Zahlungsverkehr und Handel im technologischen Wandel
Im Gespräch: Ken Moore
Systemischer Wandel in Zahlungsverkehr und Handel
Der Chief Innovation Officer von Mastercard skizziert, auf welche technologiegetriebenen Veränderungen sich Firmen und deren Kunden einstellen müssen
Zero-Trust-Architekturen, Blockchain, cloudnative Plattformen, Netzwerke der nächsten Generation, künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputer oder Mixed Reality sind derzeit beliebte Schlagwörter. Im Gespräch veranschaulicht Mastercards Chief Innovation Officer Ken Moore, wie diese Technologien die Zukunft des Zahlungsverkehrs prägen werden.
Von Franz Công Bùi, zzt. Dublin
Ken Moore bezeichnet sich selbst als Futuristen mit einem Hintergrund in Organisationspsychologie und Technologie. In seiner Rolle als Chief Innovation Officer von Mastercard betrachtet er Finanzdienstleistungen daher aus unterschiedlichen Perspektiven. Seine Aufgabe sei es, zu prüfen, wohin sich die Welt entwickelt und wie sich Mastercard und deren Kunden in der zukünftigen Welt positionieren können, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung darlegt.
Moore zitiert eine Untersuchung von Gartner über das Tempo des technischen Wandels, insbesondere wie Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt die Digitalisierung adaptieren. Demzufolge würden 80% der etablierten Finanzdienstleister bis zum Ende des Jahrzehnts Gefahr laufen, entweder das Geschäft aufgeben zu müssen oder Zombie-Status zu erreichen, wenn sie nicht rechtzeitig reagieren. Dass das so passiert, glaubt er zwar nicht, gleichwohl sieht er das Studienergebnis als einen Kommentar zum Tempo des von Technologie getriebenen Wandels. Und in einer Studie habe sich das Payment-Unternehmen jüngst mit aufkommenden Schlüsseltrends und Technologien befasst, die bis zum Ende der Dekade das Verhalten der Endverbraucher verändern und den Handel transformieren werden. Und auch wenn sie heute noch nicht so verbreitet seien, würden sie sich aber bis 2030 durchsetzen.
Verschnaufpausen sinnvoll
Zu den Technologien, die für Finanzdienstleistungen relevant sind, zählt Moore sogenannte Zero-Trust-Architekturen, die Blockchain, cloudnative Plattformen, Netzwerke der nächsten Generation, künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputer und Mixed-Reality-Anwendungen. Zero-Trust-Architekturen und Systeme zur Verbesserung des Datenschutzes etwa sollen aus seiner Sicht dazu dienen, dass die Nutzung und die Verarbeitung von Daten einen Mehrwert für Kunden und Volkswirtschaften erzeugen und das Vertrauen in die Sicherheit der Daten erhöhen.
Die Blockchain und ihre weitere Entwicklung über Web3 sowie Web5 und auch damit verbundene Ansätze wie etwa verteilte autonome Organisationen (DAOs) sind Moore zufolge eine Welt, die nicht verschwinden wird, auch wenn das Momentum dort ein wenig gebremst erscheint: „Derzeit gibt es eine kleine Verschnaufpause in der Kryptowelt, und das ist gut so, denn die Vorschriften und Regularien werden nachziehen und die seriösen Akteure skalieren.“ Durch diese Technologien seien indes Assets, die in der Vergangenheit illiquide waren, einem breiten Publikum zugänglich geworden, wie etwa Guthaben auf Bankkonten, Quittungen für digitale Güter, Spielewährungen oder Kleidungsstücke. Und Moore rechnet mit weiteren neuen Geschäftsmodellen aus der Blockchain heraus.
Zur Person:
Ken Moore (50) ist Chief Innovation Officer bei Mastercard und Teil des Management Committee. Er leitet die Mastercard-Foundry-Organisation sowie Forschung & Entwicklung, Digital Futures, Product Lifecycle Management und Experience Research & Design. Somit ist er u.a. für Entwicklung und Einführung neuer Produkte und Services sowie Erschließung neuer Technologien verantwortlich. Moore ist zudem Beirat der Weltorganisation für geistiges Eigentum und Expert-in-Residence der Harvard University. Bevor er 2016 zu Mastercard kam, hatte er Führungspositionen u.a. bei Citi und Accenture inne.
Cloudnative Plattformen seien derweil nicht nur nützlich für Effizienzsteigerungen, sondern böten Chancen für Geschäftsmodellinnovationen. Mit agilen Softwarelösungen, die vollständig in der Cloud entwickelt und betrieben werden, könnten sich etwa Finanzdienstleister auf neue Weise mit Partnern verbinden und dadurch Bürokratie und Zertifizierungsaufwand abbauen.
Netzwerke der nächsten Generation wie etwa Ultrabreitband 5G oder in Ansätzen bereits 6G, aber auch Edge Computing (Rechendienstleistungen, die nahe am physischen Standort der Nutzer oder der Datenquelle stattfinden) würden diese Entwicklung dynamisch vorantreiben. Verknüpft mit dem Internet der Dinge entstehe eine zunehmend mit Sensoren ausgestattete Welt, in der Menschen, Firmen und Maschinen miteinander interagieren können. Kombiniert mit der gesteigerten Intelligenz durch in alle Prozesse und Anwendungen eingebundene KI könne die Welt nicht nur besser wahrgenommen, sondern es könne auch besser mit ihr umgegangen werden. Und das Quantencomputing biete künftig die Möglichkeit, in Echtzeit zu reagieren.
