IM INTERVIEW: MICHAEL PUNZET, DZ BANK

"Abgesang auf Autoindustrie voreilig"

Analyst: Fundamentale Entwicklung sieht gut aus - Bewertungen im historischen Maßstab günstig

"Abgesang auf Autoindustrie voreilig"

Die deutsche Automobilindustrie macht derzeit mit sehr unerfreulichen Themen, dem Abgasskandal und nun auch noch Kartellvorwürfen, von sich reden. Fundamental gestaltet sich die Entwicklung der Branche positiv, ist Michael Punzet, Automobilanalyst der DZ Bank, überzeugt.- Herr Punzet, die negativen Meldungen über die deutsche Autoindustrie – Stichworte Dieselgate und Kartellvorwürfe – reißen nicht ab. Droht hier ein gravierender und nachhaltiger Schaden für die Branche?Es wäre schön, wenn etwas Ruhe einkehren und sich die Diskussion versachlichen würde. Derzeit wird alles in einen Topf geworfen und der Diesel zum Buhmann erklärt. Die Automobilhersteller wiederum wollen und können sich teilweise nicht äußern, was das angekratzte Image nicht gerade verbessert. Viele Fragen sind zudem ungeklärt. Welche Messmethoden sind eigentlich die richtigen? So wissen wir zum Beispiel bereits seit Jahren, dass der Straßenverbrauch deutlich vom Laborverbrauch abweicht. Die entstandene Verunsicherung wird nun noch durch die diskutierten Diesel-Fahrverbote verstärkt. Im Ergebnis schlägt sich das auch in den Zulassungszahlen deutlich nieder. In den zwölf Monaten vor dem Bekanntwerden der Abgasaffäre noch bei 48 %, lag der Anteil der Dieselfahrzeuge an den Neuzulassungen in den zurückliegenden zwölf Monaten nur noch bei 43,1 %. Zuletzt hat sich dieser Trend deutlich beschleunigt, angestoßen durch die Diskussion über Fahrverbote in Berlin und Hamburg und das Stuttgarter Gerichtsurteil. Die Hersteller müssen jetzt das Vertrauen wiederherstellen.- Wie gravierend ist die Öko-Problematik des Diesel?Die Klimavorgaben definieren sich über den CO2-Ausstoß. In dieser Hinsicht hat der Diesel sogar Vorteile gegenüber dem Benziner. Zudem ist die Stickstoffbelastung zu einem Teil dem Diesel anzulasten, aber keineswegs ausschließlich. In Stuttgart beispielsweise dürfen bei hohen Feinstaubwerten auch Komfort-Kamine nicht betrieben werden, aber das wird in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Alles ist auf Diesel fokussiert, was durch die jüngsten Skandale begünstigt wird. Im Übrigen ist der CO2-Ausstoß der gesamten Flotte durch die Verlagerung hin zum Benziner nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts sogar gestiegen. Für die Autoindustrie wird es immer schwerer, die CO2-Vorgaben einzuhalten.- Wie bewerten Sie das Ergebnis des Diesel-Gipfels?Wir sehen das Ergebnis des Diesel-Gipfels als ersten Schritt, haben aber Zweifel ob dieser ausreicht, das Sentiment nachhaltig zu verbessern. Ob die Software-Updates ausreichen werden, Fahrverbote wie beispielsweise in Stuttgart zu vermeiden, dürfte unserer Meinung nach letztendlich durch Gerichte entschieden werden.- Wie ist es jenseits der aktuellen Aufregerthemen denn um die wirtschaftliche Entwicklung der Autohersteller bestellt?Die fundamentale Entwicklung sieht gut aus. Weltweit gibt es ein moderates Wachstum der Neuzulassungen. Auch die Zahlen der Unternehmen sind derzeit positiv. Daimler etwa hat ein Rekordergebnis vorgelegt und die Prognose für den Nutzfahrzeugbereich erhöht. Noch sieht man keine Belastungen durch die Abgasthematik. Die Investitionen in die E-Mobilität und das autonome Fahren werden in den nächsten Jahren allerdings bei allen Herstellern steigen müssen.