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Ausfälle bedrohen die Zukunft der Mittelstandssegmente

Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 30.4.2014 Die Förderung der Kapitalbeschaffung kleiner und mittelgroßer Unternehmen (KMU) zählt zu den Themen, die in der Politik derzeit hohe Priorität haben. So soll die Deutsche Börse auf...

Ausfälle bedrohen die Zukunft der Mittelstandssegmente

Von Christopher Kalbhenn,FrankfurtDie Förderung der Kapitalbeschaffung kleiner und mittelgroßer Unternehmen (KMU) zählt zu den Themen, die in der Politik derzeit hohe Priorität haben. So soll die Deutsche Börse auf Wunsch der Bundesregierung ein neues Segment für vielversprechende Start-ups ins Leben rufen. Es soll natürlich nicht den verbrannten Namen “Neuer Markt” tragen und auch so gestaltet werden, dass sich ein Desaster wie bei jenem Wachstumssegment nicht wiederholen kann. Es müsse gewährleistet werden, dass Skandale und Betrugsfälle möglichst nicht wieder passieren, sagte kürzlich die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, in einem Interview. Nur zwei NeuemissionenEs ist ein unglücklicher Zufall, dass diese begrüßenswerte Initiative zeitlich mit der Krise eines anderen Kapitalbeschaffungsangebots der Börsen für KMU zusammenfällt, dem unter Umständen wie einst dem Neuen Markt der Garaus gemacht werden könnte. Nach einer Serie von Schuldnerausfällen mit zum Teil bedenklichen Begleitumständen leiden die Mittelstandsanleihesegmente der deutschen Börsen unter einem Vertrauensverlust, der die Emissionsaktivitäten stark reduziert hat. Nur noch zwei Neuemissionen wurden in den ersten drei Monaten des Jahres platziert. Genauso hoch ist leider die Zahl der Emittenten, die im ersten Quartal ausgefallen sind.In der Diskussion über Gegenmaßnahmen lassen sich zwei Lager unterscheiden. Davon fordert eines im Sinne einer Art Vollkaskomentalität durchgreifende Maßnahmen der Börsen, durch die die Anleger vor Ausfällen weitestgehend geschützt würden. Diese Forderung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. So ist unklar, welche Maßnahmen für eine so weit gehende Absicherung geeignet wären bzw. ob es überhaupt möglich ist, Anleger nahezu vollständig vor Ausfallrisiken zu schützen, ohne die Anleihesegmente durch eine Überfrachtung mit Auflagen kaputtzumachen. Umfangreiche Auflagen könnten auch eine trügerische Sicherheitsillusion zur Folge haben und daher die falschen, d.h. auf Sicherheit bedachte Anleger anziehen.Das andere Lager, zu dem die Börsen zählen, verweist zu Recht darauf, dass irgendwo der Bereich beginnen muss, ab dem der Anleger für seine Entscheidungen selbst verantwortlich ist. Die Mittelstandssegmente – daraus haben die Börsen nie einen Hehl gemacht – sind nur für risikoaffine Anleger, die sich mit der Materie auskennen bzw. sich hinreichend informieren, geeignet. Wenn eine Institution wie das Stadtdekanat München mehrere Millionen Euro mit Mittelstandsanleihen verzockt, weil man mit dem deutschen Mittelstand Solidität und Sicherheit assoziierte, ist das Problem nicht bei den Emittenten oder den Emissionsbegleitern oder den Börsen zu suchen, sondern beim Investor.Die Börsen können letzten Endes weder den Anlegern die Verantwortung für ihre Entscheidungen abnehmen noch sie vollständig gegen wirtschaftliche Risiken abschirmen, mit denen Investments nun einmal verbunden sind – erst recht, wenn Anleiheverzinsungen von mehr als 5 % geboten werden. Allerdings können die Betreiber der Mittelstandssegmente auch nicht ganz aus der Verantwortung entlassen werden. Wichtig ist unter anderem eine klare Kommunikation des Risikocharakters der Segmente, die nichts anderes als High-Yield-Segmente sind. Insofern wäre ein sinnvoller Schritt der Verzicht auf die potenziell missverständliche Bezeichnung Mittelstandsanleihen, so wie dies die Deutsche Börse bereits praktiziert.Darüber hinaus sollten alle an dem Geschäft Beteiligten Qualitätskriterien noch stärker beachten als bislang, auch wenn dies Mandate kosten kann. Ratingagenturen sollten bei der Emissionsbenotung strenger vorgehen, um dadurch die bislang zu hohe Anzahl späterer Herabstufungen zu reduzieren. Vor allem sollten die Anforderungen an die Emittenten seitens der Emissionsbegleiter weiter erhöht werden. Ausfallquoten von mehr als 20 % der platzierten Volumina kann kein Anleihesegment dauerhaft verkraften. Es ist gerade im Interesse der Emissionsbegleiter, strengere Maßstäbe für die Emissionskandidaten zu setzen, um dazu beizutragen, dass die Ausfälle zurückgehen. Setzt sich die Serie von Ausfällen noch lange fort, muss um die Zukunft der Segmente gefürchtet werden. Ein Aus der Segmente wäre umso bedauerlicher, als aufgrund des Umfeldes gute Voraussetzungen für eine nachhaltige Etablierung gegeben sind. Der Bedarf der Investoren nach höher rentierlichen Anlagen wird weiterhin für eine entsprechend hohe Nachfrage nach Hochzinsanleihen sorgen. Vor allem aber wird der Bedarf mittelgroßer Unternehmen an Bankkredite ergänzender Finanzierung über die Kapitalmärkte in den kommenden Jahren enorm zunehmen. Hoher FinanzierungsbedarfDie Ratingagentur Standard & Poor’s hat dies in einem gestern veröffentlichten Bericht deutlich gemacht. Danach müssen die mittelgroßen europäischen Unternehmen bis zum Jahr 2018 insgesamt zwischen 2,4 und 2,8 Bill. Euro aufnehmen. Davon entfallen rund 2,1 Bill. Euro auf die Refinanzierung bestehender Verbindlichkeiten sowie zwischen 350 und 750 Mrd. Euro auf Investitionen und Expansionsvorhaben. Laut der Agentur wird sich die Mittelbeschaffung in den kommenden Jahren in wesentlich geringerem Umfang auf Banken stützen können, da diese ihre Kreditvergabe an europäische Unternehmen insgesamt reduzieren. Alternative Finanzierungsquellen begännen zwar, die Lücke zu füllen, stellten aber noch keinen breiten und gut etablierten Markt dar, so die Agentur.