EU-Offenlegungsverordnung sorgt für Katerstimmung im Markt
EU-Offenlegungsverordnung sorgt für Katerstimmung
Wie sich das zentrale Regelwerk für Fonds, Vermögensverwalter, Versicherer und Banken weiterentwickeln könnte
Von Heike Schmitz *)
Als Bestandteil des EU-Sustainable-Finance-Regelwerks sollte die EU-Offenlegungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/2088) privates Kapital in nachhaltigere Anlagen lenken und so den Green Deal unterstützen. Flankiert wurde sie von umfangreichen Ausführungsvorschriften. Doch weniger als vier Jahre später herrscht Katerstimmung im Markt.
Nachhaltige Fonds haben zuletzt massive Abflüsse verzeichnen müssen. Die aktuelle Marktlage spielt dabei sicherlich eine Rolle. Viele Anbieter und Anleger verweisen aber auch auf die Komplexität der Regulierung und das atemberaubende Tempo der Regelsetzung. Bis zur Sommerpause 2024 wurde gefühlt jede Woche über neue Gesetzesvorhaben im Rahmen des EU-Sustainable-Finance-Regelwerks oder zusätzliche Auslegungen durch Aufsichtsbehörden diskutiert.
Unterschiedliche Ziele
Hinzu kommt, dass EU-Kommission und Finanzaufsichtsbehörden bei der EU-Offenlegungsverordnung unterschiedliche Ziele verfolgen. Die EU-Kommission hat sich für einen prinzipienbasierten und offenen Ansatz entschieden, um privates Kapital für den Green Deal zu mobilisieren. Die Aufsichtsbehörden wollen vor allem Anleger vor falschen oder irreführenden Aussagen zu Nachhaltigkeit schützen. Ende Mai 2024 haben die europäischen Aufsichtsbehörden ihre finalen Berichte zu Greenwashing in der Finanzbranche vorgelegt und die nationalen Aufsichtsbehörden zum Handeln aufgefordert. Die französische Aufsichtsbehörde hat bereits eine erste Geldbuße gegen einen Immobilienmanager verhängt, weil dieser sich nicht an die in seinen Offenlegungen beschriebenen Vorgaben für Investitionen gehalten hat.
Das bewusst weite und von Anlagestrategien losgelöste Konzept der EU-Offenlegungsverordnung mit zwei nachhaltigen Offenlegungskategorien – Artikel 9 für sehr nachhaltige Produkte und Artikel 8 für alle anderen nachhaltigkeitsbezogenen Produkte – scheint inzwischen nicht mehr zeitgemäß. Aktuellere Rahmenwerke wie etwa das SDR-Regime in Großbritannien oder die Selbstregulierung des Schweizer Vermögensverwalterverbands AMAS orientieren sich stattdessen an Anlagestrategien und -themen. Zudem besteht zumindest für Privatanleger eine große Nachfrage nach Labels, sprich Produktkategorien mit objektiven Mindeststandards. Diese sind in der EU-Offenlegungsverordnung aber nicht vorgesehen.
Zwei Konsultationen
Im vergangenen Jahr gab es gleich zwei Konsultationen zur EU-Offenlegungsverordnung: eine der EU-Kommission zur Weiterentwicklung der Verordnung und eine der European Supervisory Authorities (ESAs) zur Ergänzung der Ausführungsvorschriften. Letztere wurde im Dezember des Jahres 2023 mit einer Empfehlung an die EU-Kommission abgeschlossen, die bislang nicht aufgegriffen wurde. Derzeit ist nicht klar, wie und ab wann die neuen Ausführungsvorschriften gelten werden.
Die Konsultation der Kommission stellte in Teil 1 zum einen Fragen zur Verbesserung der Regulatorik, etwa zu weiteren Anforderungen an nachhaltige Investitionen und dazu, ob nachteilige Auswirkungen (PAI) nur berichtet werden sollen, wenn diese wesentlich sind. Teil 2 enthielt Überlegungen für eine Einführung von Produktkategorien (Labels), und zwar entweder als Fortentwicklung der bestehenden Offenlegungskategorien oder mit vier neuen, themenbasierten Produktkategorien (Lösungen für nachhaltigkeitsbezogene Probleme, Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards, Ausschlüsse und Transformation).
Überwältigendes Echo
Das Echo auf die Konsultation der Kommission zur Weiterentwicklung der EU-Offenlegungsverordnung war überwältigend: Mehr als 320 Stellungnahmen aus der Finanzbranche, von NGOs, Aufsichtsbehörden, ESG-Datenanbietern, Unternehmen aus der Realwirtschaft und aus der Wissenschaft, überwiegend aus der Union, aber auch aus anderen Ländern wie Großbritannien und den USA. Nach der im Mai 2024 veröffentlichten Auswertung stellten viele Konsultationsteilnehmer der EU-Offenlegungsverordnung ein schlechtes Zeugnis aus: 84% hielten die Offenlegungen für nicht geeignet, um Anleger angemessen zu informieren. 82% sahen weiteren Klärungsbedarf bei zentralen Konzepten wie beispielsweise der nachhaltigen Investition. Wenig überraschend sprachen sich mehr als 75 % für die Einführung von Produktkategorien (Labels) aus.
