"Apple ist allemal interessanter als Thyssen"
Von Werner Rüppel, Frankfurtwrü Frankfurt – Sind Finanzmärkte reine Kopfsache, oder regiert eher das Bauchgefühl? Wie steht es um das (Ir-)Rationale der Märkte, und wie ist der massive Aktiencrash im Frühjahr nebst der anschließenden Erholung zu erklären? Über diese Fragen haben die Finanzprofis Klaus Kaldemorgen und Joachim Goldberg digital, wie in Corona-Zeiten Usus, lebhaft diskutiert – bei der Veranstaltung der Deutschen Börse Cash Markets im Rahmen der Serie “Menschen. Märkte. Möglichkeiten”.Und, um es gleich vorwegzunehmen, die Diskussion war lebhaft, gehaltvoll und dürfte fast bei jedem Börsianer zu einem Erkenntnisgewinn geführt haben. Daher sei auch die Youtube-Aufzeichnung jederfrau und jedermann an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Deutlich wurde, dass Cash derzeit vielleicht eher Trash ist, dass mit Anleihen aktuell kein Geld zu verdienen ist, dass es aktuell keine Alternative zur Aktie gibt und dass Dividendentitel keineswegs überbewertet sind. Und sowohl für den schnellsten Aktiencrash der Börsengeschichte im Frühjahr als auch für die deutliche Erholung gebe es gute Gründe. Nur was war dabei irrational und was rational?Kaldemorgen, der seit 1982 für die DWS als Fondsmanager arbeitet, legte in bemerkenswerter Klarheit dar, was im Frühjahr passiert ist. Irrationale, emotionale Entscheidungen hätten den Vorteil, dass man sie relativ schnell treffen könne. Und “wenn man Angst hat, ergreift man schnell die Flucht”. Der schnellste Kursrutsch, den wir in der Börsengeschichte gesehen haben, mit einem Minus von 40 % im Dax, sei natürlich eine sehr emotionale Entscheidung gewesen. In Anbetracht der Pandemie und der Ereignisse sei das aber “in Ordnung” gewesen. Erst sehr viel später, nach dem Kurssturz, sei deutlich geworden, dass Staat und Notenbanken quasi in einer konzertierten Aktion an der Seite der Anleger stehen. Daher sei es nach dem irrationalen Schock zu einer sehr rationalen Erholung der Märkte gekommen.Goldberg, der wie Kaldemorgen seit Jahren an den Märkten tätig ist, der bei der Deutschen Bank als Devisenhändler begann und sich dann als Spezialist für Behavioral Finance (also für die Psychologie der Anleger) selbständig gemacht hat, stuft das Geschehen ähnlich ein. “Sehr vieles lief lehrbuchmäßig ab”, so sein Kommentar zum Covid-19-Crash. “Ich habe nicht so viel Angst gehabt wie 2008.” Das Virus sei zwar schon Mitte Januar in China bekannt gewesen, doch sei der Dax erst etwa einen Monat später eingebrochen, nachdem Corona auch auf Europa übergegriffen habe. Das sei typisch, der Mensch nehme Dinge, die weit weg sind, zunächst einmal nicht so ernst. Auch dass es nach einem Crash eine deutliche Erholung gebe, entspreche dem historischen Verhaltensmuster. Das sei auch nach den Crashs 1987 und 1929 so gewesen. Irrationale Übertreibung?Mittels der Chatfunktion haben dann Teilnehmer gefragt, ob die Aktienmärkte inzwischen nicht zu hoch bewertet seien, ob nicht eine irrationale Übertreibung vorliege. Dem widersprach Kaldemorgen. Zum einen seien Anleihen im aktuellen Zinsumfeld keine Alternative mehr. Der erfolgreiche Fondslenker wörtlich: “Zu Aktien gibt es keine vernünftige Alternative.” Durch den massiven Zinsrückgang habe sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren in diesem Jahr von 50 auf 150 verdreifacht. Hingegen habe sich das KGV des US-Aktienmarkts nur von 21 auf 27 erhöht. Der Aktienmarkt habe also nicht mit dem Bewertungsanstieg des Anleihemarkts auch nur ansatzweise mitgehalten. Aktien seien nicht teuer.Auch werde sich die Struktur der Aktienmärkte durch die Digitalisierung stark ändern. Vom Value-Ansatz hält Kaldemorgen vor dem Hintergrund eines massiven Strukturwandels wenig. Wichtig sei es vielmehr, am Aktienmarkt immer in die Zukunft zu schauen. Der Fondsmanager wörtlich: “Eine Apple ist allemal interessanter als eine Thyssen.” Und werde dies auch künftig sein.Auch Goldberg kann derzeit keinen überbordenden Optimismus feststellen. Er brachte das Zitat “Cash is Trash”, vieles spreche angesichts von Niedrig- oder Nullzinsen für die Aktie. Über den Chat kam dann die Frage, ob nicht ein gefährlicher Herdentrieb derzeit an der Börse im Gange sei. “Manchmal macht es keinen Sinn, sich gegen die Herde zu stellen”, so der Börsenpsychologe. Zumindest dann, wenn die Herde eine Zeitlang in die gewünschte Richtung laufe. – www.youtube.com/watch?v=CQr eEBBCi7M