Im InterviewJulie Becker, Luxemburger Börse

„Gender-Finanzierung gewinnt an Zugkraft“

Gender Diversity & Inclusion wird in den kommenden Jahren zum zentralen Finanzmarktthema. Davon ist Julie Becker, Chefin der Luxemburger Börse, überzeugt. Im Interview der Börsen-Zeitung legt sie Perspektiven dar, auf die sich Investoren einstellen sollten.

„Gender-Finanzierung gewinnt an Zugkraft“

Im Interview: Julie Becker

"Gender-Finanzierung gewinnt an Zugkraft"

CEO der Luxemburger Börse über Gender Diversity & Inclusion, speziell ausgerichtete Bonds und künftige Gender-orientierte Marktentwicklungen

Gender Diversity & Inclusion wird in den kommenden Jahren zu einem bedeutenden Thema für die Finanzmärkte werden, da immer mehr Projekte in der Realwirtschaft zur Gleichstellung von Geschlechtern einer speziellen Finanzierung – etwa über Bonds – bedürfen. Im Interview der Börsen-Zeitung stellt Julie Becker, Chefin der Luxemburger Börse dar, auf welche Entwicklungen sich die Anleger vor diesem Hintergrund an den Märkten einstellen müssen – speziell bei Bonds, aber auch bei Investmentfonds.

Frau Becker, Geschlechtervielfalt und Integration – Gender Diversity & Inclusion – werden in der Realwirtschaft immer wichtiger. Glauben Sie, dass dieses Thema in den kommenden Jahren auch auf den Finanzmärkten sehr wichtig werden wird?

Ja, auf jeden Fall, und wir sehen bereits deutliche Anzeichen dafür, dass die Gender-Finanzierung an Zugkraft gewinnt. Bei LuxSE kennzeichnen wir Gender-orientierte Anleihen, seit wir uns im Mai vorigen Jahres mit UN Women zusammengetan und uns verpflichtet haben, gemeinsam die Finanzierung von Projekten voranzutreiben, die Gleichstellungsziele in der ganzen Welt unterstützen. Wenn wir die Gleichstellung der Geschlechter und die Teilhabe von Frauen in der Realwirtschaft stärken wollen, müssen wir auch auf den Finanzmärkten eine bessere Verbindung zwischen Geschlecht und Finanzen herstellen. Mit unserem Fokus auf Gender Finance wollen wir einen Beitrag zu diesem wichtigen Ziel leisten.

Was heißt das konkret?

Ein Teil unserer Bemühungen besteht darin, Emittenten und Finanzfachleute für Gender-spezifische Investitionen zu sensibilisieren. Aus diesem Grund haben wir Anfang dieses Jahres eine Marktstudie über den Stand des Marktes für Gender-orientierte Anleihen veröffentlicht. Darin analysierte unser Team von Experten für nachhaltige Finanzen 169 weltweit notierte Gender-orientierte Anleihen. Zum Zeitpunkt der Analyse machten Gender-orientierte Anleihen knapp 2% der weltweit notierten nachhaltigen Anleihen aus. Das bedeutet, dass 2% der nachhaltigen Schuldtitel einen Teil oder den gesamten Erlös für Projekte verwenden, die zur Stärkung von Frauen und Mädchen beitragen, und wir gehen davon aus, dass dieser Anteil in den kommenden Jahren stetig steigen wird, da geschlechtsspezifische Investitionen immer häufiger werden.

Es werden D/I-Anleihen begeben, ihr Anteil am Gesamtvolumen ist, wie Sie sagen, nur gering. Worauf gründen Sie eine zunehmende Emissionstätigkeit?

Als die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 ausbrach, erlebten wir einen starken Aufschwung bei der Emission von Sozialanleihen, und seither ist der Schwerpunkt auf Investitionen mit sozialem oder gesellschaftlichem Nutzen weiterhin wichtig. Während die Emissionen von Sozialanleihen seit dem Höchststand zurückgegangen sind, bleiben Nachhaltigkeitsanleihen – die eine Kombination aus grünen und sozialen Investitionsprojekten finanzieren – weiterhin stark. Wir gehen davon aus, dass der Fokus auf soziale Ziele zunehmen wird, insbesondere angesichts der verheerenden Auswirkungen der laufenden Kriege.

