An Carl Zeiss Meditec scheiden sich die Geister
Geld oder Brief
An Carl Zeiss Meditec scheiden sich die Geister
Von Helmut Kipp, Frankfurt
In der Diskussion am Kapitalmarkt über den Medizintechnikkonzern Carl Zeiss Meditec stehen drei Themen im Fokus: die vor einem Monat verkündete Übernahme der niederländischen Dorc, die Entwicklungen im wichtigen Markt China und die vergleichsweise hohe Bewertung der im MDax vertretenen Aktie.
Den Erwerb von Dorc (Dutch Ophthalmic Research Center) bewerten Analysten unisono als gute und sinnvolle strategische Ergänzung, für die das auf Augenheilkunde und Mikrochirurgie spezialisierte Unternehmen aus Jena jedoch einen hohen Preis zahlt. Die Akquisition vergrößert das Leistungsprofil um Geräte für die Netzhautchirurgie. Sie schließt damit Lücken im Produktangebot.
Prämie zum Sektor
Der Transaktion, die in der ersten Hälfte des laufenden Jahres abgeschlossen werden soll, liegt eine Unternehmensbewertung von 985 Mill. Euro zugrunde – das Fünffache des für das Jahr 2023 kalkulierten Umsatzes von knapp 200 Mill. Euro und etwa das 20-Fache des erwarteten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von Dorc.
Der Preis impliziere eine Prämie zum Sektor, meint der Analyst Dylan Van Haaften vom Finanzdienstleister Stifel. Doch gebe es in der Augenheilkunde nicht viele größere Übernahmetargets, die den Gewinn je Aktie steigern und begrenzte Überschneidungen mit dem eigenen Portfolio aufweisen. Außerdem sei das Multiple nicht höher als das für Zeiss Meditec – bei ähnlichem Wachstum und höheren Margen.„Insgesamt halten wir Dorc für eine überzeugende Übernahme, die den Anteil wiederkehrender Umsätze auf 47% erhöht und die Position als Nummer 2 in der Ophthalmochirurgie festigt“, resümiert Van Haaften. Die US-Bank J.P. Morgan gibt aber zu bedenken, dass das Geschäft nur eine niedrige Kapitalrendite abwerfe. "Das könnte einigen Investoren Sorgen bereiten", meint Analystin Anchal Verma.
Zwei Probleme in China
In China machen Zeiss Meditec zwei Problembereiche zu schaffen. Temporärer Natur ist das Abschmelzen der Verbrauchsmaterialvorräte für Augenoperationen. Die Bestände dürften bis Ende der ersten Geschäftsjahreshälfte, also bis März 2024, abgebaut sein, glaubt Finanzvorstand Justus Felix Wehmer. Die daraus resultierende Ergebnisbelastung veranschlagt er auf einen mittleren zweistelligen Mill.-Euro-Betrag. Die Bestände waren angelegt worden, um im Falle weiterer Corona-Lockdowns in China lieferfähig zu bleiben.
Längerfristige Auswirkungen hat die Einbeziehung von Intraokularlinsen (künstliche Augenlinsen, die bei Grauer-Star-Operationen eingesetzt werden) in das volumenbasierte Beschaffungssystem der Volksrepublik. Denn Investoren stellen sich auf scharfe Preisabschläge ein. Ihnen stehen zumindest perspektivisch zunehmende Volumina gegenüber und Kosteneinsparungen, da Verkäufe, die unter die Regulierung fallen, keine weiteren Vertriebsanstrengungen erfordern.
Falko Friedrichs, Analyst Deutsche Bank"Mittelfristig sollte Carl Zeiss Meditec in der Lage sein, die Preissenkungen über ein höheres Marktwachstum, Marktanteilsgewinne und niedrigere Produktionskosten durch lokale Fertigung zu kompensieren."
Die Deutsche Bank geht in ihrem Basisszenario (Stand 6. Dezember) von einem Umsatzverlust von 1% und einer Ergebnisbelastung vor Zinsen und Steuern von 6% auf Konzernebene aus, basierend auf 40% Preisreduktion und 20% Volumenwachstum. „Mittelfristig sollte Carl Zeiss Meditec in der Lage sein, die Preissenkungen über ein höheres Marktwachstum, Marktanteilsgewinne und niedrigere Produktionskosten durch lokale Fertigung zu kompensieren“, sagt Analyst Falko Friedrichs.
Ausblick stützt den Kurs
CFO Wehmer betont, dass die neuen Regelungen nur für staatliche Kliniken gelten, die die Hälfte des chinesischen Markts ausmachen. Die andere Hälfte, der Bereich der Privatkliniken, sei außen vor. China ist mit einem Umsatzanteil von einem Viertel ein extrem wichtiger Markt für Zeiss Meditec, der über Jahre das Konzernwachstum vor allem in der refraktiven Augenchirurgie (Laseroperation zur Korrektur der Sehkraft) angetrieben hat.
Die Börse bewertet den Konzern aktuell mit 9,2 Mrd. Euro. Der Aktienkurs hat sich nach längerer Talfahrt zuletzt erholt. Denn der Ausblick für das aktuelle Geschäftsjahr, das bis Ende September 2024 läuft, fiel besser aus als erwartet. Einige Analysten hatten sich im Vorfeld pessimistisch geäußert, so dass Investoren die Prognose eines im Vergleich zu 2022/23 stabilen Ergebnisses vor Zinsen und Steuern (Ebit) mit Erleichterung aufnahmen.
J.P. Morgan hingegen bleibt skeptisch. Begründung: Das Umsatzwachstum lasse nach und die Kostenbasis steige. Die Guidance impliziere einen sequenziellen Margenanstieg um 800 Basispunkte in der zweiten Geschäftsjahreshälfte. Das könnte zu optimistisch sein, befürchtet die Bank. Der Bewertungsaufschlag von 35% zum Sektor sei nicht gerechtfertigt. J.P. Morgan gibt ein Kursziel von 52 Euro aus – die Hälfte des aktuellen Kursniveaus.
UBS optimistisch
Optimistischer äußert sich die Schweizer Großbank UBS, deren Analyst Graham Doyle das Kursziel von 89 auf 125 Euro anhebt. Zeiss Meditec biete eine der besten Wachstumsstorys in der Medizintechnik. Dennoch sei der Bewertungsaufschlag zum Sektor deutlich gefallen. Im laufenden Geschäftsjahr werde der Tiefpunkt in der Ergebnisentwicklung erreicht. Für die Jahre 2024 bis 2028 erwartet Doyle dann durchschnittlich 10% Umsatzwachstum und 18% Gewinnanstieg je Aktie. Der Marktkonsens unterschätze die Umsatzpotenziale aus der Verdoppelung der F&E-Ausgaben und die Chancen in den USA bei Kataraktlinsen (bei grauem Star) und refraktiven Lasern. Zudem sorge der Dorc-Deal für Ergebnispotenzial.
Hauck Aufhäuser Investment Banking bescheinigt Zeiss Meditec intakte langfristige Wachstumsaussichten und eine zunehmende Wettbewerbsqualität. Der Wandel vom Gerätehersteller zum Anbieter kompletter Workflow-Lösungen begünstige Marktanteilsgewinne und Umsatzwachstum. Das Kursziel: 140 Euro.