IM INTERVIEW: NADJA SCHLIEBENER, BNY MELLON

"ADR öffnen Unternehmen Zugang zu US-Investoren"

Client Executive: Für Emittenten können sich Bewertungsvorteile ergeben - Ein bis zwei neue Programme in Deutschland pro Jahr erwartet

"ADR öffnen Unternehmen Zugang zu US-Investoren"

Der ADR-Markt (Aktien vertretende Zertifikate) befindet sich unvermindert auf Wachstumskurs, auch in Deutschland. So hat kürzlich BMW einen Vertrag über ein Sponsored-ADR-Programm mit dem Wertpapierverwahrer BNY Mellon unterzeichnet. Nadja Schliebener, Client Executive bei BNY Mellon, erwartet für dieses Instrument weiteres Wachstum in Deutschland.- Frau Schliebener, was unterscheidet ein Sponsored-ADR-Programm von anderen ADR?Ein Sponsored-ADR-Programm beruht auf einem Vertrag zwischen einem Unternehmen und einer Depositary Bank. Es handelt sich um eine Exklusivvereinbarung, durch die es nur eine Depositary Bank gibt, die ein ADR auf die Aktie des Unternehmens herausgeben darf.- Welche Vorteile hat so ein Programm für Emittenten?Generell wollen Unternehmen mehr Kontrolle über ein Programm haben. Sie arbeiten mit einer ausgewählten Bank zusammen und erhalten alle Services aus einer Hand. Theoretisch besteht für die Banken jedoch keine Verpflichtung, mit einem Unternehmen zu sprechen, bevor ein ADR-Programm aufgelegt wird. Aber keine Bank will gegen den Willen eines Kunden oder potenziellen Kunden handeln. Unternehmen haben aber in der Regel auch keine Einwände gegen die Auflage von ADR.- Worin besteht denn der Nutzen von ADR für Unternehmen allgemein?ADR öffnen Unternehmen Zugang zu Investoren in den USA. In den Vereinigten Staaten gibt es eine große Spanne von Investoren, die nur in den USA gelistete Aktien halten dürfen. Ein ADR ist ein Hinterlegungsschein, der am US-Aktienmarkt gehandelt werden kann. Dadurch erhalten amerikanische Anleger die Möglichkeit, in ausländische Unternehmen zu investieren. Vorteile für Emittenten können sich auch bewertungsseitig ergeben. Gerade in der Biotechnologiebranche ist die Bewertung in den USA höher als bei einer Kapitalaufnahme in Deutschland. Mit ADR wird ausländischen Konzernen auch die Möglichkeit eröffnet, ihren Mitarbeitern in den USA Aktien anzubieten. Sie würden sich damit schwertun, in Deutschland Anteile an einem Unternehmen zu halten, was auch mit Kosten verbunden ist. Große Firmen mit bekannten Namen beziehungsweise Marken können zudem mit ADR amerikanische Privatanleger ansprechen.- Welchen Nutzen haben die Investoren?US-Investoren können über ADR ihre Portfolios global diversifizieren. Derzeit stehen ihnen ADR auf Unternehmen aus 65 Ländern zur Verfügung. ADR werden so gehandelt und abgewickelt wie in den USA üblich und sind daher für amerikanische Anleger verständlich. Notierung und Dividendenausschüttungen erfolgen in Dollar. Anleger haben daher keine Vielzahl von Währungen in ihren Portfolios. Sie müssen daher auch keine Währungsumrechnung für die Bewertung vornehmen, Dividendenerträge werden nicht in ausländischer Währung gezahlt und müssen auch nicht kostspielig in Dollar umgetauscht werden. Letzteres ist für große Investoren wie etwa Fidelity natürlich kein Problem, aber für kleinere Investoren.- Wie groß ist der globale ADR-Markt? Wächst der Markt?Im Jahr 2015 hatten 4 533 institutionelle Investoren aus den USA DR (Depository Receipts) in ihren Portfolien. 2010 waren es rund 3 261. Auch bei den in DR gehaltenen Vermögen gibt es ein stetiges Wachstum. 2015 wurden 764 Mrd. Dollar in DR gehalten, 2010 waren es 573 Mrd. Dollar. Das sind die globalen Zahlen, die neben ADR auch die GDR (Global Depository Receipts) einschließen.- Was unterscheidet GDR und ADR?Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass ADR in den USA und GDR global gehandelt werden. Ansonsten sind sie vom Produkt her im Wesentlichen gleich. Es gibt lediglich kleinere Unterschiede in den Prozessen.- Die Rangliste der ADR mit den höchsten Umsätzen werden von Emittenten aus den Schwellenländern angeführt. Woran liegt das?Die lokalen Finanzmärkte der Schwellenländer sind in den allermeisten Fällen einfach nicht groß genug, um gerade den ganz großen Konzernen eine hinreichende Finanzierung zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für sehr große russische Unternehmen. Gesellschaften wie beispielsweise die Energieriesen Gazprom oder auch Rosneft haben GDR als Finanzierungsinstrument genutzt. Brasilianische Großkonzerne wie Petrobras und Vale nutzen ADR. Auch chinesische Unternehmen wie etwa Alibaba greifen auf ADR zurück. Auf der anderen Seite wollen wiederum die Investoren nicht so gerne an den lokalen Börsen der Schwellenländer handeln. Sie sind mit der jeweiligen Corporate Governance nicht so gut vertraut, Handel und Nachhandelsprozesse sind komplizierter. In vielen Schwellenländern ist es zudem recht teuer, Konten zu unterhalten, um dort Aktien zu handeln.- Läuft das dann darauf hinaus, dass der überwiegende Teil des Handels in diesen Emerging-Market-Aktien über ADR und GDR läuft?Das ist definitiv so. Ein sehr großer Anteil der Aktionäre dieser Unternehmen hat durch ADR und GDR investiert, der Handel der Depository Receipts findet hauptsächlich in New York und London statt.- Sie haben kürzlich einen Vertrag über ein Sponsored-ADR-Programm mit BMW unterzeichnet. Wie viele beziehungsweise welche deutschen Unternehmen haben Sie unter Vertrag?Wir haben Verträge mit 17 Unternehmen, darunter neben BMW noch die Dax-Gesellschaften Bayer, Commerzbank, Fresenius Medical Care, Henkel und RWE. Hinzu kommen die MDax-Unternehmen Hannover Rück und Hugo Boss sowie TecDax-Firmen wie etwa Software AG. Außerdem haben wir Verträge mit Unternehmen, die nicht in den Auswahlindizes der Deutschen Börse zählen, so zum Beispiel Epigenomics. Biotech- sowie Technologieunternehmen können in den USA in den Genuss höherer Bewertungen kommen. Es gibt dort wesentlich mehr branchenaffine beziehungsweise auf diese Sektoren spezialisierte Investoren.- Wie groß sind Ihre Marktanteile in Deutschland und weltweit?BNY Mellon betreut 17 der 39 gesponserten deutschen ADR-Programme. Das entspricht einem Marktanteil von ungefähr 44 %. Weltweit halten wir rund 57 % der gesponserten ADR-Programme.- Welche Banken sind noch in dem Geschäft in Deutschland aktiv?Gesponserte ADR-Programme haben auch Citigroup, Deutsche Bank und J. P. Morgan.- Rechnen Sie am deutschen Markt mit weiterem Wachstum?Wir sind mit Unternehmen im Gespräch und stellen fest, dass sie durchaus Interesse haben. Der US-Markt ist sehr groß und tief und kann wie gesagt Bewertungsvorteile bieten. Es kann sich für die Unternehmen lohnen, ADR als ein weiteres Investor-Relations-Instrument einzusetzen. Das Thema ist auch in den Investor-Relations-Abteilungen angesiedelt. Bezogen auf den Gesamtmarkt, also inklusive unserer Wettbewerber, rechnen wir für Deutschland mit ein bis zwei neuen ADR-Programmen pro Jahr. Bezüglich der Bestandsentwicklung ist zu berücksichtigen, dass gelegentlich Programme durch Fusionen beziehungsweise Übernahmen eingestellt werden.- Hat die strengere Regulierung in den Vereinigten Staaten, die zu Beginn des Jahrtausends durch die schweren Betrugsskandale bei einigen Unternehmen ausgelöst wurde, den ADR in die Hände gespielt?Eine Vielzahl von Unternehmen hat sich damals für ein Delisting in New York entschieden, weil ihnen die neuen Vorschriften nach Sarbanes-Oxley zu rigide oder aufwendig waren, aber sie haben ihre ADR-Programme beibehalten.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.