„Nachhaltigkeit ist für uns kein Modethema“
Im Gespräch: Vanda Rothacker und Carola Schroeder
„Nachhaltigkeit ist für uns kein Modethema“
Union Investment bescheinigt Mercedes-Benz die beste Corporate Governance im Dax und fordert mehr Unabhängigkeit in Aufsichtsräten
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Mercedes-Benz hat es im aktuellen Corporate-Governance-Ranking der Fondsgesellschaft Union Investment aufs Siegertreppchen geschafft. Dabei hat der Automobilkonzern kräftig aufgeholt, ist um sieben Stufen nach oben gerückt und damit der Shootingstar im Dax. Der vorjährige Klassenbeste Deutsche Börse liegt wenig abgeschlagen auf Platz 2. RWE, zuvor neben der Börse in Spitzenposition, landete diesmal auf Rang 4. Schlusslichter sind wie im Vorjahr die Porsche AG und die Porsche Automobil Holding.
Wie aus dem Ranking von Union Investment weiter hervorgeht, gab es einzelne signifikante Platzwechsel. Deutlich nach oben gearbeitet hat sich neben Mercedes auch Henkel. Beiden Konzernen wird u.a. bescheinigt, dass sie Nachhaltigkeitskriterien in den Long-Term-Incentives der Vorstandsvergütung etabliert haben. Mercedes punktet zudem durch bessere Entlastungsergebnisse auf der Hauptversammlung. Bei Henkel sei der Vorsitz im Prüfungsausschuss mit einem unabhängigen Aufsichtsratsmitglied besetzt worden.
Adidas fällt zurück
Die größten Absteiger im Dax sind Adidas (um 9 Stufen auf Platz 17), Vonovia (8 Stufen auf 13), Deutsche Telekom und Deutsche Bank (jeweils 7 Stufen auf 11 bzw. 12). Punktabzug bekamen diese Unternehmen auch wegen des unzureichenden Frauenanteils im Vorstand und/oder in den beiden Ebenen darunter.
Bei Adidas bemängelt Union Investment neben anderem die Kontroverse um den umstrittenen Rapper Kanye West und die Abweichung vom Governance-Kodex im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden der ehemaligen Personalvorständin Amanda Rajkumar. Adidas zahlte der Managerin die kurz- und langfristigen variablen Vergütungsbestandteile zu einem festen Betrag vorzeitig in bar aus und enthob sie von der Pflicht, langfristige Vergütungsanteile in Adidas-Aktien zu investieren. Zudem moniert Union Investment eine Ämterhäufung im Aufsichtsrat.
Delivery Hero punktet
Im MDax ist Thyssenkrupp der Klassenprimus, im Vorjahr hatte der Konzern bereits weit oben auf Rang 2 gelegen. Größter Aufsteiger ist in dem Kreis Delivery Hero, die um 14 Stufen nach oben kletterte. Angerechnet werden dem Online-Lieferdienst u.a. Verbesserungen in der Unabhängigkeit des Prüfungsausschussvorsitzenden sowie die Nachvollziehbarkeit der ESG-Expertise in den Gremien.
Union Investment hat die Corporate Governance im Dax inzwischen zum sechsten Mal beleuchtet, im MDax ist es die vierte Zeugnisvergabe. Dabei geht die Analyse rein quantitativ vor und beurteilt die für Investoren frei verfügbaren Daten der Unternehmen.
