IM INTERVIEW: JOUBEEN HURREN, AVIVA INVESTORS

"Anleger müssen umdenken und flexibler werden"

Fondsmanager: Anleihen keine risikofreie Asset-Klasse mehr - Markt zu Schwellenländern teilweise zu negativ eingestellt

"Anleger müssen umdenken und flexibler werden"

Die guten Jahrzehnte mit stetig hohen Anlageerträgen sind vorbei, auf dem sehr niedrig gewordenen Renditeniveau drohen Investoren an den Anleihenmärkten Verluste. Anleger müssen in diesem Umfeld möglichst flexibel agieren, ist Joubeen Hurren, Fondsmanager von Aviva Investors, überzeugt.- Herr Hurren, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage am Anleihemarkt?Es gibt mehrere Herausforderungen. In den zurückliegenden Jahren waren die Leute aus drei Gründen investiert. Anleihen waren attraktiv, wiesen eine geringe Korrelation auf und haben über einen Zeitraum von 30 Jahren sehr gute Anlageerträge erzielt. Nun befinden sich die Renditen auf einem sehr niedrigen Niveau. Der historische Ertrag beträgt 6,1 % jährlich. Das zu erreichen ist jetzt unrealistisch. Die Leute müssen umdenken.- Das bedeutet?Das Problem ist, dass die Anleihemärkte in den zurückliegenden 30 Jahren selten richtig unter Druck gestanden haben. 1994 war mit einem Ertrag von -4 % das einzige Jahr mit starkem Druck. Ansonsten hat es nie nennenswerte Verluste gegeben. Die Leute sind es gewohnt, Anleihen als sichere Anlage zu betrachten. Nun sind wir aber in einer ganz anderen Lage. So hat sich die Duration stark ausgeweitet, weil die Emittenten lange Laufzeiten gewählt haben, um die niedrigen Zinsen zu nutzen. Außerdem sind die Ausgangsrenditen viel niedriger, das heißt, der Puffer für Zinsanstiege ist viel niedriger geworden mit der Folge, dass es keine Kompensation für Kursverluste mehr gibt. 1994 sind die Renditen um 250 Basispunkte gestiegen. Bezogen auf die heutige Ausgangslage würde das einen Ertrag von -15% bedeuten. Zudem ist es auch aufgrund der steigenden Inflation und der Leitzinserhöhungen der Zentralbanken mehr als fragwürdig, Anleihen als risikofreie Asset-Klasse zu betrachten. Die Risiken werden eindeutig unterschätzt.- Kann man mit Anleihen noch diversifizieren?Diversifikation ist die wichtigste Eigenschaft von Anleihen. Nach der Finanzkrise hat die ultralockere Geldpolitik dazu geführt, dass die Leute sehr viel investiert haben. Die Korrelation war hoch, weil alles stieg. Nun ist die Korrelation brüchig geworden beziehungsweise zuletzt hochgegangen. Die Bondmärkte schützen nicht nur nicht mehr gegen Verluste, sondern verursachen sogar Verluste, wie Anfang 2018, weil zuvor alles von den Notenbanken hochgetrieben worden war. Wir denken, dass Anleihen überhaupt keine risikofreie Asset-Klasse mehr sind.- Was sollen Investoren in diesem Umfeld machen?Sie müssen umdenken und flexibler werden. Deswegen haben wir auch den Aviva Investors Multi-Strategy Fixed Income Fund lanciert. Ziel ist, langfristig Kapitalzuwachs zu erzielen, verbunden mit dem Versuch, die Volatilität zu minimieren. Unter anderem gehen wir in verschiedenen Asset-Klassen Long- und Short-Positionen ein und setzen auf Assets, die von einer höheren Volatilität, einem Inflationsanstieg und steigenden Notenbankzinsen profitieren. Die notwendige Flexibilität erreichen wir dadurch, dass wir benchmarkfrei investieren. Eine größere Position unseres Portfolios ist eine Short-Position am kurzen Ende der US-Zinskurve. Damit profitieren wir von den Leitzinsanhebungen der Fed. Wir erwarten, dass die Fed Funds Rate bis in einen Bereich um 3,5 % steigen wird. Wir können dieser Position eine höhere Gewichtung geben, als das benchmarkorientierte Fonds machen können.- Wie sieht Ihr Ausblick für die fundamentalen Rahmenbedingungen aus?Die von uns erwartete nachhaltig höhere Inflation ist aus Sicht der Investoren die wichtigste Entwicklung. Wir kommen aus einer Phase mit schwachem Wachstum und niedriger Inflation raus. Die Inflation war jahrzehntelang gedrückt worden, nicht zuletzt aufgrund struktureller Faktoren. Nun sehen wir eine zyklische Gegenbewegung, unterstützt von der Fiskalexpansion in den Vereinigten Staaten. Wir haben so etwas noch nie in einer späten Phase des Konjunkturzyklus gesehen. Typischerweise hat man in der Endphase eines Zyklus eine niedrige Arbeitslosigkeit und ein geringes fiskalisches Defizit, das heißt eigentlich keinen Bedarf für einen Fiskalimpuls. Jetzt haben wir aber ein steigendes Defizit mit der Folge, dass die US-Daten sehr stark ausfallen. Die Arbeitslosenrate liegt deutlich unterhalb der Schwelle, ab der die Inflation üblicherweise steigt.