Atemholen an der Hongkonger Börse
Die von Abermillionen chinesischer Kleinanleger getragene Hausse an Chinas Festlandbörsen färbt immer stärker auf den auch für internationale Anleger frei zugänglichen Hongkonger Markt ab. Ein vor Monaten eingerichteter Mechanismus für grenzüberschreitende Aktienkäufe wird nun plötzlich auch von chinesischer Seite in Hongkong rege genutzt. Am Dienstag kam es zwar zu einer kleinen Delle, doch sehen Experten noch reichlich Luft nach oben für die Hongkonger Börsenindizes.Von Norbert Hellmann,SchanghaiDie aufsehenerregende Rally an der Hongkonger Börse ist am Dienstag zunächst einmal unterbrochen worden. An den chinesischen Festlandbörsen in Schanghai und Shenzhen aber bleibt die Haussestimmung intakt. In Hongkong legte der Hauptindex Hang Seng nach acht aufeinanderfolgenden Handelstagen mit strammen Kursgewinnen den Rückwärtsgang ein und verlor 1,6 % auf 27 561 Punkte. Zum Wochenbeginn war ein Siebenjahreshoch erreicht worden, mit dem die Marke von 28 000 Punkten geknackt wurde. Tencent unter DruckFür einen Dämpfer sorgte vor allem die Nachricht, dass Ma Huateng, der Gründer und Großaktionär des chinesischen Internetriesen Tencent, ein wenig Kasse machte und seinen Anteil geringfügig von 9,9 auf 9,7 % reduzierte. Daraufhin verlor die zu den stärksten Werten in Hongkong gehörende Tencent-Aktie 5,5 %. In den Tagen zuvor allerdings hatte Tencent spektakuläre Zuwächse zu verzeichnen, die den Marktwert über umgerechnet 200 Mrd. Dollar hievten. Damit hatte Tencent beim Marktwert amerikanische Internetsektorriesen wie Amazon und Oracle Corp. überholt. Unter Druck standen am Dienstag auch chinesische Finanzwerte. Der Hang Seng China Enterprises Index kürzte denn auch um 2,2 % ein.An der Börse Schanghai wurde die Rally indes fortgesetzt. Der marktbreite Shanghai Composite Index kletterte um weitere 0,3 % auf ein Siebenjahreshoch bei 4 136 Punkten. Zum Wochenbeginn brachten schwache Handelsdaten zwar einen neuen Fingerzeig für eine konjunkturelle Eintrübung im Reich der Mitte, doch nehmen die Anleger dies zu Anlass, auf eine weitere monetäre Lockerung zu spekulieren.Chinas Festlandmärkte befinden sich seit Monaten in Hochstimmung. Die führenden Indizes legten in den vergangenen sechs Monaten um rund 75 % zu, was die mit Abstand beste Performance im Börsenweltrund bedeutet. Ausschlaggebend ist ein in der breiten Bevölkerung neu aufgeflammtes Spekulationsfieber, das Millionenscharen von Anlegern neu in einen traditionell von Retail-Investoren dominierten Markt hat eintauchen lassen. Für zusätzliches Momentum sorgt die im November angelaufene bilaterale Handelsverbindung Hongkong Shanghai Stock Connect, mit der im Rahmen von täglichen Quoten die Anleger auf den zuvor völlig abgeschotteten Märkten sich im jeweiligen anderen Markt engagieren können.Während der Mechanismus in den ersten Monaten vor allem von Hongkonger und ausländischen Institutionellen genutzt wurde, die nun erweiterten Zugang zu den sogenannten A-Aktien in Schanghai haben, brachten die letzten Wochen einen unerwarteten Schwung von chinesischen Anlegergeldern, die nun auch an der Hongkonger Börse Wirkung zeigen. Traten die Kurse dort in den ersten Monaten des Jahres noch weitgehend auf der Stelle, wird nun der Turbo zugeschaltet. Der Hang Seng Index kommt mit einem Plus von knapp 18 % im bisherigen Jahresverlauf hinter Chinas Festlandmärkten auf den nächstbesten Performancerang unter den Weltbörsen.Für global aufgestellte Fondsmanager stellt sich nun die Frage, inwieweit sie sich von der Hausse auf einem für sie frei zugänglichen Markt verführen lassen. Mit Blick darauf, dass der Hongkonger Markt in den Sog der Begeisterung auf den Festlandbörsen geraten ist, sehen Analysten noch erhebliches Potenzial nach oben. Der Chefstratege der Bank of Communications etwa setzt beim Hang Seng ein Ziel bei 32 000 Punkten, womit es Raum für einen Anstieg um weitere 16 % gäbe, während den im Hang Seng China Enterprise Index (HSCEI) vertretenen chinesischen Werten mit einem Ziel bei 19 000 Punkten gar ein Sprung um 30 % zugetraut wird.In den kommenden Tagen dürften die chinesischen Anleger ihr Interesse zwar verstärkt dem heimischen Markt gelten, wo ein Schwung von neuen Initial Public Offerings ansteht, die fast ausschließlich am ersten Handelstag um die in Schanghai und Shenzhen zulässige Höchstmarke von 44 % in die Höhe zu schießen pflegen. Danach aber dürfte Hongkong Shanghai Stock Connect von chinesischer Seite wieder stark mit Aktienkäufen in Anspruch genommen werden, heißt es im Markt. Der Marktwert der in Hongkong gelistete Aktien passierte zum Wochenbeginn erstmals die Marke von 30 Bill. HK-Dollar, das sind umgerechnet 3,7 Bill. Euro Börse Hongkong hebt abLachender Gewinner ist dabei der Börsenbetreiber Hong Kong Exchanges & Clearing (HKEX), dessen eigene Aktie zum Wochenbeginn gleich um 20 % in die Höhe geschossen war und nun binnen sechs Monaten um 65 % zugelegt hat. Damit kommt HKEX auf einen Marktwert von knapp 44 Mrd. Dollar Euro und holt sich auch wieder die im Jahr 2012 an die Derivatebörse Chicago Mercantile Exchange abgegebene Krone als weltweit wertvollste Börsenorganisation zurück. Die CME brachte zuletzt 31 Mrd. Dollar auf die Waage, während die Derivatebörse Intercontinental Exchange (ICE) als Besitzer der New York Stock Exchange (NYSE) auf 25 Mrd. Dollar kommt.Ein ähnliches Revirement findet sich im auch im Bankenlager. Chinas staatliche Kreditriesen zeigen im Lauf der Konjunkturabkühlung und steil ansteigender Kreditausfallrisiken stark gebremste Gewinnzuwächse und wiesen im vierten Quartal sogar Gewinnrückgänge auf. Dies hindert die Großbankenwerte allerdings nicht daran, voll an der Hausse zu partizipieren und damit auch wieder auf die Spitzenplätze in den Marktwert-Rankings zurückzukehren. Das nach Bilanzsumme weltgrößte Kreditinstitut Industrial Commercial Bank of China (ICBC) steht nun wieder vor der US-Bank Wells Fargo als marktwertschwerste Bank, während sich die chinesische Nummer Zwei China Construction Bank an J.P. Morgan vorbei auf den dritten Platz geschoben hat.