Union Investment zieht die Zügel an
Im aktuellen Ranking hat Union Investment die Zügel angezogen. Damit hat die Fondsgesellschaft auf die Entwicklung reagiert, dass grundlegende Kriterien für die Beurteilung der Governance-Güte inzwischen Marktpraxis geworden sind. „Wir haben den Anspruch erhöht, weil viele Basics inzwischen selbstverständlich sein sollten, zum Beispiel die Veröffentlichung von aussagekräftigen Lebensläufen von Vorständen und Aufsichtsräten. Dafür gibt es keine Pluspunkte mehr“, erklärt Vanda Rothacker, ESG-Strategin mit Schwerpunkt Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft. „Wir konzentrieren uns auf Kriterien, bei denen wir noch Verbesserungspotenzial sehen.“
ESG-Transparenz angemahnt
Die Analyse legt insgesamt einen stärkeren Fokus auf ESG-Transparenz. „Das ist uns wichtig, denn wir wollen die Verzahnung von Umwelt- und Sozialkomponenten mit der Governance herausstellen. E und S funktionieren nur, wenn sie in die Governance integriert sind“, sagt Rothacker. Deshalb schaut sich Union Investment beispielsweise die Diversity-Strategie an, fragt nach einem Lobbybericht und untersucht, wie stark ESG-Kompetenz in Vorstand und Aufsichtsrat verankert ist.
Die Fondsgesellschaft fordert schlüssige Nachweise für ESG-Qualifikationen. „Die Verantwortungen für Nachhaltigkeitsthemen werden zwar oft angegeben, sind aber häufig nicht nachvollziehbar“, moniert Rothacker. „Die Kompetenz muss aus der Berufserfahrung oder an anderer Stelle im Lebenslauf ersichtlich werden.“
Durchschnittsnote sinkt
Die Durchschnittsnote im Dax hat sich in dem Ranking für 2023/24 von 2,2 auf 2,7 verschlechtert, was Rothacker vor allem auf die gestiegenen Anforderungen zurückführt. „Der strengere Blick basiert aber nicht auf neuen, utopischen Vorgaben, denn einige Unternehmen haben sich auch in dem geänderten Rahmen verbessert“, betont Rothacker. „Dauerbrenner im Blick auf Governance-Defizite bleiben leider die Themen Unabhängigkeit der Aufsichtsräte und Ämterhäufung.“
Wichtiges Kriterium
Unabhängigkeit ist aus Sicht der Fondsgesellschaft ein sehr wichtiges Kriterium für gute Governance, denn der Aufsichtsrat solle auf der Anteilseignerbank vor allem die Aktionärsinteressen vertreten. Unabhängigkeit ist aus Sicht von Union Investment etwa dann nicht gegeben, wenn das Gremienmitglied zuvor beim selben Unternehmen im Vorstand saß, die Amtszeit zehn Jahre überschreitet, das Aufsichtsratsmitglied in geschäftlicher oder persönlicher Beziehung zum Unternehmen steht, die einen Interessenkonflikt begründet, oder selbst Aktionär mit mehr als zehn Prozent der Stimmrechte ist. „Es ist per se nicht schlecht, wenn ehemalige Vorstände in den Aufsichtsrat wechseln, da diese viel Know-how und Expertise mitbringen. Wichtig ist uns aber, dass es einen Gegenpol gibt, indem mindestens die Hälfte der Anteilseignerbank unabhängig besetzt ist“, unterstreicht Rothacker und ergänzt: „Das Verhältnis muss stimmen.“
Kirchenbanken gaben Ausschlag
Union Investment nutzt das Ranking als Grundlage für Gespräche mit den Unternehmen, insbesondere im Dialog mit den Aufsichtsratsvorsitzenden, und für das Engagement der Fondsgesellschaft auf Hauptversammlungen. „Letztlich geht es darum, die Aufmerksamkeit für das Thema zu schärfen, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Gang zu bringen und den Kapitalmarkt als Motor für gute Unternehmensführung zu nutzen“, fasst es Carola Schroeder zusammen, die das Portfoliomanagement von Union Investment leitet.
„Nachhaltigkeit ist für uns kein Modethema“, betont Schroeder. Die Fondsgesellschaft habe schon vor 30 Jahren den Fokus darauf gelenkt, also in einer Zeit, als ESG noch kein Pflichtprogramm war. Die Kirchenbanken seien damals die ersten Kunden gewesen, die Ausschlusskriterien für nachhaltige Investments und eine aktive Rolle ihres Assetmanagers gefordert hätten. Union Investment habe somit viel Erfahrung darin, in „glaubwürdige Transformation“ zu investieren. „Wir suchen Unternehmen, die sich ambitionierte Ziele setzen und diese verlässlich verfolgen. Damit unterstützen wir im engen Austausch mit den Unternehmen die Transformation der Wirtschaft“, sagt Schroeder.
