IM INTERVIEW: MATTHIAS SCHEIBER, WELLS FARGO ASSET MANAGEMENT

"Anleger noch defensiv positioniert"

Portfoliomanager: Technologieaktien werden sich weiter überdurchschnittlich entwickeln

"Anleger noch defensiv positioniert"

Die jüngste Korrektur des Technologiesektors ändert nach Einschätzung von Matthias Scheiber nichts an den seiner Meinung nach positiven Aussichten der Aktienmärkte. Der Global Head of Portfolio Management, Multi-Asset Solutions von Wells Fargo Asset Management bleibt in Dividendenwerten übergewichtet. Herr Scheiber, wie haben sich Ihre Multi-Asset-Strategien in diesem von der Coronakrise geprägten Jahr geschlagen?Das Jahr war bislang gut für unsere Strategien. Wir legen schon seit Jahren einen Fokus auf Risikomanagement, auf Strategien, die vor Kursverlusten schützen. Unsere Futures- und Optionsstrategien haben sich im März-Einbruch bewährt. Ein makrosensitives Portfolio, das zu 60 % in Aktien angelegt ist und zu 40 % in Anleihen, liegt mit 9 % im Plus. Außer systematischen Absicherungsstrategien setzen wir auf Diversifikation. Die Aktienmärkte haben sich seit dem März sehr schnell und deutlich erholt. Wie beurteilen Sie die Aussichten?Wir sind weiterhin positiv eingestellt und bleiben übergewichtet. Den Kurseinbruch vom März haben wir genutzt, um Risikopositionen schrittweise auszubauen. Wir halten sie noch immer, da wir von einer globalen Erholung ausgehen. Eine wichtige Stütze ist die lockere Geldpolitik. Hinzu kommt – ein bedeutender Unterschied zur großen Finanzkrise 2008/2009 – die Unterstützung durch die Fiskalpolitik. Ferner bringt die Aussicht auf einen Coronaimpfstoff Auftrieb. Zwar muss man realistisch sein und davon ausgehen, dass es keine vollständige Immunisierung geben wird. Dennoch könnte die Verfügbarkeit dazu führen, dass sich die Aktienmärkte stabilisieren. Auch dürften dann die Unternehmensergebnisse gestützt werden. Was bedeuten diese Aussichten für Staatsanleihen?Wir sind bei Staatsanleihen vorsichtig und setzen auf das kurze Laufzeitenende. Am langen Ende könnte es zu einer Korrektur kommen, wenn sich das Wachstum erhöht. Wir sind weiterhin positiv für Unternehmens- und High-Yield-Anleihen. Werden Nachrichten über Impfstofffortschritte weiterhin kurstreibend wirken, und welche Risiken gehen noch von der Pandemie aus?Derzeit sind ungefähr acht Impfstoffe in der dritten Erprobungsphase, und die Erprobung wird nun auch auf ältere Menschen ausgeweitet. Es ist wahrscheinlich, dass der Markt positiv auf Impfstofffortschritte reagieren wird. Zudem sind die Anleger generell noch defensiv positioniert. Damit besteht für die Investoren Spielraum, aus Anleihen mit geringem Risiko in Risiko-Assets umzuschichten. In Europa sind die Infektionen zuletzt wieder gestiegen, aber es sind nun verstärkt jüngere Menschen betroffen, so dass auch die Sterblichkeit zurückgeht. Einen großräumigen Lockdown wie im März halten wir für unwahrscheinlich. Wir rechnen eher mit spezifischen Maßnahmen, und das sollte weniger negative Auswirkungen haben. Wie könnten sich die anstehenden US-Wahlen auswirken?Der Markt hat generell eine höhere Volatilität bereits eingepreist. Mittelfristig werden die Geld- und die Fiskalpolitik für die Aktienmärkte wichtiger sein. Ein eventueller politischer Wechsel in den USA könnte allerdings für die Handelsbeziehungen positiv sein. Die Aktienmärkte werden in diesem Jahr vor allem von der Technologiebranche und eher defensiven Sektoren gezogen, auch wenn der Tech-Sektor jetzt eine Korrektur erlebt. Andere Bereiche, nicht zuletzt Zykliker, hinken hinterher. Bestehen Ihrer Einschätzung nach Chancen, dass auch zyklische Titel in absehbarer Zeit eine Rally erleben?IT-Werte zählt man üblicherweise nicht zu den defensiven Branchen. Allerdings hat sich gerade dieser Sektor während des Kurseinbruchs im März relativ gut gehalten, um anschließend auch besser aus der Krise herauszukommen. Vor allem in den Vereinigten Staaten haben sich die Technologiewerte besser entwickelt als die eher zyklischen Segmente. Wir sind gerade für Technologieaktien in den USA weiterhin positiv eingestellt. Unserer Einschätzung nach werden sie sich weiter überdurchschnittlich entwickeln, bis ein Coronaimpfstoff zur Verfügung steht und damit eine Rückkehr zur Normalität ermöglicht wird. Sollte es weltweit eine positive Entwicklung geben, wie man sie jetzt in China sieht, wäre vorstellbar, dass dies positive Auswirkungen auf die eher zyklischen Werte haben würde. In Europa haben wir bereits eine positive Entwicklung der Nebenwerte gesehen, die es in den USA so noch nicht gegeben hat. Wir glauben, dass Europa sowie die Emerging Markets das Potenzial für eine Aufholbewegung haben. Was halten Sie von der Hausse des Goldpreises?Wir sind seit dem Jahresbeginn positiv für Gold eingestellt. Die amerikanische Zentralbank hat bereits im zurückliegenden Jahr begonnen, ihre restriktive geldpolitische Linie zurückzufahren und den Zins zu senken, was für das Edelmetall positiv ist. Nicht nur die nominellen Zinsen sind gefallen, sondern auch die Realzinsen. Gold hat nach unserer Einschätzung das Potenzial, weiter zu steigen. Allerdings rechnen wir nach dem starken Anstieg des Goldpreises mit höherer Volatilität. Ein schwacher Dollar könnte ein Treiber für einen weiteren Preisanstieg sein. Welche Wünsche äußern Ihnen gegenüber Investoren beziehungsweise Kunden?Wir sehen generell eine sehr starke Nachfrage nach Multi-Asset-Lösungen, die über Absicherung und Diversifizierung das Risiko minimieren. Zudem werden die Zinsen noch lange niedrig bleiben, was für eine anhaltende Suche nach Rendite sorgen wird. Stark gefragt ist ferner die Berücksichtigung von ESG-Kriterien auch im Multi-Asset-Bereich. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.