Aktienmärkte starten in das verflixte Siebener-Jahr

Niedrige Volatilität möglicherweise idealer Nährboden für stärkere Schwankungen in den kommenden zwölf Monaten

Aktienmärkte starten in das verflixte Siebener-Jahr

Von Jörg Scherer *)Das abgelaufene Jahr war beispielsweise mit dem Brexit-Votum in Großbritannien oder dem unerwarteten Ausgang der US-Präsidentschaftswahl reich an Überraschungen. Dennoch war an den Finanzmärkten eher eine niedrige Volatilität zu verzeichnen. Das ist möglicherweise der ideale Nährboden für größere Schwankungen in den kommenden zwölf Monaten. Deshalb dürften die Herausforderungen 2017 – vor allem auf der Aktienseite – nicht kleiner werden. Gesunde MarktbreiteBeginnen möchten wir unsere Analyse der Aktienmarktperspektiven mit dem Blick auf die grundsätzliche Marktverfassung. Dabei greifen wir auf den ältesten Marktbreitemaßstab überhaupt zurück, die Advance / Decline-Linie. Dieses Barometer bildet den Saldo aus gestiegenen und gefallenen Aktien für alle an der New York Stock Exchange (Nyse) gehandelten Papiere ab. Dank der beschriebenen Berechnungsweise treten strukturelle Schwächen einer Marktbewegung regelmäßig offen zu Tage. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn in der Spätphase einer Hausse nur noch wenige hochkapitalisierte Titel den zugrundeliegenden Index auf neue Hochstände ziehen, während die Masse der Indexmitglieder bereits zurückbleibt. Im Umkehrschluss ist eine Aufwärtsbewegung solange als gesund zu bezeichnen, wie diese von der Mehrzahl der Aktien getragen wird. Genau diese Konstellation liegt derzeit für alle an der Nyse notierten Papiere vor, denn die zuletzt erreichten neuen Allzeithochs bei Dow und Co. wurden durch neue Hochs im Verlauf der Advance- / Decline-Linie bestätigt. Im zweiten Schritt bemühen wir die gute alte Dow-Theorie. Zu Dows Kernforderungen zählte, dass sich Dow Jones Industrial Average und Dow Jones Transportation gegenseitig bestätigen müssen. Dahinter steckt ein gleichermaßen simpler wie logischer Ansatz: Wenn die Wirtschaft floriert und mehr Waren produziert werden, dann müssen mehr Waren von A nach B transportiert werden und davon sollten dann Transportunternehmen profitieren. An dieser Stelle hat der Markt eine lange bestehende “Achillesferse” ausgemerzt, indem der Transportindex im Rahmen eines starken Jahresschlussspurts 2016 sein aus dem November 2014 stammendes Allzeithoch bei 9 310 Punkten überwinden konnte. Per saldo können Anleger von einer (noch) günstigen Gesamtmarktverfassung ausgehen. Neue Hochs?In der Konsequenz sollte die laufende Rally noch ein Stück weitertragen. Schließlich ergibt sich aus der 2013 nach oben aufgelösten langjährigen Schiebezone ein rechnerisches Kursziel für den S & P 500 von rund 2 350 Punkten. So spektakulär dieses Ziel in unserem Jahresausblick 2015 klang, so sehr kann es aktuell als Normalität bezeichnet werden. Dennoch besitzt die Marke Charme, denn sie harmoniert gut mit einem weiteren Kursziel im Bereich von rund 2 400 Punkten. Dieses ergibt sich aus der Projektion der Höhe der Schiebezone der letzten zwei Jahre zwischen rund 1 800 und gut 2 100 Punkten nach oben. Im Dunstkreis der Marken von 2 350/2 400 Punkten entsteht also ein Ziel-Cluster. Im Sinne eines vorsichtigen Kaufmanns möchten wir uns aber nicht nur mit der Oberseite beschäftigen, sondern auch mögliche Stoppmarken für 2017 herausarbeiten. Der S & P 500 hat sich über sieben Quartale mit den alten Rekorden bei gut 2 100 Punkten auseinandergesetzt. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn das Aktienbarometer hat gleichzeitig eine Vielzahl an markanten Dochten in Schlagdistanz zu diesen Barrieren ausgeprägt. Entsprechend groß ist die Bedeutung der Ausbruchsmarken. Mit anderen Worten: Es gilt, ein Rebreak der alten Rekordstände unbedingt zu verhindern. Aufgrund der beiden im Jahresverlauf 2016 erfolgreich bestrittenen Belastungsproben des im März 2009 etablierten Haussetrends und der im Anschluss nach oben aufgelösten Korrekturflagge winken beim Dax in diesem Umfeld sogar neue Rekorde jenseits des bisherigen Allzeithochs von 12 391 Punkten.Das Zeitfenster, um aus den derzeit noch günstigen Rahmenbedingungen Kapital zu schlagen, wird allerdings kleiner. So signalisieren sowohl der US-Präsidentschafts- als auch der Dekadenzyklus signifikante Rückschlaggefahren ab dem Hochsommer. Negativ sticht dabei das Siebener-Jahr hervor. Die Wahrscheinlichkeit mit einem Engagement in den Dow Jones im August, September bzw. Oktober Gewinne zu erzielen, liegt in allen Siebener-Jahren seit 1897 deutlich unter 50 %. Den Oktober konnten die US-Standardwerte sogar nur in zwei von zwölf Fällen (= 16,7 %) oberhalb der Nulllinie abschließen – in einem Drittel der Fälle brachte dieser Schreckensmonat sogar zweistellige Kursabschläge. Kein Buy-and-hold-JahrWelches Gefahrenpotenzial diese Monate bergen, verdeutlicht möglicherweise die folgende Zahl am besten: Investoren, die immer nur von August bis Oktober in einem 7er-Jahr in den amerikanischen Standardwerten engagiert gewesen wären, hätten heute drei Viertel ihrer Ursprungsinvestition verloren. In der Summe steht Aktienanleger möglicherweise kein Buy-and-hold-Jahrgang, sondern vielmehr ein zweigeteiltes Aktienjahr 2017 – nach dem Motto “Erstes Halbjahr hui, zweites Halbjahr pfui” – ins Haus.—-*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.