IM INTERVIEW: JASMINE KANG, COMGEST

"A-Titel bieten mehr Auswahl und Unternehmergeist"

Die Portfoliomanagerin über die Reize chinesischer Aktien, die fehlende Transparenz chinesischer Banken und zu zögerliche Kapazitätsbereinigungen

"A-Titel bieten mehr Auswahl und Unternehmergeist"

Der Aktienmarkt in Schanghai ist von Privatanlegern sowie enormen Kursschwankungen geprägt. Die China-Expertin und Comgest-Portfoliomanagerin Jasmine Kang sieht als institutionelle Investorin aber reizvolle Anlagemöglichkeiten. Sie kritisiert nur die unzureichenden Reformen der chinesischen Regierung.- Frau Kang, wie bewerten Sie die Entscheidung des Indexanbieters MSCI von Juni, chinesische A-Aktien noch nicht in das MSCI-Indexuniversum aufzunehmen?MSCI argumentiert, es gebe weiterhin Kapitalflussbegrenzungen. Auch wir brauchen etwa immer noch den Status als qualifizierter ausländischer institutioneller Investor – QFII. Und die chinesischen Regulatoren wollen weiterhin jedes indexbezogene Finanzprodukt genehmigen. MSCI will erst die in Aussicht gestellten Änderungen abwarten, was etwa die QFII-Regeln betrifft. Wir glauben, dass es bei der nächsten Beurteilung eine 50 : 50-Chance für eine Aufnahme gibt. Die Nichtaufnahme hat aber den chinesischen Markt nicht belastet. Unsere Auswahl aus A-Titeln hat sogar outperformt.- Gibt es Auswirkungen auf Ihre Anlagestrategie?Sie sind begrenzt. Auch wenn A-Aktien aufgenommen worden wären, wäre ihr Anteil am MSCI Asia Index trotz der Größe des Marktes auf 1,3 % begrenzt geblieben. Es gibt Begrenzungen durch die QFII-Regeln, es gibt auch Begrenzungen, was die Gesamtzahl ausländischer Aktionäre betrifft, die 30 % nicht übersteigen dürften. Investitionen in chinesische Aktien durch Fonds sind damit auch begrenzt. Wir warten darauf, dass China-A-Aktien dereinst voll in den MSCI Emerging Markets Index aufgenommen werden. Bis dies geschieht, werden aber noch einige Jahre vergehen, vergleichbar mit dem Aufnahmeprozedere von Korea oder Taiwan vor einigen Jahren.- Ist die Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme in der nächsten Runde gestiegen?Das dürfte stark vom Verhalten des chinesischen Regulators abhängen. Wir haben aber bisher noch kein positives Feedback von dieser Seite erhalten. Kein Thema war übrigens der Einbezug der in Shenzhen gelisteten Aktien. Das QFII-Schema und das Shanghai-Hongkong-Connect-Programm, das die Börsen in Schanghai und Hongkong verbindet, geben uns zwar breiten Zugang zu chinesischen Aktien, aber wir erwarten, dass auch der Markt in Shenzhen an die internationalen Märkte angekoppelt wird. Es gibt dazu keine formale Agenda, darum ist offen, wann dies geschieht. Eine Anbindung würde etwas Erleichterung im Settlement bringen. Derzeit halten wir drei in Shenzhen gelistete Aktien in unserem Portfolio.- Was halten Sie von den Handelsunterbrechungen an den Festlandbörsen in Krisenphasen?Sagen wir so: Derjenige, der die Unterbrechungen eingeführt hat, ist nicht mehr im Amt. Wir hatten eine Aktie im Portfolio, die von einer Aussetzung betroffen war und die wir fast zwei Monate nicht handeln konnten. Inzwischen müssen die Börsen erklären, warum sie eine Handelsunterbrechung anordnen, und sie sollten sie für einen nicht zu langen Zeitraum anordnen. Das Ziel ist, den Aktienmarkt von einem stark retailgetriebenen Markt hin zu einem reiferen Markt umzuwandeln, der stärker von langfristigen Investoren getrieben ist, etwa durch Institutionelle. Aber das ist ein sehr langer Prozess. China setzt gerade deshalb auch auf eine stärkere Teilnahme ausländischer Investoren.