DEVISENWOCHE

Ansteckungsgefahr in den Schwellenländern?

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 21.8.2018 Die Krise der türkischen Lira hat etliche andere Emerging-Market-(EM-)Währungen unter Druck gebracht. Die Ansteckungsgefahr ist offensichtlich. Heißt das, dass die nächste Krise (z. B. eine neue...

Ansteckungsgefahr in den Schwellenländern?

Von Ulrich Leuchtmann *)Die Krise der türkischen Lira hat etliche andere Emerging-Market-(EM-)Währungen unter Druck gebracht. Die Ansteckungsgefahr ist offensichtlich. Heißt das, dass die nächste Krise (z. B. eine neue Runde der Lira-Abwertung) sich zu einem EM-weiten Flächenbrand ausdehnen wird? Diese Gefahr ist recht gering. Die Probleme in der Türkei sind hausgemacht. In anderen Emerging Markts werden solche Fehler weitgehend vermieden. “Keine Krise” schließt allerdings nicht aus, dass etliche EM-Währungen weiter unter signifikantem Abwertungsdruck stehen. Die Devisenmärkte sind, wenn es um EM-Währungen geht, derzeit nervös. Die Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed reduzieren den Zinsvorteil dieser Währungen. Das heißt: Die Risikoprämien der EM-Währungen nehmen ab. Gleichzeitig gibt es aber gute Gründe für Investoren, eine höhere Risikoprämie zu verlangen. Ein drohender Handelskrieg der USA gegen den Rest der Welt und der akute Handelskrieg mit China kreieren neue Ängste bezüglich des Wirtschaftsmodells vieler exportorientierter Schwellenländer. Die logische Folge dieser beiden Entwicklungen ist: Die Währungen werten ab. So lange, bis sie als “billig” gelten, zukünftige Aufwertung erwartet werden kann und diese Erwartung die Reduktion des Zinsvorteils und das höhere Risiko ausgleicht. Dort, wo dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, ist mit weiterer Währungsschwäche zu rechnen. Das heißt freilich nicht, dass krisenhafte Entwicklungen drohen. “Schwäche” heißt noch lange nicht “Krise”. Hausgemachte ProblemeZugegeben, die Sanktionsdrohungen und Zölle der US-Regierung gegen die Türkei wirkten in der akuten Krisenphase als Brandbeschleuniger. Doch liegt die Brandursache woanders: in der Leistungsbilanz-Situation der Türkei und vor allem in den geldpolitischen Versäumnissen. Auch andere große EM-Volkswirtschaften haben Leistungsbilanzdefizite. Problematisch werden die nur dann, wenn sie ausufern. Dann wird eine Volkswirtschaft (a) zu empfindlich gegenüber zyklischen Schwankungen der Kapitalströme sowie (b) zu empfindlich gegenüber Schwankungen der Rohstoffpreise (fallenden Rohstoffpreisen bei Rohstoff-Exporteuren; steigenden bei Importeuren) oder (c) einer Verschlechterung des globalen Umfeldes (wie den Fed-Zinserhöhungen). Mit 5,5 % Leistungsbilanzdefizit stach die Türkei unter den großen EM-Volkswirtschaften hervor und war schon deshalb deutlich krisenanfälliger, als es andere EMs sind. Selbst das hohe Leistungsbilanzdefizit wäre u. U. finanzierbar geblieben, wenn nicht geldpolitische Fehler hinzugekommen wären. Seit Jahren verfehlt die türkische Zentralbank ihr Inflationsziel. Der dauernde Misserfolg hat spätestens seit Ende 2016 eine sich beschleunigende Inflationsentwicklung ausgelöst. Dieser Prozess gewann in den letzten Monaten an Fahrt. Verantwortlich dafür waren Äußerungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er betonte seine Präferenz für niedrige Zinsen und machte deutlich, dass er nach der Wahl einen stärkeren Einfluss auf die Geldpolitik zu nehmen gedenke. Der Verdacht, dass die Zentralbank aufgrund politischen Drucks nicht mehr zu einer vernünftigen Zinspolitik imstande sei, erhärtete sich, als allseits erwartete Zinserhöhungen – die angesichts der deutlich anziehenden Inflation logisch und nötig gewesen wären – ausblieben. Das heißt: Die Ursache für die Lira-Krise besteht darin, dass die Geldpolitik nicht auf die inflationären Impulse der Abwertung reagierte, ihr aufgrund der Zweifel an ihrer Unabhängigkeit nicht zugetraut wird, in Zukunft zu reagieren und so ein Teufelskreis aus Abwertung, höherer Inflation und noch mehr Abwertung entstand. Unabhängige NotenbankenEine vernünftige Geldpolitik, die die inflationären Effekte der gegenwärtigen EM-Währungsschwächen kompensiert und die Inflationserwartungen auch unter diesen Bedingungen verankert, kann solch einen Teufelskreis verhindern. Zentralbanken sind relativ unabhängig. Und sie verfolgen in den letzten Jahren erfolgreich eine Politik der direkten Inflationssteuerung (Abbildung). Diese Erfolge dürften sich nun auszahlen; sie dürften die Inflationserwartungen deutlicher verankert haben, als das in den letzten 30 oder 40 Jahren der Fall war. Wer seiner Zentralbank vertraut, dass sie inflationären Tendenzen entgegenwirkt, der wird auch bei (abwertungsbedingten) steigenden Importpreisen nicht erwarten, dass Inflation steigt. Und wenn’s niemand erwartet, dann gibt’s auch keine Inflation. Wer will schon der Einzige sein, der die Preise seiner Produkte erhöht? Der Teufelskreis aus Abwertung und Inflation wird so durchbrochen. Skepsis, keine PanikDas Umfeld für EM-Währungen ist schwierig. Daher sind sie anfällig für Ansteckungseffekte. Skepsis ist gegenüber EM-Währungen also durchaus angebracht. Allerdings sehe ich keinen Grund zur Panik. Nennen Sie mich naiv, aber ich traue den meisten EM-Zentralbanken, die in den letzten Jahren so erfolgreich waren, auch jetzt zu, die Fehler ihrer türkischen Kollegen zu vermeiden. Wo das so ist, macht die Abwertung die Währungen graduell attraktiver und nicht noch unattraktiver. Zwar ist das Abwertungspotenzial wohl möglich deutlich, aber eben nicht unendlich. Ein Vorbehalt ist angebracht: Wo Zentralbanken von strikter Inflationssteuerung abweichen oder wo ihre Unabhängigkeit angekratzt wird, droht Absturzgefahr à la Lira.—- *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.