Gibt es Beispiele für Initiativen?

Einige Sozial- und Nachhaltigkeitsanleihen tragen zur Stärkung von Vielfalt und Inklusion bei. Ein Beispiel hierfür sind die Anleihen der Entwicklungsbank des Europarates zur sozialen Inklusion. Gender-orientierte Anleihen sind ein weiteres Beispiel. Nachhaltigkeitsanleihen sind ein interessantes Instrument im Hinblick auf Diversitäts- und Integrationsziele, da die Kuponzahlungen an die Fähigkeit des Emittenten geknüpft sind, bestimmte Nachhaltigkeitsziele innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen. Viele geschlechtsspezifische Anleihen werden im SLB-Format begeben, und der Emittent verpflichtet sich in der Regel, den Anteil von Frauen in Führungspositionen und in den Vorständen seiner Portfoliounternehmen zu erhöhen.

Zeigen sich auch Veränderungen bei der Emissionsorganisation?

Ja, neben der Zuordnung der Anleiheerlöse haben wir in den vorigen Jahren erlebt, dass einige große Branchengruppen sogenannte D&I-Anleihen begeben haben, bei denen sie von Minderheiten geführten Brokerfimen die Möglichkeit geben, die Rolle des Lead Underwriters bei einer Anleiheemission zu übernehmen und wichtige Erfahrungen bei der Arbeit an hochkarätigen Transaktionen zu sammeln. Diese Fälle sind wichtig, da sie die Notwendigkeit unterstreichen, die Wertschöpfungskette und das Ökosystem des Kapitalmarkts vielfältiger und integrativer zu gestalten.

Können Sie sich vorstellen, dass andere Finanzmarktprodukte – wie zum Beispiel spezielle Investmentfonds – entstehen, die einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Ziel unterstützen?

Definitiv, insbesondere wenn die Vergangenheit ein Indikator für die Zukunft ist. Wir haben die Luxembourg Green Exchange – LGX – im Jahr 2016 gegründet. Seitdem hat sich das Angebot an nachhaltigen Finanzinstrumenten auf dem Markt deutlich weiterentwickelt. Zunächst war die LGX nur eine Plattform für grüne Anleihen. Ein Jahr später erweiterten wir das Angebot auf Sozial- und Nachhaltigkeitsanleihen, und 2018 fügten wir ein Segment für nachhaltige Investmentfonds hinzu. Im Jahr 2020 haben wir die Plattform für nachhaltigkeitsgebundene Anleihen eröffnet. Dies zeigt, wie schnell sich der Markt für nachhaltige Anleihen entwickelt hat, um auf die unterschiedlichen Präferenzen der Anleger zu reagieren, wenn es darum geht, welche gesellschaftlichen oder ökologischen Auswirkungen sie mit ihren Investitionen unterstützen möchten.

Und spezifisch bei Investmentfonds oder Bonds?

Wenn wir uns die Fonds ansehen, gibt es tatsächlich Investmentfonds und Zweckgesellschaften, die Projekte finanzieren, die auf die Stärkung der Rolle der Frau ausgerichtet sind. Einige Investmentfonds basieren sogar auf Gleichstellungsindizes. Was wir jetzt im Bereich der nachhaltigen Anleihen sehen, ist ein verstärkter Fokus auf Biodiversitätsanleihen oder blaue Anleihen, auch wenn es noch keine etablierten Rahmen oder Standards für solche Anleihen gibt. Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren auch andere Finanzinstrumente entstehen werden, um die Umstellungsbemühungen insbesondere in schwer zugänglichen Sektoren zu unterstützen.

Frauen im Finanzwesen und die Finanzierung von Projekten zur Integration von Frauen: Wie funktioniert das, und warum hat es eine so hohe Priorität?