Eigene Ideen der Aufsichtsbehörden
Auch nach Abschluss der Konsultationen geht die Diskussion weiter. Einige nationale Aufsichtsbehörden haben ihre eigenen Vorstellungen für die EU-Offenlegungsverordnung veröffentlicht. Den Anfang machte die niederländische AFM, die sich schon im November 2023 für Offenlegungen für alle Finanzprodukte und die Einführung von drei nachhaltigen Produktkategorien aussprach. Diese Kategorien sollten Investitionen in die Transformation, in allgemein nachhaltige Aktivitäten und in Aktivitäten mit bestimmten Auswirkungen (Impact) erfassen. Ihr folgte Ende Februar 2024 die französische Aufsichtsbehörde AMF, die die Einführung von vier Produktkategorien vorschlug, nämlich Umweltlösungen basierend auf der EU-Taxonomie, soziale Lösungen (auf der Grundlage einer noch zu entwickelnden Sozial-Taxonomie), Klimatransformation mit Fokus auf Dekarbonisierung und Anwendung nicht-finanzieller Filter basierend auf ESG-Ratings.
BaFin pocht auf Vereinfachung
Im Juli 2024 forderte die BaFin die neue EU-Kommission auf, das Regelwerk zu vereinfachen und nachhaltige Investitionen eindeutig zu definieren. Die BaFin wünschte sich drei Produktkategorien – eine für die Investition in bereits nachhaltige Aktivitäten, eine für Investitionen in die Transformation und eine, bei der bestimmte Aktivitäten ausgeschlossen sind.
Kurz nach der BaFin hat schließlich die europäische Wertpapieraufsicht ESMA ihre Sicht auf die langfristige Weiterentwicklung des EU-Sustainable-Finance-Regelwerks veröffentlicht. Danach soll Nachhaltigkeit zukünftig allein durch die EU-Taxonomie bestimmt werden. Die ESMA erkennt an, dass die EU-Taxonomie derzeit viel zu beschränkt ist, um diese Funktion zu erfüllen. Daher soll die neue Kommission vorrangig die Fertigstellung der EU-Taxonomie vorantreiben.
Darüber hinaus spricht sich die ESMA für eine eigene Kategorie von Transformationsinvestitionen aus, die den Green Deal voranbringen sollen. Schließlich betont die ESMA den Aspekt des Anlegerschutzes und fordert, dass Offenlegungen und Produktkategorien besser auf Privatanleger ausgerichtet werden. Die Produktkategorien könnten dann wie in Großbritannien freiwillig und für Privatanleger bestimmt sein.
Alle Augen richten sich auf Brüssel
Es ist an der neuen EU-Kommission die zahlreichen Vorschläge ab November 2024 aufzunehmen. Die designierte Finanzmarktkommissarin Maria Luis Albuquerque hat vor ihrer Anhörung durch das EU-Parlament nächste Woche bestätigt, dass sie die EU-Offenlegungsverordnung zu einem Kategorisierungssystem mit eindeutigen Kriterien umbauen will. Angesichts politischer Zerwürfnisse, stagnierender Wirtschaft und zunehmender Bedrohung von außen ist indes zweifelhaft, dass dies ganz oben auf der Prioritätenliste stehen wird, auch wenn ESMA auf eine Überarbeitung bis Mitte 2025 hofft.
Eines ist bereits klar: in der zweiten Amtsperiode der Kommissionspräsidentin wird der Fokus beim EU-Sustainable-Finance-Regelwerk eher auf der Klarstellung und Vereinfachung der vorhandenen Regeln liegen. Bis auf einige liegen gebliebene Projekte, wie z.B. die finale Verabschiedung der bereits ausgehandelten Verordnung zu ESG-Ratings, wird es vermutlich erst einmal keine wesentlichen neuen Inhalte geben. Für ein Aufatmen in den Rechts- und Compliance-Abteilungen der Finanzbranche ist es aber zu früh, denn auch die angekündigten Vereinfachungen, Anpassungen und Klarstellungen müssen rechtssicher umgesetzt werden.
Wirkungskreis begrenzt
Die Aufsichtsbehörden würden ihre Vorstellungen zur EU-Offenlegungsverordnung lieber heute als morgen in die Tat umsetzen, nur fehlt ihnen dazu die Gesetzgebungskompetenz. Mit ihren ab November 2024 geltenden Leitlinien zu nachhaltigen Fondsnamen hat die ESMA bereits eine Art Mini-Label eingeführt. Der Wirkungskreis ist aber begrenzt, weil die ESMA nur Regeln für Fonds aufstellen darf, die bestimmte nachhaltigkeitsbezogene Begriffe im Namen tragen wie zum Beispiel „grün“, „ESG“ oder „Impact“. Die im Markt immer wieder geäußerte Hoffnung, dass die EU-Offenlegungsverordnung entfallen oder kurzfristig grundlegend geändert werden könnte, dürfte sich so bald nicht realisieren. Selbst wenn die neue EU-Kommission schneller als gedacht Änderungen vorschlägt, müssen diese erst den langwierigen EU-Gesetzgebungsprozess überstehen. Zu hoffen ist, dass die Kommission die Neuregelungen mit angemessenen Umsetzungsfristen versieht. Daher wird die Finanzbranche noch einige Jahre mit der aktuellen EU-Offenlegungsverordnung und ihren Mängeln leben müssen.
*) Heike Schmitz ist Partnerin der Kanzlei Herbert Smith Freehills in Frankfurt.
*) Heike Schmitz ist Partnerin der Kanzlei Herbert Smith Freehills in Frankfurt.