ESG-Update: Was im Sommer geschah
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ESG-Update: Was im Sommer geschah
Von Stephan Kippe*)
Während der Sommerpause gab es zwar keine großen regulatorischen Neuigkeiten, aber dennoch einige bemerkenswerte Entwicklungen im ESG-Bereich, von ESG-Ratings über Emissionszertifikate bis hin zur EU-Klimapolitik.
Nach einem starken Wachstum im Juni (+55% y/y) und Juli (+37% y/y) verlangsamte sich das Emissionsvolumen von Euro-Corporate-&-Financial-ESG-Anleihen im August (−36% y/y), was auf die Schwäche bei Green Bonds und das völlige Fehlen von Sustainability-Linked-(SLB)-Emissionen zurückzuführen ist. Letzteres spiegelt den allgemeinen Trend im Jahr 2023 wider: Die jährlichen SLB-Emissionen sind um 12% zurückgegangen, während die Kritik an den schwachen Zielvorgaben und den niedrigen Step-up-Niveaus zugenommen hat. Insgesamt sind die ESG-Emissionen im Jahresvergleich immer noch um 20% gestiegen, da die Green Bonds ihren Wachstumskurs fortgesetzt haben (+25%). Da sich konventionelle Unternehmensemissionen jedoch von ihrem Einbruch im Jahr 2022 erholt haben, ist der Marktanteil von ESG-Anleihen zurückgegangen.
S&P ändert Strategie
Anfang August gab S&P bekannt, dass es keine explizite Skala für ESG-Risiken mehr in seinen Kreditratings ausweisen wird, diese aber weiterhin in seine Bewertungen einfließen lässt. Während dies wahrscheinlich zumindest teilweise auf den zunehmenden politischen Druck gegen ESG in den USA zurückzuführen sein dürfte, kann es unseres Erachtens auch als ein (unbeabsichtigter) Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Integration von ESG-Risiken in die klassische finanzielle Risikobewertung gesehen werden. Im Gegensatz zu S&P bieten Moody’s und Fitch weiterhin explizite ESG-Bewertungen als Teil ihrer Kreditratingsysteme an.
Trotz einer Klarstellung der EU-Kommission im April hat sich das Segment der SFDR-Artikel-9-Fonds noch nicht von dem Exodus der passiven Aktienfonds im ersten Quartal erholt, der durch die regulatorische Unsicherheit verursacht wurde. Neben einer rein operativen Verzögerung könnte ein wahrscheinlicher Grund für die Zurückhaltung darin liegen, dass neben den SFDR-Regeln auch die anstehenden ESMA-Richtlinien für die Bezeichnung von ESG-Fonds, die voraussichtlich im vierten Quartal aktualisiert werden, zu einem volatilen regulatorischen Umfeld beitragen, das Assetmanager zu einer abwartenden Haltung veranlassen dürfte.
Net Zero wird politisches Thema
Allianz ist dem Beispiel anderer großer Versicherer wie Swiss RE, Axa und Munich Re gefolgt und hat die Net Zero Insurance Alliance (NZIA) verlassen. Hauptgrund für diesen Schritt ist der zunehmende politische Druck aus den USA, der im Mai in einem Brief von 23 konservativen Generalstaatsanwälten aus den USA gipfelte, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das Zielprotokoll der NZIA gegen das Kartellrecht verstoßen könnte. Insgesamt ist das Niveau der Net-Zero-Verpflichtungen jedoch nach wie vor hoch.
Neben rechtlichen und politischen Gründen werden Net-Zero-Verpflichtungen auch durch die zunehmende öffentliche Kontroverse über die Qualität von Voluntary Carbon Offsets (VCOs) erschwert, die ein Teil vieler Net-Zero-Strategien von Unternehmen sind. Insbesondere im Öl- und Gassektor sind die VCO-Strategien derzeit in Bewegung: Anfang September gab Shell bekannt, dass es seine Pläne aufgibt, bis zu 100 Mill. Dollar pro Jahr für den Aufbau einer Pipeline von Emissionsgutschriften auszugeben, während der Konkurrent Petrobras vor kurzem seinen ersten VCO-Kauf ankündigte. Die Jahresberichte für 2022 brachten dieses Jahr die erste Welle der Taxonomie-Berichterstattung von europäischen Unternehmen, wobei die Mehrheit der Stoxx-600-Mitglieder (mit Ausnahme der Finanzunternehmen) nun sowohl Daten zur Eignung als auch zur Übereinstimmung melden. Im Allgemeinen bestätigten die Daten frühere Schätzungen. Der Grad der Übereinstimmung mit der Taxonomie ist mit Ausnahme der Versorgungsunternehmen gering, was auf eine Kombination aus strengen Übereinstimmungskriterien und immer noch erheblichen Lücken in der Taxonomie Abdeckung zurückzuführen ist.
UK lockert Beschränkungen
Auf Drängen einer Gruppe konservativer Abgeordneter hat die britische Regierung eine Lockerung von 2015 unter Premierminister David Cameron eingeführten Planungsbeschränkungen angekündigt. Nach den bisherigen Regelungen konnte ein einziger Gegner eines Onshore-Windenergieprojekts dessen Realisierung verhindern. Die Windenergie hat im Vereinigten Königreich in den letzten Jahren stark zugenommen und trug im vergangenen Jahr 25% zur Energieerzeugung bei.
Polen hat vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen mehrere kürzlich verabschiedete Gesetze eingereicht, darunter das Verbot des Verkaufs von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035, die Aktualisierung der Emissionsziele für die einzelnen Mitgliedsländer bis 2030 und den Kohlenstoffgrenzausgleichsmechanismus der EU, was auf eine zunehmende Kontroverse über Nachhaltigkeitsmaßnahmen innerhalb der EU hinweist. Die polnische Regierung hat sich in der Vergangenheit generell kritisch zur Klimapolitik geäußert und dies mit der Sorge um steigende Energiekosten und wachsende soziale Ungleichheit begründet.
Ross fordert Straffung
In einem Interview rief die Vorsitzende der ESMA, Verena Ross, zur Zusammenarbeit auf, um den EU-Regelungsrahmen durch Verbesserung der Praktikabilität, Verringerung der Komplexität und die Beseitigung von Unstimmigkeiten zwischen den regulatorischen Anforderungen zu straffen. In einem regulatorischen Umfeld, in dem Unternehmen und Assetmanager gezwungen sind, sich mit einer Vielzahl detaillierter und manchmal widersprüchlicher Rahmenwerke (z.B. Taxonomie, SFDR, CSRD) auseinanderzusetzen, ist dies generell begrüßenswert. Angesichts der üblichen Fristen für Änderungen von EU-Regelungen sind kurzfristige wesentliche Verbesserungen jedoch unwahrscheinlich.
*) Stephan Kippe leitet das ESG-Research der Commerzbank