- Nach dem Brexit-Votum sind europäische Aktien stark unter Druck geraten, nicht so aber chinesische. Zu Recht?Der Einfluss des Brexit auf die von uns gehaltenen chinesischen Unternehmen dürfte mit Blick auf Bilanz und Erfolgsrechnung minimal sein. Im Januar und Februar haben viele chinesische Unternehmen ihre Verbindlichkeiten in Fremdwährungen in Renminbi umgewandelt, was zu fallenden Währungsreserven geführt hat. Insofern sind die damit verbundenen Währungsrisiken gut zu managen. Ansonsten spielt Großbritannien als Absatzmarkt für unsere Titel kaum eine Rolle.- Warum hatte die Abwertung des Renminbi Ende Juni keine vergleichbaren Konsequenzen wie im Sommer 2015, als die Aktienkurse ins Rutschen kamen? Ist diese Korrelation aufgelöst?Es brauchte etwas Zeit, bis die Investoren die Gründe für die Abwertung des Renminbi verstanden haben. Die chinesische Zentralbank hat die Anbindung der Landeswährung geändert – vom Dollar an einen Währungskorb mit den Devisen der wichtigsten Handelspartner. Diesen Peg hält sie auch ein – so ist es der People’s Bank of China gelungen, Vertrauen im Markt zurückzugewinnen. Zudem haben sich die Kapitalabflüsse aus China zuletzt deutlich reduziert. Es ist aber zu früh, die Trendwende auszurufen.- Wie wichtig sind die Wachstumszahlen der Wirtschaft?Mindestens seit drei Jahren steigt der Anteil des Dienstleistungssektors – er macht inzwischen rund 90 % des Wachstums aus. Dadurch wird die Wirtschaftsleistung ausgeglichener, die Qualität wird besser. Wir sehen eine Reihe Unternehmen, die in diesem Umfeld attraktive Perspektiven haben. Auch sind die Bewertungen im Jahresvergleich gesunken, sowohl in Hongkong als auch in Festlandchina. Viele Retail-Investoren im A-Aktien-Markt denken, dass große Unternehmen keine guten Wachstumsaussichten haben, weil sie bereits so groß sind. Wir haben da eine ganz andere Meinung.- Zum Beispiel?Wir sind am größten Milchverarbeiter Chinas beteiligt, an Inner Mongolia Yili, und wir halten eine Position am Weltmarktführer in Überwachungstechnologie, Hangzhou Hikvision. Wenn sich das Wirtschaftswachstum stark verlangsamen würde, ist von diesen Unternehmen immer noch ein überproportionales Ergebniswachstum zu erwarten. So profitiert Inner Mongolia Yili vom Wechsel auf Produkte mit ultrahocherhitzter Milch, Eis oder auch dem Wachstum bei Babynahrung.- Warum sollte ein Anleger in einen chinesischen Lebensmittelkonzern investieren und nicht in eine Nestlé oder Unilever?Ich kann hier nur in Bezug auf Asien antworten. Wir beobachten in unserem asiatischen Anlageuniversum Unternehmen wie Unilever Indonesia oder das Konglomerat ITC in Indien, die heute mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis zwischen 30 bis 40 bewertet sind und ein ähnliches Wachstumspotenzial wie der chinesische Milchproduzent aufweisen. Letzterer wird aber nur zum 15-fachen Gewinn je Aktie gehandelt.- Noch einmal, was spricht für chinesische Titel?Es gibt viele Unternehmen, die laut unserer Einschätzung ihren Gewinn mindestens über einen Fünfjahreszeitraum über 10 % p. a. steigern können. Dafür bezahlen wir knapp das 12-Fache des im nächsten Jahr erwarteten Ergebnisses je Aktie. Im Schnitt haben unsere China-Aktien eine Dividendenrendite von 3,1 %. Wir können nicht sicherstellen, dass in den nächsten sechs Monaten ein Kursgewinn damit gemacht werden kann, aber auf lange Sicht sind wir sehr zuversichtlich.