Grüner Wildwuchs bei nachhaltigen Fonds
Grüner Wildwuchs bei nachhaltigen Fonds
Mehr als die Hälfte des Geldes soll in ESG-Fonds stecken. Die Zahl scheint übertrieben.
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Seit Jahren halten sich die Anleger in Umfragen zu nachhaltigen Investments zurück. Ein Beispiel dafür ist eine Auswertung von Axa Investment Managers (Axa IM) per Ende 2023. Der Anteil derjenigen, die ESG-Produkte in ihrem Portfolio haben, beträgt demnach 26%. In Europa liegt die Quote bei 23%. An diesen Zahlen hat sich seit Jahren kaum etwas geändert.
Die Angaben der Investoren passen jedoch in keinster Weise zu dem, was Analysefirmen wie Scope oder der deutsche Fondsverband BVI berichten. Laut BVI halten deutsche Anleger Publikumsfonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen im Wert von 697 Mrd. Euro. Bei einem gesamten Fondsvermögen von 1.382 Mrd. Euro kommt man auf einen Anteil von 50,4% ESG-Fonds.
Der BVI grenzt dabei nach der EU-Definition ab, wonach ein Fonds nachhaltig im Sinne der Offenlegungsverordnung (SFDR) ist, der nach Artikel 8 oder 9 klassifiziert wurde. Grob gesagt hat ein Aritkel-8-Fonds Nachhaltigkeitsmerkmale und ein Artikel-9-Fonds zielt auf eine nachhaltige Wirkung ab. Häufig werden die beiden Klassen auch hellgrüne (Artikel 8) und dunkelgrüne (Artikel 9) Fonds genannt.
6.200 Fonds mit grünem Anstrich
Die Analysefirma Scope hat ebenfalls festgestellt, dass mehr als jeder zweite Fonds mit Nachhaltigkeitsausrichtung am Markt ist. Der Berechnung von Scope zufolge beträgt der Anteil der nachhaltigen Produkte gemessen an der Anzahl 55%, gemessen am verwalteten Vermögen 60%. Rund 6.200 Fonds sind nach Artikel 8 eingruppiert. Sie verwalten insgesamt 4,4 Bill. Euro. Sowohl die Zahl als auch das Volumen dieser „hellgrünen“ Fonds sind im Vergleich zum Vorjahr sogar noch gestiegen (Stand jeweils Ende Februar).
Die „dunkelgrünen“ Artikel-9-Fonds sind mit 613 Produkten und einem Gesamtvolumen von 224 Mrd. Euro eine überschaubare Gruppe. Auch dieses Fondssegment hat sich gegenüber Ende Februar 2023 vergrößert, aber nicht so stark wie die Gruppe der Artikel-8-Fonds. Zahlenmäßig ging es für Artikel-9-Fonds laut Scope um 9% nach oben, das Volumen nahm um 5% zu.
Eine Zurückhaltung bei den Mittelzuflüssen deckt sich mit weiteren Zahlen aus der Umfrage von Axa IM. Bei der Investitionsbereitschaft in ESG-Fonds sagen 60%, dass sie kein Interesse an einem Kauf haben. 25% haben über einen Kauf von ESG-Fonds nachgedacht, und 14% machten keine Angaben, ob sie in grüne Fonds investieren wollen.
Der Fondsverband beziffert das Volumen von Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen mit 900 Mrd. Euro. Darin enthalten sind auch Spezialfonds, die für institutionelle Kunden verwaltet werden. Das Segment macht jedoch mehr als die Hälfte des gesamten Fondsmarktes aus.
Spezialfonds mit anderem Bild
Da auf nachhaltige Spezialfonds aber nur 208 Mrd. Euro entfallen bei einem Gesamtvolumen dieser Produkte von 2.079 Mrd. Euro, liegt die Quote in dem Segment bei 10% Nachhaltigkeitsfonds. Rechnet man Publikums- und Spezialfonds zusammen, ergibt sich ein Wert von 26,1%. Also gut ein Viertel der deutschen Fonds haben gemessen am Volumen eine nachhaltige Ausrichtung.
Scope wiederum greift in seinem Bericht die Abgrenzungskriterien von ESG-Fonds und konventionellen Produkten auf. Die SFDR sei zwar ein wichtiger Bezugspunkt für Investoren und helfe bei der Kategorisierung von Produkten. „Scope sieht jedoch primär die Anlagestrategie des Investmentmanagers als entscheidend für die Peergroup-Einstufung an, wobei bestimmte Peergroups ausdrücklich Nachhaltigkeitsaspekte beinhalten.“ So finden sich in Fondsgruppen wie „Aktien Ökologie Welt“ und „Nachhaltigkeit/Ethik Welt“ Produkte, die nach der Offenlegungsverordnung gar nicht nachhaltig sind. „Trotz unterschiedlicher Herangehensweise zeigt sich eine große Überschneidung“, schreibt allerdings Scope, die gemessen am Fondsvolumen mehr als 97% beträgt.
Die einfache Zusammenfassung nach SFDR Art. 8 und 9 kann es ja nicht sein.
Roland Kölsch, Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG)
In der Branche und in Brüssel wächst die Unzufriedenheit mit der Klassifizierung nach der SFDR. Insbesondere die Artikel-8-Fonds scheinen die Zahlen aufzublähen. Ergebnisse einer EU-Konsultation haben ergeben, dass die Meinungen geteilt sind, ob Produktkategorien auf Artikel 8 und 9 oder neuen Kriterien beruhen sollen. „Die einfache Zusammenfassung nach SFDR Art. 8 und 9 kann es ja nicht sein“, sagt Roland Kölsch von der Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG)
Realistische Werte
Realistischer scheinen die Zahlen der Ratingagentur Morningstar. Per Ende März liegt der Anteil der ESG-Fonds in Europa bei 24,6%. Insgesamt 5.581 grüne Produkte hat Morningstar in Europa gezählt, bezogen auf die Anzahl der Fonds liegt die Quote bei 23,8%. Bei Morningstar umfasst das nachhaltige Fondsuniversum Fonds und ETFs, die in ihren Prospekten und Unterlagen angeben, dass sie sich auf Nachhaltigkeit oder ökologische, soziale und Governance-Faktoren fokussieren, von Offenlegungsverordnung und Artikel 8 oder 9 ist nicht die Rede.
Der größte Anteil von Assets sind weiterhin traditionelle Fonds, sagen Branchenkenner. Investoren gehe es in erster Linie immer noch um Performance. Karim Chatti, Vertriebsprofi bei Triodos Investment Management: „Am Ende ist das, was in die grünen Themen fließt, immer noch relativ gering.“