Argentinien findet nicht aus der Krise

Große Unsicherheit vor den Präsidentschaftswahlen - Zinserhöhungen stützen Landeswährung

Argentinien findet nicht aus der Krise

Argentiniens Notenbank versucht, den Verfall der Landeswährung Peso zu verhindern, und hat nach einer Zinssenkung die Sätze wieder angehoben. Doch Investoren fürchten bei einer Abwahl von Präsident Mauricio Macri eine Umschuldung.Von Andreas Fink, Buenos AiresMit allen erdenklichen Mitteln versuchen Argentiniens Währungshüter, einen weiteren Verfall der Landeswährung Peso zu verhindern. Am Montag hat die Zentralbank sämtlichen Geldhäusern des Landes die Garantie gegeben, dass sie den Leitzinssatz im gesamten Monat April nicht unter 62,5 % senken werde.Dieser Satz bezieht sich auf kurzfristige Kredite an die Geschäftsbanken(Leliq), das ist die derzeit bedeutendste Anleiheform in Pesos. Diese einwöchigen Titel werden von der Notenbank seit Mitte vorigen Jahres ausschließlich an Geschäftsbanken ausgegeben und ersetzen seither die dem gesamten Publikum zugänglichen Schatzbriefe der Zentralbank (Lebac), die im Vorjahr zu einer massiven Bedrohung des Finanzsystems wurden, weil viele Anleger zeitgleich diese Titel abstießen.Mit ihrem neuen Zinsversprechen will die Notenbank eine Wiederholung des verhängnisvollen Vorjahres verhindern. Nachdem in den ersten zwei Monaten dieses Jahres der Wert des Peso stabil blieb, obwohl die Preise in diesem Zeitraum um 7 % gestiegen waren, geriet die Währung im März massiv unter Druck und verlor fast 10 % ihres Wertes. Bis Ende Februar hatte die Zentralbank die Leitzinsen von fast 70 auf 44 % gesenkt. Das bewog nach der Einschätzung der meisten Marktbeobachter viele Anleger zum Ausstieg aus den Peso-Papieren. Im März musste die Notenbank die Zinsen wieder drastisch erhöhen, um den Wertverfall des Peso zu stoppen. Ende März lag der Leitzins bei 68,155 %. Importierte InflationWeil in Argentinien nach jeder Abwertung reflexartig die Verbraucherpreise steigen, muss die Regierung unter Präsident Mauricio Macri fürchten, dass die Inflation durch den Abwertungsschub im März weiter angetrieben wird. In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind die Preise um 11 % gestiegen. Nun steuert die Teuerungsrate auf einen ähnlichen Wert wie im Vorjahr zu, als 48 % Zunahme verzeichnet wurden.Aber die Regierung weiß, dass sie eine neue Preisexplosion vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober unmöglich zulassen kann. In den letzten Monaten hat sich die soziale Lage in Argentinien deutlich verschlechtert. Nachdem sich die Regierung Macri gegenüber ihrem einzigen verbliebenen Geldgeber, dem internationalen Währungsfonds (IWF), im September zu einer massiven Budgetkonsolidierung hatte verpflichten müssen, mussten viele öffentliche Bauvorhaben auf die lange Bank geschoben werden.Gleichzeitig schnürten Zinssätze von bis zu 100 % vielen Privatunternehmen die Luft ab. Insolvenzen häufen sich nun, Massenentlassungen ebenso. Die verarbeitende Industrie baute 62 000 feste Arbeitskräfte ab, in vielen Betrieben herrscht Kurzarbeit. In der Autoindustrie sind vielfach nicht mehr als 20 % der Kapazitäten ausgelastet. Im Rahmen der zweiten Rezession in nur drei Jahren schrumpfte die Gesamtwirtschaftsleistung im letzten Quartal 2018 um 6,2 %, im Januar lag die Aktivität um 5,7 % unter dem Vorjahreswert.Vorige Woche gab die Sozialministerin Carolina Stanley bekannt, dass die Armutsquote auf 32 % gestiegen ist. Damit liegt der Anteil der Menschen unter dem Existenzminimum etwa auf dem gleichen Niveau wie 2015, als Macri die Präsidentschaft gewann. Er bat seinerzeit in seiner Antrittsrede, man möge seine Präsidentschaft am Erfolg der Armutsbekämpfung messen. Nun muss er fürchten, dass seine Wähler genau das tun werden. Popularität gesunkenIn den Umfragen ist die Popularität des