- Wie sieht es mit der Transparenz aus? Ausländische Investoren im Bondmarkt bemängeln, chinesische Firmen würden zu wenig offen berichten. Es sollten etwa die großen vier Wirtschaftsprüfer mehr zum Zuge kommen, um Glaubwürdigkeit herzustellen.Anleihen und Aktien lassen sich nicht vergleichen. Der Bondmarkt ist jünger, ein Interbankenmarkt, auf dem die Regulierung lockerer ist als am Aktienmarkt. Dieser Markt ist weniger transparent. Viele Investoren gehen über den Offshore-Bondmarkt in diesen Bereich; es ist aufgrund der Rechtsstruktur aber schwieriger, Ansprüche zu formulieren. Bei Aktien ist es etwas anders. Wir geben Unternehmen, die eine der großen Audit-Gesellschaften beauftragen, einen gewissen Vertrauensvorschuss. Wir sehen aber nicht einen großen Unterschied bezüglich Geschäfts- und Managementqualität zwischen gelisteten Onshore- und Offshore-Unternehmen. Viele Marktteilnehmer meinen, A-Aktien seien denen in Hongkong unterlegen. Die ersten Unternehmen, die in Hongkong gelistet wurden, waren Unternehmen in Staatsbesitz – State Owned Entities, wie die größte chinesische Bank, ICBC, oder China Mobile. Diese Geschäftsmodelle sind international vergleichbar. A-Titel bieten mehr Auswahl und Unternehmergeist. Hier muss man genau auswählen.- Bauen Sie eine Sicherheitsmarge für fehlende Transparenz ein?Wir arbeiten mit einem Discounted-Cash-flow-Modell. Für Onshore-Unternehmen setzen wir einen etwas höheren Diskontsatz an, um die höheren Risiken zu berücksichtigen. Wir berücksichtigen hier auch nichtfinanzielle Kriterien mit einem ESG-Ansatz – also Themen wie Umweltschutz, soziale Fragen und gute Unternehmensführung.- Wie wichtig sind Dividenden?Wir sind kein Dividendeninvestor, wir mögen Ausschüttungen, aber es ist ein Nice-to-have. Wir mögen Unternehmen, die starke freie Mittelzuflüsse erarbeiten und fähig sind, diese selbst langfristig in Wachstum zu investieren. A-Aktien bieten übrigens mit durchschnittlich 4,6 % eine höhere Dividendenrendite als Offshore-Aktien mit 3,1 %.- Welche Sektoren mögen Sie?Werte mit einer guten Franchise wie Marken oder Innovationskraft, die es ihnen erlaubt, trotz konjunktureller Schwierigkeiten wachsen zu können. Rohstoff- oder Werkstoffunternehmen mögen wir nicht, da sie diese Kriterien oft nicht erfüllen und zu sehr von der Makroökonomie abhängen. Wir sind auch Banken gegenüber sehr zurückhaltend. Derzeit und in der Vergangenheit halten und hielten wir in unserem Greater-China-Portfolio keinen einzigen Banktitel. Es fehlt an Transparenz, und es gibt wenige Differenzierungsmöglichkeiten. Wir mögen Konsumtitel, mit starkem Vertriebssystem oder starken Marken, ebenso Informationstechnologie. Besonders sind auch Versicherer auf unserem Radar, und zwar insgesamt in Asien. Die Durchdringung mit Versicherungsprodukten ist noch gering, und wenn das verfügbare Einkommen steigt, wächst der Bedarf an Alters- und Risikovorsorge. Das regulatorische Umfeld ist sehr freundlich.- Wie beurteilen Sie die Kreditqualität in Chinas Bankensektor?Wir gehen davon aus, dass die Angaben zu den notleidenden Krediten nicht das tatsächliche Niveau zeigen, aber wir wissen nicht, in welchem Maße wir tiefstapeln. Das Problem besteht darin, dass unprofitable und hoch verschuldete Staatsunternehmen von staatlichen Banken mit Liquidität versorgt werden. Wir sehen erste Initiativen, faule Kredit auszulagern und an private Investoren mit hohen Abschlägen zu verkaufen.- Wie groß ist das Problem?Das steigende Kreditwachstum im ersten Quartal hat uns beunruhigt. Es gibt Reformen, aber die Regierung könnte proaktiver sein, um das Kreditwachstum zu kontrollieren und Überschusskapazitäten aus dem Markt zu nehmen. Die Frage ist, ob China weiter einen hohen Schuldenstand zulässt und damit etliche Zombie-Unternehmen weiterexistieren. Das wollen wir selbstverständlich nicht sehen. Es braucht eine Reform auf der Angebotsseite, und bisher geht es hier ziemlich langsam voran. Banken geben solchen Unternehmen weiter Kredit, das enttäuscht uns. Überschusskapazitäten werden somit zu zögerlich abgebaut. Das ist derzeit unsere größte Sorge.—-Das Interview führte Dietegen Müller.