LEITARTIKEL

Aktien steuern auf Zenit zu

Wie schon 2016 sprengt der Aktienmarkt in diesem Jahr die Erwartungen - allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. Nachdem im zurückliegenden Jahr Befürchtungen über eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft dafür sorgten, dass der Dax mit seinen...

Aktien steuern auf Zenit zu

Wie schon 2016 sprengt der Aktienmarkt in diesem Jahr die Erwartungen – allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. Nachdem im zurückliegenden Jahr Befürchtungen über eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft dafür sorgten, dass der Dax mit seinen heftigen Verlusten in den ersten Monaten selbst die negativsten Prognosen übertraf, überrascht der Index im laufenden Turnus nach oben. Mit derzeit 12 615 Zählern liegt er oberhalb der gesamten von 10 900 bis 12 600 Punkten reichenden Spanne der Sechsmonatsprognosen, die zur Jahreswende im Rahmen des ZEW-Finanzprognosetests abgegeben wurden.Weltweit profitieren die Aktienmärkte nach wie vor vom Niedrigrenditeumfeld und dem damit verbundenen Mangel an Anlagealternativen. Vor allem aber haben sich im zweiten Halbjahr 2016 auch die realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgehellt. Nach jahrelangen Abwärtsrevisionen sind die Erwartungen an das globale Wachstum erstmals wieder nach oben korrigiert worden. Die Unternehmensgewinne haben ihre – je nach Region – Abwärtsbewegung beziehungsweise Stagnation überwunden und nach oben gedreht. Sie schlagen nun die Erwartungen des Marktes mit der Folge, dass die Prognosen nun nach oben angepasst werden müssen und nicht mehr nach unten. In diesem Umfeld stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Dax in absehbarer Zeit auch erstmals über die Schwelle von 13 000 Punkten steigt.Ob dem Aktienmarkt über den kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont, das heißt über die kommenden ein bis drei Jahre hinaus rosige Zeiten bevorstehen, ist jedoch fraglich. Schließlich steht der im März 2009 nach dem Lehman-Kollaps gestartete Bullenmarkt eben nicht am Anfang, sondern befindet sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Zwar bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die nächste Baissephase unmittelbar bevorsteht, nicht zuletzt, weil die massiven geld- und zunehmenden fiskalpolitischen Impulse eine lebensverlängernde Wirkung zu entfalten scheinen. Jeder Bullenmarkt muss aber eines Tages enden, und dieser Zeitpunkt rückt unweigerlich immer näher. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch der Konjunkturzyklus sehr weit fortgeschritten ist. Gleichzeitig haben die Bewertungen gerade im bei weitem wichtigsten und richtungweisenden amerikanischen Aktienmarkt ein Niveau erreicht, das mindestens anspruchsvoll ist.In mehrfacher Hinsicht drohen die Kräfte, die den seit mehr als acht Jahren anhaltenden Bullenmarkt getragen haben, sich allmählich gegen ihn zu wenden. So ist angesichts des fortgeschrittenen Konjunkturzyklus zweifelhaft, dass die positive Wende der Unternehmensgewinne über 2017 beziehungsweise 2018 hinaus anhalten kann. Die recht zuversichtlichen Konsensprognosen für die Ergebnisse in diesem und im kommenden Jahr – für die Dax-Unternehmen werden Steigerungen um 11 % und 7 % unterstellt – sind mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen von rund 14 bzw. 13 jedenfalls bereits ein Stück weit eingearbeitet. Zudem ist der Zinssenkungszyklus am kurzen und langen Ende ausgelaufen beziehungsweise hat gerade in den USA bereits nach oben gedreht, wodurch der Bewertungsvorteil von Dividendentitel geschmälert wird. Hinzu kommen als weitere kontraproduktive Faktoren die weltweit weiter gestiegene Gesamtverschuldung und die ungünstige demografische Entwicklung in den Industrienationen.Über die weitere Lebensdauer des Bullenmarktes kann natürlich nur spekuliert werden. Ein interessantes Szenario hat kürzlich die DZ Bank entworfen. Einen Anstieg der Dax-Unternehmensgewinne in den Jahren 2018 und 2019 um je 10 % voraussetzend geht sie davon aus, dass der Dax 2019 oder 2020 bei rund 14 000 Punkten sein zyklisches Hoch erreichen wird, ehe es unter anderem angesichts steigender Kapitalmarktzinsen “zunehmend unangenehm” wird. Das würde bedeuten, dass der Bullenmarkt noch zwei bis drei Jahre anhält und der Index immerhin noch um 11 % zulegen würde, ein Ertrag, den Bundesanleihen ganz gewiss nicht erzielen werden.Aber auch diese recht günstige Entwicklung würde nichts an der Tatsache ändern, dass der Aktienmarkt unweigerlich auf seinen Zenit zusteuert. Steigen die Bewertungen deutlich weiter an, werden sich Langfrist-Investoren die Frage stellen müssen, ob sie noch zufriedenstellende Erträge erwarten können. Letztlich bedeutet das, dass sich das Chance-Risiko-Verhältnis am Aktienmarkt zusehends verschlechtert.——–Von Christopher KalbhennSteigen die Bewertungen deutlich weiter an, werden sich Langfrist-Investoren die Frage stellen müssen, ob sie noch zufriedenstellende Erträge erwarten können.——-