- Wie sehen Ihre Inflationserwartungen aus?Die für die Fed maßgebliche Core PCE liegt derzeit bei 1,9 %. Die Fed prognostiziert 2,1 % für 2019 und 2020. Unserer Einschätzung nach ist eine derart flache Entwicklung unwahrscheinlich, das heißt, die Notenbank wird die Zinsen weiter anheben, während der Markt lediglich 3 % einpreist.- Im Markt geht die Sorge um, dass die immer flacher werdende US-Zinskurve invertieren und damit ein Rezessionssignal geben könnte. Was sagen Sie dazu?In der Vergangenheit war eine Inversion der Zinsstrukturkurve ein zuverlässiges Zeichen dafür, dass die Fed den Leitzins stärker als notwendig erhöht hat. Die Inversion hat mit hoher Zuverlässigkeit eine Rezession angekündigt. Wir sind allerdings zögerlich, nur auf die Zinskurve als Indikator zu schauen. Denn es gibt in diesem Zyklus einen wesentlichen Unterschied. Die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan haben die Investoren ihrer Regionen in die USA getrieben, wo es höhere Renditen gibt. Diese Kapitalflüsse sind ans lange Ende gegangen und haben dort die Renditen niedrig gehalten. Ferner haben Zentralbanken, unter ihnen insbesondere die chinesische, Treasuries gekauft. Jetzt haben sie aber aufgehört zu kaufen, und die EZB und die Bank of Japan wollen von ihrer ultralockeren Geldpolitik abkehren. Wir reden also von großen Investoren, die bislang ohne Berücksichtigung der fundamentalen Gegebenheiten gekauft haben und nun wegfallen. Damit werden nun neue Käufer für die höheren Schulden der USA gebraucht. Uns ist nicht klar, wer in einer Phase, in der hohe Beträge gerollt werden müssen, als Käufer einspringen soll. Der inländische Markt ist dazu nicht groß genug. Alles deutet auf eine steilere Kurve und ein allgemein höheres Zinsniveau hin.- Wie stehen Sie zu Schwellenländeranleihen?Gerade hier gibt es ein Korrelationsproblem. Bislang hatten Schwellenländeranleihen eine geringe Korrelation zu Top-Anleihen. In diesem Jahr sind beide Asset-Klassen gesunken. Die Zentralbanken haben alles hochgetrieben und steigen jetzt aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aus. So wie sie zuvor alle Assets inflationiert haben, drücken sie sie jetzt. Die Investoren müssen nun in einem schwierigen Umfeld navigieren. Vor allem müssen sie flexibel sein. Die Entwicklung ist ein Problem für Risk at Parity und für passive Investments. Jedes Asset, das von der Notenbankpolitik profitiert hat, hat jetzt ein Problem.- Was bedeutet das für Ihr Produkt?Warum sollten in den zurückliegenden Jahren Anleger nicht passiv investieren in einem Umfeld, in dem sich die Benchmarks durch die Bank positiv entwickelten? Es gab ein starkes Wachstum rund um den Globus und gleichzeitig eine hohe Liquidität. Normalerweise existiert beides nicht nebeneinander. Unser Fonds ist konstruiert, um von höherer Volatilität und geringerer Korrelation zu profitieren, was wir jetzt sehen. Die Tatsache, dass wir nicht in der Türkei und nicht im argentinischen Peso investiert waren, hat uns Outperformance gebracht. Argentinien hat 2017 eine 100-jährige Anleihe begeben und in diesem Jahr acht Emissionen im Volumen von 8 Mrd. Dollar und mit einem Durchschnittszins von 5 % durchgeführt. Jetzt liegt dieser bei 12 %. Der Markt hat komplett gedreht, was Risikobereitschaft betrifft. 2017 haben die Investoren in einem Umfeld zu niedriger Volatilität ohne Risikobewusstsein alles gekauft.- Und wie geht es Ihrer Einschätzung nach jetzt weiter?Mittlerweile hat das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Der Markt ist, was Emerging Markets betrifft, teilweise zu negativ. Für Argentinien und Brasilien ist er zu negativ, für die Türkei ist er vielleicht zu Recht so negativ. In Argentinien und Brasilien haben wir begonnen, uns antizyklisch zu positionieren. Der brasilianische Real hat in diesem Jahr aus Angst vor den Wahlen 40 % eingebüßt. Jetzt ist die Zeit, sich Emerging Markets anzuschauen, und wir haben vor einem Monat begonnen, unsere Allokation hochzufahren. Da nicht mehr ohne Unterschied alles gekauft wird, können wir nun gezielt interessante Situationen nutzen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.