Aktienmärkte legen Brexit-Sorgen ab
Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtAuf den ersten Blick würde niemand vermuten, dass etwas für die Aktienmärkte Gravierendes geschehen sein könnte. Sie haben sich vom ersten Schock nach dem Brexit-Votum erholt und notieren teilweise höher als vor jenem 23. Juni. Der US-Index S & P 500 hat sogar Rekordhöhen erreicht. Zwar hat der Dax in der abgelaufenen Woche um 4,5 % und damit deutlicher zugelegt als der S & P 500. Mit zuletzt 10 0067 Punkten liegt er aber noch unter dem Stand von vor der Bekanntgabe des Ergebnisses des Brexit-Votums. Auch seit dem Jahresbeginn ergibt sich mit – 6,3 % ein schwächeres Ergebnis als beim US-Index (+ 5,7 %).Zu dessen jüngster Outperformance dürften neben dem Brexit-Votum auch die robusten US-Konjunkturdaten insbesondere vom Arbeitsmarkt beigetragen haben. Der Dax hat aber von den festen Vorgaben der Wall Street profitiert, und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er im Vergleich zum S & P 500 noch aufholt. Zumal seine Bewertung deutlich günstiger ist. Der Commerzbank zufolge erreichte KGV-Abschlag zum S & P 500 auf Basis der Konsensergebnisschätzungen für die nächsten zwölf Monate in der abgelaufenen Woche mit 5,4 Punkten ein Rekordhoch. Der Zehnjahresdurchschnitt liegt bei 2,7 KGV-Punkten.Strategen sind aber der Auffassung, dass in den kommenden Monaten kaum Aufwärtspotenzial besteht. Eine längerfristig andauernde Aktien-Rally werde wohl nur ein Sommermärchen bleiben, so etwa Julius Bär. Als Risiken seien eine von den Märkten nicht erwartete Zinserhöhung durch die Fed sowie eine stärkere Wachstumsverlangsamung in China hervorzuheben. “Eine weitere Erholung werden wir eher für Gewinnmitnahmen denn zum Aufbau von Positionen nutzen”.M. M. Warburg bezweifelt, dass nach dem Brexit-Votum nun wieder zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Ein erster Hinweis darauf, dass eine eher skeptische Sichtweise berechtigt sein könnte, sei die Entwicklung der Gewinnschätzungen der Stoxx-600-Unternehmen. Hier habe sich von April 2016 bis zum Brexit-Votum eine Stabilisierung abgezeichnet; leider seien die Prognosen der Analysten im Konsens kurz nach dem Brexit recht deutlich nach unten revidiert worden. Insgesamt seien sie für das Jahr 2016 nun schon seit Anfang des Jahres um 14 % gefallen. Setze sich dieser Trend in der kommenden Berichtssaison fort, würde der europäische Aktienmarkt auch bei konstanten Kursen beginnen, eher teuer bewertet zu sein. Auf der anderen Seite sei die Differenz zwischen der Rendite von Staatsanleihen und der Dividendenrendite derart hoch, dass Investoren fast schon aus Verzweiflung Aktien kaufen könnten. Ob dies aber ein solides Fundament für einen lang anhaltenden Aufschwung am Aktienmarkt sei, bleibe dahingestellt. Auch die DZ Bank ist bezüglich der Gewinne skeptisch. Sie erwartet, dass sich die Prognosen, die für das Dax-Ergebniswachstum des nächsten Jahres von 12 % ausgehen, “im Zuge der schlechteren Konjunkturaussichten für Europa deutlich abkühlen werden”. Dies werde auf Indexebene besonders ab der Berichtssaison für das erste und zweite Quartal 2017 zum Tragen kommen, bei einigen Titeln werden vereinzelt auch schon im vierten Quartal 2016. Durch die Mischung aus fehlender Fantasie beim Gewinnwachstum und zunächst viel Unruhe am Markt durch EU-Politik, Gewinnwarnungen etc. drohe dem Dax in den nächsten zwölf Monate eine hohe Schwankungsintensität ohne große Kursavancen. Dazu kämen möglicherweise Belastungen von außerhalb, u.a. den US-Wahlen.