenerative Energien gesteckt. Texas hat eine unglaubliche Menge Windkraft. China kann siebenmal so viel erneuerbare Energie erzeugen wie die nächsten zehn Länder zusammengenommen. Aber sie bauen weiterhin Kohlekraftwerke. Doch das liegt daran, dass sie eine ziemlich glaubhafte Net-Zero-Strategie für 2060 haben und die Höhepunkte des Energiebedarfs auf dem Weg dorthin identifiziert haben.

Es gibt keinen glaubwürdigen Weg zur Klimaneutralität bis 2050, der nur auf bereits bekannten Technologien basiert.

Stuart Dunbar

Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es noch nicht. Viele Leute reden über die Chancen, die sich aus dem Recycling von E-Autobatterien ergeben könnten. Und die sehen wir durchaus auch. Aber wir befinden uns noch in einer sehr frühen Phase des Lebenszyklus dieser Dinge. Es werden gerade erst die ersten Batterien außer Dienst gestellt. Es gibt vielversprechende Ansätze, und wir werden sehen, wie bedeutsam sie werden können. Und was die Rotorblätter angeht: Dafür gibt es nicht viele Recycling-Möglichkeiten. Vielleicht könnte man Bushaltestellen daraus machen. Aber für ein Recycling solcher Verbundwerkstoffe gibt es schlichtweg noch keine wirklich gute Lösung, die aus heutiger Sicht auch skalierbar wäre. Die Unternehmen, die bei diesen Themen am weitesten vorausdenken, werden einen großen Wettbewerbsvorteil haben. So viele Leute wollen Antworten auf solche Fragen. Aber sie sind einfach noch unbekannt.

Oder sie sind unangenehm.

Wo es heute nur unangenehme Antworten gibt, finden sich vielleicht morgen gute Lösungen. Natürlich gibt es Probleme. Aber viele Dinge befinden sich noch in einem experimentellen Stadium. Die Technologien sind noch nicht entwickelt. Es gibt keinen glaubwürdigen Weg zur Klimaneutralität bis 2050, der nur auf bereits bekannten Technologien basiert. Deswegen sollten wir optimistisch sein, aber nicht auf vermeintlich einfache Lösungen setzen. Aus Anlegersicht würde ich sagen: Selbst wenn eine Regierung nicht viel unternimmt und wir Klimaziele verfehlen, werden die Unternehmen besser abschneiden, die rechtzeitig auf Fortschritt und Wandel gesetzt haben. Denn sie werden auch aus Sicht der Gesetzgebung und der öffentlichen Wahrnehmung auf der richtigen Seite stehen.

Die Transition wird vielleicht länger dauern, aber sie wird stattfinden.

Ja, sie wird stattfinden. Wir haben das intern diskutiert und sind immer wieder zu dem Ergebnis gekommen: Klimalösungen sind ein sehr interessanter Bereich, um sich nach Investments umzusehen. Aber wir müssen auch unangenehme Fragen zulassen: Was passiert, wenn unser kapitalistisches Wirtschaftssystem mit dem Problem Klimawandel nicht gut fertig wird? Das ist kein besonders schönes Szenario. Wo würde man da investieren?

Womit wir bei den chinesischen Staatsbetrieben wären.

Ja. Eine der größten Herausforderungen für Europa ist der Maßstab der chinesischen Batterieautoproduktion, die auf eine Größe hochgefahren werden kann, wie es sie sonst nirgendwo gibt.

„Einseitige wirtschaftliche Abrüstung“ nannte das Kemi Badenoch einmal.

Ja, da ist ein bisschen was dran. Das gilt auch für künstliche Intelligenz. China ist kein Produzent von billigem Spielzug mehr. Es hat bei vielen Technologien mittlerweile eine führende Rolle eingenommen – mit tiefgreifenden Auswirkungen. Hier tun sich aber ebenfalls Chancen auf für langfristig orientierte Investoren.  

Man hört viel von KI, aber weniger von Quantum Computing, das für viele KI-Anwendungen die Voraussetzung darstellt.

Ja, für fortgeschrittene Formen von KI auf jeden Fall. Wir beobachten das Thema und sind vereinzelt auch schon im Bereich Quantum Computing investiert. Das Thema befindet sich natürlich noch in einem frühen Stadium und ist entsprechend risikobehaftet. Quantum Computing hat außerdem Schattenseiten, etwa wenn die Rechenleistung genutzt wird, um damit die Sicherheitssysteme im Internet auszuhebeln. Beim Thema KI gibt es außerdem einen ziemlichen Hype, der kaum zwischen sinnvollen und überflüssigen Anwendungen unterscheidet.

Es ist nur Text?

Vielfach ja. Es gibt aber auch sehr nützliche Anwendungen, etwa im Gesundheitsbereich, bei der Gensequenzierung. Da gibt es wunderbare Investmentmöglichkeiten. Aber das ist nicht nur KI. Es ist teils auch einfach enorme Rechenleistung. Das, was Stand heute in diesem Bereich entscheidend ist, sind Dinge wie etwa die Chips von Nvidia und die Maschinen von ASML. In beide haben wir schon vor einiger Zeit investiert. Man muss bei jedem möglichen Investment immer genau hinschauen, worum es eigentlich geht: Geht es einfach um große Rechenpower oder um echte künstliche Intelligenz? 

Die meisten denken bei KI an ChatGPT.

Wir haben ChatGPT ausprobiert, um zu sehen, was wir damit anfangen könnten. Eine nette Spielerei, mag man sich denken. Aber wenn man zehn Research-Papiere hat, kann es die ganz gut zusammenfassen. Wir bekommen allerdings auf diese Weise keine neuen Einsichten.

Das ist doch beruhigend.

Wir haben Jahre mit einem Versuch verbracht, auf Grundlage unserer Anlagephilosophie mit Hilfe von KI Einblicke zu generieren, mit denen wir einen Informationsvorsprung bekommen. Unsere Schlussfolgerung war, dass es keine Möglichkeit gibt, die entscheidenden Wendepunkte zu identifizieren, die für uns als langfristige Wachstumsinvestoren entscheidend sind. Das Modell brachte uns keine Informationen, die wir nicht schon hatten.

Das Interview führte Andreas Hippin.

Zur Person: Stuart Dunbar ist noch ein bisschen jung für die Rolle des Elder Statesman. Doch er ist bei Baillie Gifford schon seit 20 Jahren an Bord und einer der Partner, denen der schottische Vermögensverwalter gehört. Seine entspannte und humorvolle Art wirkt nicht aufgesetzt. Dabei waren die vergangenen Monate keine gute Zeit für Wachstumsinvestoren. Dass er sich durch seinen Dialekt sofort als Kind Glasgows zu erkennen gibt, macht ihn noch authentischer. Bei seiner Pressechefin löst das den Impuls aus, ihn dazu zu drängen, mit Gästen aus dem Ausland langsamer zu sprechen.