Hinzu kämen Mixed Reality (Augmented und Virtual Reality) und das Metaversum, um das es noch vor ein paar Monaten einen großen Hype gegeben hat. Dieser habe sich nun zwar etwas gelegt, doch das Metaverse werde kommen, wenngleich nicht in absehbarer Zeit: „Die rechnerischen Fähigkeiten, die benötigt werden, um in einer wirklich virtuellen Welt mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten, sind noch etwa sechs oder sieben Jahre entfernt.“ Mastercard habe auf Plattformen wie etwa Decentraland oder Roblox dennoch bereits zahlreiche Partnerschaften etwa mit Musikfirmen und Künstlern geschlossen oder Banken geholfen, Filialen in Metaverse-Umgebungen einzurichten, und Firmen gezeigt, wie Marken-Loyalität in einer Metaversum-Welt funktioniert und wie dort Handel und Zahlungen abgewickelt werden können: „Wir experimentieren jetzt mit diesen Partnern, weil unsere Kunden von uns erwarten, dass wir ihnen helfen, herauszufinden, wie die Welt von morgen aussehen wird.“ Doch sowohl die physische Technologie wie die Headsets als auch die Rechenleistung, um diese Welten so zu rendern, dass die Interaktionen natürlicher wirken, bräuchten noch Zeit, um zu reifen.
Moore betont, jede dieser Technologien sei für sich genommen wichtig, aber in ihrer Gesamtheit würden sie einen systemischen Wandel im Handel und im Zahlungsverkehr bewirken: „Der Zahlungsverkehr braucht einen Kontext, und der Kontext, in dem jede Vorhersage über die Zukunft des Zahlungsverkehrs stehen muss, ist: Wohin entwickelt sich die Welt des Handels?“ Dabei erachtet Moore drei Sachverhalte als besonders wichtig. Zum einen geht er geht davon aus, dass das Konzept von Geld neu gedacht wird. In der Vergangenheit sei es um das Bargeld in Portemonnaies oder das Guthaben auf Bankkonten gegangen. Seit etwa 20 Jahren würden Treuepunkte als eine Form von Währung betrachtet. Mittlerweile seien Kryptowährungen für viele ein akzeptiertes Zahlungsmittel geworden. Es gebe bereits von Zentralbanken ausgegebene digitale Währungen, daneben NFTs oder In-Game-Währungen. Und Moore erklärt, heute seien auch Daten ein akzeptierter Mechanismus, der mit Geld vergleichbar werde. Das Verständnis dessen, was als übertragbarer Vermögenswert betrachtet wird, werde immer breiter, und in Zukunft werde es möglich sein, das allgegenwärtig untereinander auszutauschen, von Mensch zu Mensch, von Händler zu Händler, von Mensch zu Händler.
Als weiteren großen Trend identifiziert Moore die stetige Konvergenz von physischer und digitaler Welt, die sich sowohl im Einzelhandel als auch beim Online-Shopping beobachten lasse. Dies werde durch eine Reihe von Technologien wie etwa Mixed Reality oder KI vorangetrieben und wirke sich letztlich auf jeden Bereich des Lebens aus: wie gearbeitet, gespielt oder gelernt wird.
Für eine nachhaltige Zukunft
Und den dritten Trend bezeichnet Moore als “Sustainable Futures”. Dabei gehe es darum, Produkte unter ESG-Prinzipien zu entwerfen, zu entwickeln, herzustellen und zu vermarkten: „Wir haben uns verpflichtet, als Unternehmen klimaneutral zu sein. Wir haben uns zu Vielfalt und Inklusivität von Mastercard als Marke bekannt.“ Ab dem 1. Januar 2028 sollen alle neuen Plastikkarten von Mastercard aus nachhaltigen Materialien hergestellt und durch ein Zertifizierungsprogramm zugelassen werden. Das Programm für nachhaltige Karten sei im Jahr 2018 gestartet worden, seitdem haben sich nach Moores Aussage mehr als 330 Kartenherausgeber in 80 Ländern angeschlossen und arbeiten gemeinsam mit großen Kartenherstellern an der Umstellung von mehr als 168 Millionen Karten auf recycelte und biobasierte Materialien in ihrem Netzwerk.
Hinzu kämen Initiativen wie der “Carbon Calculator” oder die “Priceless Planet Coalition”. Den Kohlenstoffrechner könnten Partner über eine API in ihre Anwendungen integrieren und ihre Kunden über den CO2-Fußabdruck von Produkten und Vorgängen aufklären. Und bei der Priceless Planet Coalition will Mastercard den Kohlenstoff-Fußabdruck durch das Pflanzen von Bäumen ausgleichen und Partnern ermöglichen, sich daran zu beteiligen. Dass das Thema Nachhaltigkeit immer zentraler wird, beobachtet Moore indes auch jenseits von Mastercard. Denn es handele sich um ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für Firmen, insbesondere mit Blick auf deren Wettbewerbsdynamik und die Art und Weise, wie Produkte und Dienstleistungen künftig entworfen und entwickelt werden.