Das Thema Frauen und Finanzen stellt eine doppelte Herausforderung dar: Einerseits müssen wir mehr Frauen Zugang zu Finanzierungen und grundlegenden Finanzdienstleistungen verschaffen, und andererseits müssen wir den Anteil der Frauen, die im Finanzsektor arbeiten, weltweit erhöhen. Ich bin davon überzeugt, dass diese beiden Ziele, das heißt Finanzierung für Frauen und Frauen im Finanzwesen, zusammengehören. Um die Gleichstellung der Geschlechter zu stärken, müssen Frauen viel stärker in die Weltwirtschaft einbezogen werden und an den wirtschaftlichen Entscheidungen teilhaben. Dies beginnt damit, dass Frauen und Mädchen Zugang zu den gleichen Rechten, der gleichen Bildung, den gleichen Möglichkeiten und den gleichen Finanzdienstleistungen erhalten wie ihre männlichen Kollegen. Gender Finance erleichtert den Zugang zu Finanzmitteln für von Frauen geführte Unternehmen und gibt Frauen die Möglichkeit, ihr eigenes Unternehmen zu gründen, Arbeitsplätze zu schaffen und einen Beitrag zu ihren Gemeinschaften und letztlich zur Weltwirtschaft zu leisten.

Haben Sie Beispiele, auch wie sich das im Bereich Nachhaltigkeit einordnet?

Die Förderung der Gleichstellung der ​
Geschlechter ist von entscheidender
Bedeutung, da viele der anderen Ziele
für nachhaltige Entwicklung davon abhängen, ob wir den Frauen den ihnen zustehenden Platz in der Gesellschaft und der Weltwirtschaft einräumen können. Vergessen wir nicht, dass Frauen die Hälfte des weltweiten Potenzials darstellen und dass eine Welt mit einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis allen zugutekommt. Eine kürzlich von Blackrock durchgeführte Studie, in der 1.250 große Unternehmen weltweit analysiert wurden, zeigt, dass Unternehmen mit einer ausgewogenen Geschlechterverteilung in der Belegschaft besser abschneiden als Unternehmen mit einer weniger ausgewogenen Geschlechterverteilung. Dies zeigt, dass eine Entscheidung für die Gleichstellung der Geschlechter auch in finanzieller Hinsicht sinnvoll ist.

Wir befinden uns derzeit in der Phase der Übergangsfinanzierung – auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft. Es geht also darum, noch mehr privates Kapital zu mobilisieren, um die SDGs zu erreichen. Welche Rolle spielen die Börsen in diesem Prozess?

Die Eindämmung der globalen Erwärmung und die Verwirklichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung erfordern enorme Finanzmittel, und öffentliche Gelder werden einfach nicht ausreichen. Wir müssen private Investitionen mobilisieren und diese Kapitalströme in die nachhaltige Entwicklung und in sinnvolle sektorübergreifende Übergangsmaßnahmen lenken. Die Börsen spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle, denn sie stellen die notwendige Finanzmarktinfrastruktur bereit und sind der Ort, an dem Anleger, Emittenten und börsennotierte Unternehmen zusammenkommen. Börsen können den Zugang zur Marktfinanzierung erleichtern oder an Bedingungen knüpfen und so dazu beitragen, Investitionen auf Unternehmen und Investitionsprojekte zu lenken, die die SDGs und den Klimawandel unterstützen.

Und wie steht es dabei um den Anlegerschutz?

Eine der wichtigsten Aufgaben der Börsen ist natürlich der Anlegerschutz, und dazu gehört auch ein Beitrag zu den Bemühungen um finanzielle Allgemeinbildung. Durch den Zugang zu Informationen und die Gewährleistung von Transparenz helfen die Börsen den Anlegern, fundiertere Anlageentscheidungen zu treffen und sowohl die finanziellen als auch die Nachhaltigkeitsauswirkungen ihrer Anlageentscheidungen zu verstehen. Neben der Information und dem Schutz der Anleger sind die Börsen auch in der Lage, Anleger und Sparer zu mobilisieren, damit sie zur Finanzierung des grünen Übergangs beitragen. Durch die Wirkungsdaten, die wir auf LGX zur Verfügung stellen, können Anleger leicht erkennen, welche nach-
haltigen Wertpapiere zu welchem SDG beitragen.