- Laufen die deutschen Autohersteller Gefahr, in puncto E-Mobilität den Zug zu verpassen bzw. was müssten sie tun?Die Unternehmen haben sicherlich weiter reichende Pläne für die E-Mobilität in der Schublade, als wir sie kennen. Allerdings halten sie sie mit Blick auf die Konkurrenz unter Verschluss. Bislang ist der Absatz von E-Fahrzeugen jedenfalls noch gering, nicht zuletzt, weil die dafür notwendige Infrastruktur, d.h. insbesondere Ladestationen, nicht vorhanden ist. Der Trend hat aber klar in Richtung E-Mobilität gedreht. China, das als der Kernmarkt für die E-Mobilität gilt, ist hierbei ein Sonderfall. Hier wird das Thema vom Staat vorangetrieben. In Deutschland hingegen sehe ich in nächster Zeit keinen starken Nachfrageanstieg, da eben die Infrastruktur fehlt. Hier muss über die reine Herstellerebene hinaus noch Vieles getan werden. Der Abgesang auf die deutsche Automobilindustrie erscheint uns jedenfalls voreilig. In vielen Segmenten laufen die Absätze gut, etwa bei SUVs – und das trotz der gegenwärtigen Diskussion. Etliche Modelle haben zuletzt Rekordabsätze erzielt.- Wie sauber ist eigentlich das E-Auto?Auch das E-Auto hat seine ökologisch problematischen Seiten. So ist die Produktion von Batterien sehr energieintensiv. Der Abbau der dafür benötigten Rohstoffe ist zudem oft mit Umweltproblemen verbunden. Auch ist die Frage zu stellen, aus welchen Quellen der Strom für den Betrieb kommt. In Deutschland wird ja immer noch stark auf Kohlekraftwerke gesetzt. Das Gleiche gilt für China. Das Luftverschmutzungsproblem wird hier aus den Städten zu den Standorten der Kohlekraftwerke verlagert. All dies sind Themen, die in der gegenwärtigen Diskussion weitgehend ausgeblendet werden, weil Viele im E-Auto die Lösung aller Probleme vermuten.- Welchen Einfluss haben die Währungen auf die Ergebnisse der Unternehmen? Dollar, Pfund und Yuan sind deutlich gegenüber dem Euro gesunken.Im Vergleich zu früher belasten die Währungen eher die Stimmung als die realen Ergebnisse. Die Autohersteller haben Produktion in andere Währungsräume verlagert. Probleme bereiten in Teilen die Schwellenländerwährungen, für die es keine adäquaten Währungsabsicherungsmöglichkeiten gibt.- Die Bewertungen der Autobranche gelten als sehr niedrig. Was sagen Sie dazu?Im historischen Maßstab sind die Bewertungen günstig. Daimler hat ein KGV von weniger als 7, die Dividendenrendite beträgt 6 %. In der günstigen Bewertung kommt die Unsicherheit wegen der Skandale zum Tragen, zudem die Frage, wie die Branche die Umstellung auf die E-Mobilität und das autonome Fahren bewerkstelligen kann. Im Hinblick auf den Gesamtsektor wirken die eingepreisten Unsicherheiten, auf Basis der aktuell vorliegenden Informationen, überzeichnet.- Welche Risiken oder auch Chancen bedeutet die E-Mobilität für die Zulieferer?Auch die Zulieferer fangen an, sich zu transformieren. Zu bedenken ist dabei, dass Schätzungen zufolge der globale Anteil batteriebetriebener Fahrzeuge im Jahr 2025 erst bei zwischen 10 und 15 % liegen wird. Mindestens 85 % werden demnach immer noch von Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Zusammen mit dem zu erwartenden Gesamtmarktwachstum deutet dies auf eine stabile Entwicklung der Stückzahlen hin. Dennoch favorisieren wir Zulieferer, die relativ unabhängig von der vorherrschenden Antriebsarbeit der Fahrzeugflotte sind.- Können Sie Beispiele nennen?Continental und Hella sind im Thema Fahrerassistenzsysteme gut positioniert. Bei Continental kommt noch hinzu, dass der Anteil des Geschäfts mit Dieselfahrzeugen relativ klein ist. Hella ist mit seinen Produkten weitestgehend unabhängig von der Fahrzeugantriebsart.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.