America first!
Seit Monaten halten politische Nachrichten Anleger und Aktienmärkte auf Trab. Seien es die Tweets von US-Präsident Trump, die Gefahr eines Handelskrieges zwischen den USA und ihren wichtigsten Handelspartnern, die neue italienische Regierung oder auch das zwischenzeitliche Koalitionstheater in Deutschland mit seinen Protagonisten in Berlin und München: Die sprichwörtlichen kurzen Beine, die politische Börsen normalerweise haben, sind ganz schön lang geworden.Im Ergebnis zeigt sich, dass die meisten Aktienmärkte in Europa in diesem Jahr kaum von der Stelle gekommen sind. Dies liegt aber nicht nur an der Politik, sondern auch an der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung. So hat die konjunkturelle Dynamik in der ersten Jahreshälfte 2018 überraschend deutlich nachgelassen. Ging man zunächst von temporären Faktoren aus, die das Wachstum beeinträchtigen, hat sich die Abschwächung doch als hartnäckiger erwiesen. NormalisierungAusschlaggebend hierfür waren vor allem die transatlantischen Handelsstreitigkeiten, die sich negativ auf das Geschäftsklima, die Exporttätigkeit und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ausgewirkt haben. Aber auch der Konsum hat einen Gang zurückgeschaltet, weil die Kaufkraft von den höheren Energiepreisen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wachstumsraten von mehr als 2 % wie noch im vergangenen Jahr sind somit nicht mehr zu erwarten. Stattdessen stellt sich im Jahr 2018 konjunkturelle Normalität ein. Weniger Wachstumsdynamik bedeutet jedoch nicht, dass ein starker Abschwung oder gar eine neue Rezession bevorstehen. Auch wenn es im Moment noch zu früh ist, um von einer grundsätzlichen Einigung im transatlantischen Handelsstreit zu sprechen, ist doch zumindest ein Waffenstillstand vereinbart worden. Wird die Einführung weitreichender Handelsbeschränkungen vermieden, sollte sich die derzeitige Entwicklung nur als Delle im deutschen und europäischen Konjunkturzyklus erweisen. Die Probleme der Eurozone kennt die US-Wirtschaft nicht. Dank Steuerreform, höherer Staatsausgaben und nicht zuletzt aufgrund der Deregulierung wichtiger Wirtschaftszweige hat die US-Wirtschaft im zweiten Quartal kräftig Fahrt aufgenommen. Die auf das Jahr hochgerechnete Wachstumsrate von 4 % ist keine Eintagsfliege, auch für die nächsten Quartale steht die Konjunkturampel in den USA auf Grün. Die US-Notenbank hat sehr klar kommuniziert, dass in diesem Jahr nur noch mit zwei weiteren kleinen Zinserhöhungen zu rechnen ist, wobei die nächsten Schritte im September und Dezember erfolgen dürften. Seit Ende 2015 hat die Fed in sieben Schritten den Leitzins angehoben. Ende des Jahres wird eine Spannbreite von 2,25 bis 2,50 % erreicht werden, und im Laufe des Jahres 2019 ist dann mit drei weiteren Zinserhöhungen zu rechnen. Der höhere Leitzins hat sich bereits auf die Kapitalmarktrenditen ausgewirkt. So ist die Rendite für 10-jährige US-Treasuries auf 3 % angestiegen. Da der Leitzins bis Ende 2019 in voraussichtlich fünf Schritten um 125 Basispunkte erhöht werden soll, sollten die Renditen weiter ansteigen. Angesichts der Tatsache, dass die Inflationsrate von derzeit 2,2 % basisbedingt ab dem Spätsommer wieder sinken wird und gleichzeitig Hedgefonds sowie andere spekulativ eingestellte Marktteilnehmer bereits jetzt rekordhohe Wetten auf steigende Zinsen von US-Staatsanleihen eingegangen sind, dürfte die Rendite für 10-jährige Treasuries bis Jahresende aber bei etwa 3 % verharren und erst im kommenden Jahr um etwa 50 Basispunkte ansteigen. Auch wenn eine Rendite von 3 % recht attraktiv ist, müssen Anleger beachten, dass bereits ein Renditeanstieg von knapp 40 Basispunkten dazu führt, dass die Kursverluste der Anleihe den Kupon übersteigen. Der Anlageerfolg bei US-Anleihen wird daher maßgeblich von der weiteren Währungsentwicklung bestimmt werden, wobei die Zins- und Wachstumsdifferenzen für eine weitere Aufwertung des US-Dollar gegenüber dem Euro sprechen.In diesem Jahr werden die Gewinne der S & P 500-Unternehmen um mehr als 20 % gegenüber dem Vorjahr ansteigen. Dies ist der Hauptgrund für die bessere Wertentwicklung US-amerikanischer Aktien im Vergleich zu europäischen Titeln. Die Berichtssaison für das zweite Quartal hat gezeigt, dass die meisten US-Unternehmen in der Lage waren, die diesmal entgegen dem üblichen Prozedere im Vorfeld kaum nach unten revidierten Prognosen zu übertreffen. Besonders beeindruckend waren die Umsatz- und Ergebnisüberraschungen in den beiden Sektoren Gesundheit und Technologie. Während in der Öffentlichkeit vor allem die Prognoseverfehlungen bei Facebook und Twitter für Aufmerksamkeit sorgten, haben die sehr guten Ergebnisse der übrigen Technologieunternehmen dafür gesorgt, dass das Ergebniswachstum im zweiten Quartal 2018 nicht wie vor der Berichtssaison erwartet bei gut 25 %, sondern bei fast 35 % liegt. Fazit: “America first” gilt im Moment nicht nur bei Donald Trump, sondern auch bezogen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die regionale Allokation von Aktien. Nicht zu defensiv positionierenDennoch sollten sich Anleger in Europa nicht zu defensiv positionieren. Das Wachstum der Unternehmensgewinne und die moderate Bewertung sind Pluspunkte, die aber zuletzt keine große Rolle bei Dax und Co. gespielt haben. Entgegen dem Eindruck, dass die Berichtssaison in Deutschland enttäuschend verläuft, zeigen die Auswertungen zu den Gewinn- und Umsatzüberraschungen, dass sich diese im Rahmen des Üblichen bewegen. Obwohl die Gewinnprognosen für das Gesamtjahr 2018 etwas nach unten revidiert wurden, haben die rollierenden, in zwölf Monaten erwarteten Gewinne der Dax-Unternehmen zuletzt ein neues Rekordniveau erreicht. Für die Unternehmen im Stoxx 50 und Stoxx 600 läuft die Berichtssaison sogar ein bisschen besser als sonst üblich, vor allem die Umsatzerwartungen konnten mehrheitlich übertroffen werden. Auf europäischer Sektorebene fällt wie in den USA mit Abstand der Technologiesektor mit positiven Umsatz- und Ergebnisüberraschungen auf, gefolgt von den Banken und dem Immobiliensektor. Die im Moment von den Anlegern favorisierten defensiven Sektoren, wie Food & Beverages, Retail oder Utilities haben dagegen schwach berichtet. Wer bei der Aktienanlage jetzt zu sehr auf die defensive Karte setzt, der übersieht, dass die Stimmung schlechter ist als die Lage.—-Carsten Klude, Chefvolkswirt M. M.Warburg & CO—-Zuletzt erschienen:- Guter Zeitpunkt für Anlagen in Schwellenländerbonds (26. Juli)