IM INTERVIEW: HARALD PREISSLER, BANTLEON BANK

"Aktienmärkte sind hoch bewertet"

CIO: In den nächsten Monaten ist mit einer Abwärtsbewegung zu rechnen - Kapitalerhalt ist die Maxime

"Aktienmärkte sind hoch bewertet"

Die Aktienmärkte haben sich deutlich von ihren im Februar erreichten Tiefstständen abgesetzt, der Dax hat wieder die Schwelle von 13 000 Zählern erreicht. Davon sollten sich Anleger nach Überzeugung von Harald Preißler nicht blenden lassen. Der CIO der Bantleon Bank geht davon aus, dass es innerhalb der kommenden zwölf Monate zu einer deutlichen Abwärtsbewegung kommen wird.- Herr Preißler, die Aktienmärkte haben sich in den zurückliegenden Wochen erholt. Sehen Sie weiteren Spielraum nach oben?Kurzfristig zeigt der Trend zwar nach oben, mit Blick auf die längere Zeitskala sind wir schon seit einiger Zeit skeptisch. Anhand unserer hauseigenen Frühindikatoren, die bis zu 18 Monate Vorlauf vor der Realwirtschaft haben, rechnen wir mit einer globalen konjunkturellen Abschwächung. Es gibt mehrere Faktoren, die uns zur Vorsicht veranlassen. Dazu zählt insbesondere die globale Liquidität. Die Geldmenge wächst seit mehr als zwölf Monaten deutlich langsamer als zuvor. Das gilt nicht nur für den Euroraum, sondern auch für China, Japan und vor allem die USA. Dort wächst die Geldmenge nur noch um 3,5 %, und das bei einem nominellen Wachstum von 5 %. Die Phase, in der die Geldmenge sowohl für die Realwirtschaft als auch für üppige Finanzmarktgewinne reichte, ist vorbei. Inzwischen gibt es eine starke Rivalität und das trübt die Börsenaussichten.- Welche weiteren Faktoren veranlassen Sie zur Vorsicht?Hinzu kommen höhere Zinsen. In den USA haben sie sich am langen Ende in den zurückliegenden eineinhalb Jahren verdoppelt, im mittleren Bereich vervierfacht und am kurzen Ende von 0,5 auf 2,5 % verfünffacht. Die Niveaus sind absolut gesehen zwar noch niedrig. Aber der Anstieg saugt Kraft aus der Realwirtschaft und auch aus den Finanzmärkten ab. Zudem sind die Rohstoffpreise deutlich gestiegen. Bis Anfang 2016 waren sie ein Angstfaktor, weil die niedrigen Preise als Omen für ein schlechtes Wachstum der Weltwirtschaft betrachtet wurden. Der anschließende Anstieg hat die Anleger beruhigt, weil er Ausdruck der starken Konjunktur war. Nun wird er aber zum Bumerang, weil er für Druck auf die Unternehmensmargen sorgt. Einige Rohstoffindizes sind auf Jahressicht um 50 % gestiegen. Dazu kommen jetzt auch noch moderate Lohnsteigerungen. Insgesamt haben wir einen Mix, der uns vorsichtig agieren lässt. – Welche Rolle spielen politische Irritationen?Die geopolitische Lage scheint sich zuletzt etwas entspannt zu haben. Allerdings nimmt ihnen dies nicht ihre Schärfe. Die Lage um den Iran ist unklar, die Lage im Handelskonflikt zwischen den USA und China ebenfalls. Und die Pläne der eurokritischen Parteien in Italien sind eine große Belastung für den Anleihenmarkt. Das dürfte sich auch mit dem Ausrufen von Neuwahlen nicht ändern. – Wie sieht die Lage bewertungsseitig aus?Die Aktienmärkte sind hoch bewertet. Viele positive Nachrichten von den Unternehmensgewinnen und der Konjunktur sind längst eingepreist worden. Zugleich ist die Volatilität wieder sehr niedrig, was die Sorglosigkeit der Anleger widerspiegelt.- Sie erwarten demnach allenfalls noch geringe Avancen beim Dax.Einen Spurt des Dax auf neue Rekordhöhen halten wir für schwer vorstellbar, auch wenn man das angesichts des jüngsten Momentums nicht vollständig ausschließen kann. Aber deutlicher nach oben wird es angesichts der negativen Entwicklung der Makrokräfte nicht gehen. Vielmehr ist in den nächsten Monaten mit einer Abwärtsbewegung an den weltweiten Aktienmärkten zu rechnen. Bei den Unternehmensanleihen haben wir bereits eine Ausweitung der Spreads gesehen – und zwar sowohl bei Anleihen der Bonität Investment Grade als auch bei High Yields. Das zeigt, dass institutionelle Investoren bereits vorsichtiger werden. Sich ausweitende Anleihen-Spreads sind häufig ein Vorläufer für Ungemach an den Aktienmärkten.- Wie hoch würden Sie das Abwärtspotenzial für den Dax veranschlagen?Typischerweise taucht der Index in Konjunkturdellen in einer Größenordnung von 30 % ab; das ist der Durchschnitt der Historie. Auf den heutigen Stand bezogen würde das einem Stand des Dax von 9 500 Punkten entsprechen. Dabei muss ich betonen, dass der Vorlauf unserer Frühindikatoren bis in das Jahr 2019 hinein reicht, das heißt, innerhalb der kommenden zwölf Monate könnte es zu einer solchen Korrektur kommen. Und entscheidend für unser Anlagemanagement ist nicht, ob der Dax bis auf 9 500 oder 10 500 Punkte abrutscht, sondern dass ein erhebliches Abwärtspotenzial besteht, das zu starken Verlusten in den Portfolios führen kann. Auch die globalen Aktienmärkte dürften in den nächsten Monaten wegen der abkühlenden Konjunktur unter Druck geraten, weshalb Anleger kaum auf andere Regionen ausweichen können. – Wie sollen sich Investoren in diesem Umfeld positionieren?Entsprechend unseren Erwartungen vorsichtig. Üblicherweise lautet die Frage unserer Kunden: Womit können wir Geld verdienen? Derzeit muss sie lauten: Wie können wir verhindern, dass wir Geld verlieren? In diesem Jahr ist Kapitalerhalt die Maxime. Deshalb haben wir unsere Aktienquoten deutlich reduziert, ebenso konjunktursensible Anleihen wie Unternehmens- und Hochzinsanleihen. In Bundesanleihen und amerikanischen Treasuries hingegen sind wir übergewichtet, weil wir dort großes Potenzial für Kursgewinne sehen. Kurzum: Wir haben Risikoanlagen reduziert und Safe Havens ausgebaut. Außerdem haben wir Liquidität aufgebaut, damit wir in der Korrektur investieren können.- Was erwarten Sie für den Euro-Dollar-Wechselkurs?Wir sehen eine starke technische Entwicklung durch den Bruch der Marke von 1,22 Dollar pro Euro. Um 1,17 Dollar herum erwarten wir eine Stabilisierung des Euro. Die nächste größere Bewegung des Euro geht unseres Erachtens aber nach oben. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen spricht die voraussichtliche Entwicklung der transatlantischen Inflationsdifferenz eher für den Euro. Zum anderen dürfte er durch die mittel- bis langfristige Zinsentwicklung gestützt werden. Dass die Fed die Leitzinsen anhebt, ist hinreichend bekannt. Dass auch die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöht, wird dagegen das nächste große Thema sein – und das spricht für einen festeren Euro.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.