Auch in den Schwellenländern müssen Initiativen für nachhaltige Finanzen unterstützt und gestärkt werden. Welchen Ansatz verfolgt die Luxemburger Börse in dieser Hinsicht?

In den Anfängen der nachhaltigen Finanzierung lag der Schwerpunkt auf der Mobilisierung von Kapital für eine nachhaltige Entwicklung. Jetzt, da der Markt gereift ist, liegt der Schwerpunkt nicht nur auf der Mobilisierung des benötigten Kapitals, sondern auch darauf, sicherzustellen, dass diese Kapitalströme die Regionen und Gemeinschaften erreichen, die die Investitionen am dringendsten benötigen. Europa ist im Bereich der nachhaltigen Finanzierung führend, und wir haben in den vergangenen 15 Jahren ein erhebliches Wachstum bei Emissionen und Investitionen erlebt. Nachhaltige Finanzierungen wachsen jedoch nicht überall in gleichem Tempo. Weniger als 1% der grünen Anleihen weltweit stammen aus Afrika, wo der Finanzierungsbedarf für nachhaltige Entwicklung mit am größten ist.

Welche Herausforderungen sind dabei zu meistern?

Um dieses Problem anzugehen, müssen nachhaltige Finanzinitiativen und -märkte auf dem gesamten Kontinent entwickelt werden, und LuxSE ist aktiv an verschiedenen Projekten in diesem Sinne beteiligt. Angesichts unserer Pionierarbeit und unseres Erfolgs mit LGX können wir unser Wissen und unsere Erfahrung weitergeben und zum Aufbau von Kapazitäten und zu technischen Hilfsprogrammen in aufstrebenden Märkten beitragen sowie Initiativen für nachhaltige Finanzen in neuen Regionen fördern.

Welche Ziele verfolgt die Luxemburger Börse in dieser Hinsicht, und welche Projekte haben Sie zu diesem Zweck ganz konkret gestartet?

Wir haben die Förderung nachhaltiger Finanzen zur Aufgabe unserer Börse gemacht und sind für unseren Beitrag zu diesem Ziel mehrfach ausgezeichnet worden. In den vergangenen Jahren haben wir uns intensiv darauf fokussiert, die nachhaltige Finanzierung zu einer wahrhaft globalen Initiative zu machen. Wir müssen unsere Kräfte über die Grenzen hinweg bündeln und gemeinsam vorankommen, und es ist wichtig, die Wachstumsländer in diese Bemühungen einzubeziehen. Aus diesem Grund haben wir Vereinbarungen mit Börsen in Ruanda, Cabo Verde, der westafrikanischen Börse BRVM, Nigeria, Indien, Chile und Vietnam getroffen, die sich auf den Aufbau von Kapazitäten, die Ausbildung in nachhaltigen Finanzen und den Wissensaustausch konzentrieren. Erst im Oktober haben unsere Teams in Ruanda und in der Elfenbeinküste Schulungen zum Thema nachhaltige Finanzen durchgeführt. Unsere Bemühungen um den Aufbau von Kapazitäten haben bereits zu konkreten Entwicklungen im Bereich der nachhaltigen Finanzen in verschiedenen Märkten geführt, wie zum Beispiel in Cabo Verde.

Und auf globaler Ebene?

Wir haben uns auch mit führenden Institutionen wie verschiedenen UN-Einrichtungen, der Global Green Growth Initiative und der Luxemburger Agentur für Entwicklungszusammenarbeit zusammengetan und beteiligen uns aktiv an den Projekten, die sie in verschiedenen Ländern durchführen.

Das Interview führte Kai Johannsen.

Neu: ESG PRO
Jetzt weiterlesen mit ESG PRO
Alle Artikel zu ESG-Themen in der Börsen-Zeitung
1 Monat für nur 1 € testen
Danach im günstigen Einführungsangebot:
6 Monate für nur 34,90 €