Präsidenten seit dem G20-Gipfel im Dezember kontinuierlich gesunken. Einige Umfrageinstitute ermittelten im März, dass der Zuspruch für den Mandatar inzwischen hinter jenen für die Ex-Präsidentin Cristina Kirchner zurückgefallen sei, die trotz einer Vielzahl von gegen sie anhängigen Gerichtsverfahren im Oktober gegen Macri antreten könnte. Noch hat sich Kirchner freilich nicht festlegen wollen.Bis zum 22. Juni, wenn sämtliche Kandidaturen bekannt gegeben werden müssen, kann sich noch allerhand zutragen im chronisch hektischen Buenos Aires. Kirchner kann derzeit auf etwa 30 % der Wählerstimmen hoffen, was ihr gute Chancen auf einen Einzug in eine Stichwahl Mitte November verheißt. Doch dort dürfte sie an ihrer enormen Unpopularität bei einem Großteil der Bevölkerung scheitern. Macri kann darum darauf hoffen, von seinem gesetzlich zur Stimmabgabe verpflichteten Volk als geringeres Übel im Amt bestätigt zu werden.An den Finanzmärkten wie auch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) war man bislang davon ausgegangen, dass diese Taktik aufgeht. Der Währungsfonds, dessen Spitze mehrfach deutliches Interesse an einer Fortsetzung der marktfreundlichen Regierung signalisiert hat, zeigte sich sogar bereit, den Großteil des 56,3-Mrd.-Dollar-Kredits vor den Wahlen im Oktober auszuzahlen.Doch seit den Währungsschwankungen im März mehren sich die Zweifel über Macris Wahlchancen auch bei den Anlegern. “Die Perspektive ist komplex und riskant: Die politische und politische Unsicherheit ist nach wie vor hoch und die Stimmung an den Finanzmärkten sehr instabil”, schrieb Alberto Ramos, Goldman-Sachs-Analyst für Lateinamerika vorige Woche.Die Spreads bei den Anleiherenditen zwischen Titeln, die in Argentinien abgegeben wurden und Emissionen nach New Yorker Recht haben sich in diesem Monat ebenfalls vergrößert, weil viele Investoren eine Umschuldung fürchten, die drohen könnte, falls Macri nicht an der Macht bleibt. Dessen größte politische Bedrohung wäre freilich nicht eine Wahlteilnahme von Cristina Kirchner, sondern deren Verzicht auf eine Kandidatur. Falls die Ex-Präsidentin zugunsten eines anderen peronistischen Kandidaten verzichten würde, der sich nicht so viele Feinde gemacht hat wie sie, müsste Macri fürchten, nicht einmal in eine Stichwahl einziehen zu können.Als ein solcher Kandidat zeichnet sich Roberto Lavagna ab, der erster Wirtschaftsminister von Néstor Kirchner war und mit diesem den gigantischen Schuldenschnitt 2005 ausgehandelt hat. Im selben Jahr schied Lavagna aus der Regierung, offenbar im Streit über korrupte Praktiken des Präsidenten Kirchner. Nun versucht der heute 77-jährige Elder Statesman eine breite Front aus gemäßigten Oppositionskräften zu formieren. Darunter sind viele Gewerkschaftschefs, aber auch Industrielle, peronistische Gouverneure und Teile der radikalen Partei, die nominell noch zu Macris Koalition “Cambiemos” gehören, aber die Macris hermetischen Regierungsstil ebenso leid sind wie den vom IWF diktierten Sparkurs. Hoffen auf RekordernteVor diesem komplexen politischen Szenario hat für Macri die Beruhigung der Finanzmärkte absolute Priorität. So erklärt sich die jüngste 62,5-Prozent-Zinsgarantie der Notenbank. Mitte April wird die nächste Kredittranche vom IWF über 9,8 Mrd. Dollar erwartet. Zudem hofft die Regierung, dass eine erwartete Rekordernte von Mais und Soja vor allem im April und Mai mehr Dollars in die Pampa bringt, als dort benötigt werden.Allerdings hat diese Kalkulation zwei Haken: Argentiniens Farmer haben längst Techniken entwickelt, die es ihnen ermöglichen, ihre Ernte viele Monate lang zu horten. Und auch auf dem Land ist bekannt, dass Anleger vor Präsidentschaftswahlen ihre Pesos zu Dollars machten. Daher muss sich Mauricio Macri darauf gefasst machen, dass die Rettung von den Feldern dürftiger ausfallen könnte als erhofft.