DEVISENWOCHE

Auswirkungen einer atypischen Erholung

Von Martin Hochstein *) Börsen-Zeitung, 21.7.2020 L, U, V oder doch eher W? Die Diskussion um Stärke und Verlauf der begonnenen Konjunkturerholung wird aktuell von einer Exegese der Buchstabenökonomie dominiert. Der hiermit verbundene Versuch, ein...

Auswirkungen einer atypischen Erholung

Von Martin Hochstein *)L, U, V oder doch eher W? Die Diskussion um Stärke und Verlauf der begonnenen Konjunkturerholung wird aktuell von einer Exegese der Buchstabenökonomie dominiert. Der hiermit verbundene Versuch, ein möglichst griffiges Muster zu finden, blendet allerdings die komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen aus, von denen die globale Konjunktur in den kommenden Monaten beeinflusst wird. Fakt ist: Die Weltwirtschaft wurde im ersten Quartal dieses Jahres in die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt, ausgelöst durch einen beispiellosen synchronen Angebots- und Nachfrageschock im Zuge der Covid-Pandemie und des Ölpreiskollapses. Mit der geld- und fiskalpolitisch gestützten Erholung der makroökonomischen Daten seit Ende Mai gewann zuletzt allerdings die Diskussion an Fahrt, ob es sich nicht gleichzeitig um die kürzeste Rezession der Neuzeit handelt, die trotz der außergewöhnlichen Umstände in einen dynamischen Konjunkturaufschwung münden könnte.Wenngleich Aktien- und Unternehmensanleihemärkte bereits ein solches optimistisches Erholungsszenario einpreisen, bleiben Zweifel angebracht. Zwar benötigten Volkswirtschaften in den Industrieländern in der Vergangenheit in der Regel nur drei bis vier Quartale, um sich von einer Rezession zu erholen. Der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts betrug dabei im Durchschnitt allerdings lediglich 2,5 bis 3 %. Relativ hierzu dürfte der Rückgang im aktuellen Umfeld drei- bis viermal so stark ausfallen – der Startpunkt der Erholung liegt somit deutlich niedriger.Gleichzeitig werden durch die Coronakrise strukturelle Belastungsfaktoren gefördert, die auch mittel- bis längerfristig auf dem globalen Trendwachstum lasten dürften. Hierzu zählen neben einem geänderten Konsumverhalten und zunehmenden Hysterese-Effekten am Arbeitsmarkt vor allem anhaltende Deglobalisierungstendenzen, eine weit verbreitete Investitionszurückhaltung im Unternehmenssektor und verstärkte “Crowding-out”-Effekte durch die öffentliche Hand. Angebotsseitig lasten perspektivisch sowohl ein anämisches Produktivitätswachstum als auch die negative demografische Entwicklung auf dem Produktionspotenzial der Weltwirtschaft. Flacherer WachstumspfadVor dem Hintergrund graduell nachlassender monetärer und fiskalischer Impulse besteht somit eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die anfänglich dynamische Erholungsbewegung zeitnah in einen deutlich flacheren Wachstumspfad übergeht. Der aktuelle Aufschwung würde somit eher einem umgekehrten Wurzelzeichen als einer V-förmigen Expansion ähneln, wobei das vorrezessive Produktionsniveau voraussichtlich nicht vor Ende 2021 erreicht wird – wahrscheinlich sogar eher später. Aufgrund möglicher weiterer Covid-Infektionswellen dominieren hierbei auf Sicht der kommenden Monate nach wie vor die Abwärtsrisiken.Welche fundamentalen Auswirkungen ergeben sich aus einer derart atypischen, unvollständigen Erholung für die Devisenmärkte? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich zunächst ein Blick auf frühzyklische Aufschwungsphasen der Vergangenheit. Eine aufgrund des synchronen Charakters der Covid-Rezession repräsentative Analyse der vier globalen Nachrezessionsphasen 1975, 1982, 1991 und 2009 ergibt das folgende Bild: Mit Ausnahme von 2009 stieg der handelsgewichtete US-Dollar in allen Phasen innerhalb der ersten sechs Monate eines globalen Konjunkturaufschwungs. Zyklische G10-Währungen zeigten sich demgegenüber – mit Ausnahme eines durchweg festeren kanadischen Dollar – uneinheitlich. Der japanische Yen und der Schweizer Franken neigten überwiegend zur Stärke. Schwellenländerwährungen hingegen schwächten sich auf aggregierter nominaler Basis in allen Episoden ab – mit Ausnahme einer Seitwärtsbewegung 2009. Abwertung sicherer HäfenDiese historischen Muster kontrastieren mit den derzeitigen Erwartungen vieler Devisenmarktteilnehmer. Diese gehen auf Sicht der kommenden Quartale von einer tendenziellen Abwertung des US-Dollar und “sicherer Häfen” wie japanischer Yen und Schweizer Franken aus. Für zyklische und rohstoffabhängige Währungen wird eine Aufwertung erwartet. Voraussetzung für eine solche Entwicklung wäre aus fundamentaler Sicht eine deutlich zunehmende zyklische und monetäre Differenzierung in einem insgesamt robusten weltwirtschaftlichen Umfeld.Während die zyklischen Unterschiede mit einer relativ besseren Konjunkturentwicklung in Europa (ex UK) und Asien (ex Japan) gegenüber den USA und Lateinamerika im zweiten Halbjahr visibler werden könnten, dürften von monetärer Seite aufgrund der weltweit anhaltend expansiven Geldpolitik weiterhin nur geringe Impulse auf die Devisenmärkte ausgehen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass andere Einflussfaktoren an Bedeutung gewinnen: langfristige Bewertungen, strukturelle Faktoren (Leistungsbilanz- und Fiskalsalden), politische Risiken sowie länderspezifische Covid-Infektionsdynamiken und die Kapazitäten bzw. Qualität der jeweiligen Gesundheitssysteme.Auf Sicht der kommenden Monate spricht dies insgesamt für eine moderate Schwäche des US-Dollar und des britischen Pfund, eine leichte Euro-Aufwertung sowie eine weitgehend stabile Entwicklung von Yen und Schweizer Franken. Deutliche Aufwertungen der skandinavischen (Schweden, Norwegen) und sonstiger Dollarblockwährungen (Kanada, Australien, Neuseeland) wären ausgehend von den derzeitigen Niveaus nur im Falle einer stärkeren zyklischen Belebung zu erwarten. *) Martin Hochstein ist Senior Investment Strategist bei Allianz Global Investors.