Votum für Ubben bei Bayer
Eine klare Position bezieht Union Investment beim Thema Aktionärsaktivisten. Dass der aktivistische US-Investor Jeffrey Ubben in den Aufsichtsrat von Bayer einziehen soll, bezeichnet Schroeder als „klares Warnsignal, weil Aktionärsinteressen hier nicht ausreichend berücksichtigt wurden“. Die Interessen der Investoren würden mit der Nominierung von Ubben zwar nun in den Vordergrund gerückt. „Wir hätten uns aber gewünscht, dass Bayer es gar nicht erst so weit kommen lässt, dass ein Aktivist in den Aufsichtsrat einzieht“, sagt Schroeder.
Im Fall Bayer sei aber immerhin kein Aktivist am Werk, der nur das Ziel verfolge, kurzfristig Kasse zu machen. Ubben gehe es ja darum, das Unternehmen wieder erfolgreich zu machen. Union Investment werde daher auf der Hauptversammlung für die Wahl Ubbens stimmen.
Die überraschende Kehrwende von SAP in der Besetzung des Aufsichtsratsvorsitzes kritisiert Schroeder als „Negativbeispiel einer professionellen Nachfolgeplanung“. Nach jahrelangem Hin und Her folge auf Hasso Plattner mit seinem langjährigen Vertrauten Pekka Ala-Pietilä nun ein „Übergangskandidat“.
Kompetenzprofile willkommen
Mit Blick auf die Professionalisierung von Aufsichtsräten hält die Fondsgesellschaft die Abbildung der Qualifikation der Gremienmitglieder in Kompetenzprofilen für grundsätzlich zielführend. „Die Kompetenzprofile sind für uns in den Gesprächen mit Aufsichtsräten hilfreich, weil sie für Transparenz sorgen und den Fokus auf die inhaltliche Diskussion lenken“, sagt Rothacker. „Es geht nicht mehr darum, über welches Netzwerk jemand in den Aufsichtsrat gekommen ist.“ Auch der Nominierungsprozess werde transparenter.
HV-Format bleibt ein Thema
Die Selbstauskunft der Aufsichtsräte über die in den Gremien vorhandenen Kompetenzen in Form einer Matrix ist aus Sicht von Rothacker indes verbesserungsfähig, denn dort würden oftmals zu viele Häkchen gesetzt: „Weniger ist mehr. Es muss nicht jeder alles können. Wir wollen wissen, wo tiefgreifende Expertise zu relevanten Themen vorhanden ist.“
Dass die Kodex-Kommission unter neuer Leitung noch keine Anpassungen in aktuellen Governance-Themen vorgeschlagen hat, wird von den Fondsvertreterinnen akzeptiert. „Die neue Kommission ist jetzt im Arbeitsmodus“, sagt Schroeder. Mit dem Leitfaden zum effizienten Ablauf einer Hauptversammlung habe die Kommission einen ersten Impuls in die Praxis gegeben. Allerdings habe sich das Gremium nicht zum Format der Aktionärstreffen geäußert, also ob virtuell, hybrid oder in Präsenz präferiert wird. „Das Mitspracherecht der Aktionäre muss gestärkt werden, statt es zu schwächen. Eine Kodex-Empfehlung zum Say on Climate wäre dafür ebenso hilfreich wie eine Empfehlung zur hybriden Hauptversammlung als Goldstandard“, hofft Schroeder.
Union Investment sieht in der Corporate Governance von Unternehmen weiterhin Verbesserungsbedarf. Dauerbrenner in der Mängelliste sind Ämterhäufung sowie mangelnde Unabhängigkeit in den Kontrollgremien. Klassenprimus im aktuellen Governance-Ranking der Fondsgesellschaft ist Mercedes-Benz.