KRISENANGST AN DEN MÄRKTEN

Bärenpranke hält die Börsen im Griff

Weltweiter Kursverfall dauert an - Fast alle Leitindizes im Baissemarkt - Sehr viele Unsicherheitsfaktoren

Bärenpranke hält die Börsen im Griff

Die Weltbörsen können den Bären nicht abschütteln. Bis auf die USA und die Schweiz verzeichnen fast alle wichtigen Leitbörsen Verluste von über 20 % seit dem letzten Höchststand. Verhaltene Konjunkturprognosen lassen keine rasche Erholung erwarten. Doch die Wachstumsschwäche ist nicht neu. Warum geht es ausgerechnet jetzt abwärts?Von Dietegen Müller, FrankfurtDer Risikoappetit unter Investoren ist zur Wochenmitte weiter gesunken: Die meisten wichtigen Indizes, darunter der Euro Stoxx 50 oder der Nikkei, der unter der Flucht in den Yen leidet (vgl. Chart), haben mehr als 20 % seit ihrem letzten Höchststand verloren und sind in einem Bärenmarkt. In Chicago ist am Mittwoch der Volatilitätsindex VIX mit 27,8 % auf den höchsten Stand seit Anfang September gestiegen.Warum jetzt viele Nachrichten nur einseitig negativ bewertet werden, darüber gehen die Einschätzungen auseinander. Einige Vermögensverwalter wie DJE Kapital oder Fiduka sehen die Chance auf eine Kurserholung im laufenden Jahr, weil sie die Marktreaktion für übertrieben oder irrational halten. Die LBBW schreibt in einer Einschätzung, 2016 könnte “besser werden, als der schlechte Start nahelegt”. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11,5 auf Basis der Gewinnschätzungen 2016 sei der Dax günstig bewertet.Auffällig ist derzeit aber die Summe möglicher Risiko- oder Belastungsfaktoren, die von unterschiedlichster Seite ins Feld geführt werden. Daraus lässt sich eine höhere Risikoaversion ableiten. So dürfte die Zurückhaltung, neue Engagements einzugehen, wohl eine größere Rolle spielen als etwaige Notverkäufe aus Zwangslagen heraus. Auch verweisen einige Marktteilnehmer auf geringe Liquidität (siehe Interview rechts), was zur Vergrößerung von Kursausschlägen führe.Viele Analysten verweisen auch auf die überdurchschnittliche Bewertung vieler Märkte – vor allem in den USA. Diese stehe im Widerspruch zur Furcht vor einer drastischen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China und weltweit. Erst am Dienstag hat der Internationale Währungsfonds IWF seine Wachstumsprognose für 2016 auf 3,4 % von 3,6 % und für 2017 auf 3,6 % von 3,8 % reduziert. Damit könnte der ohnehin nur mäßige Schwung der wirtschaftlichen Erholung seit dem Ende der Finanzkrise ganz verloren gehen, was auf die Bewertungen drücken würde. Wie bedeutend ist China?Über die Bedeutung einer “harten Landung” Chinas gehen die Einschätzungen stark auseinander. James Swanson vom Vermögensverwalter MFS hält dies für die USA und Deutschland für beherrschbar: Der Exportanteil Chinas mache nur 0,7 % des US-Bruttoinlandsprodukts aus und 2,1 % des deutschen BIP. Andere Analysten sehen das Risiko von Währungskriegen. Société-Générale-Stratege Albert Edwards erwartet eine weitere Abwertung des Renminbi, was zu einem weltweiten deflationären Schock führen könne – weil chinesische Unternehmen wettbewerbsfähiger werden und damit die Margen nichtchinesischer Unternehmen drücken (vgl. BZ vom 15. Januar). Tatsächlich sind die Gewinnerwartungen in den USA inzwischen – ausgehend von einem sehr hohen Niveau – negativ: Laut dem Datendienstleister Factset prognostizieren die aggregierten Schätzungen für US-Gewinne im ersten Quartal ein Minus um 0,6 %. Ende September hat der aggregierte Konsens noch ein Plus von 4,9 % prognostiziert. Alte SchuldensorgenAuch der stotternde Konjunkturmotor in den Schwellenländern ist nicht neu. Da kein Ende der Rohstoffpreis-Baisse in Sicht zu sein scheint, sieht der Vermögensverwalter MFS die gestiegene Verschuldung in einigen Ländern als Problem. Würde nun auch das Wachstum in Ländern unter Druck geraten, die erst vor kurzem auf den Wachstumspfad zurückgefunden haben – vornehmlich europäische Staaten -, könnten damit alte Sorgen etwa um die Zukunft der Währungsunion hochkochen. Einige Marktteilnehmer bezweifeln hier, dass die Notenbanken noch ausreichend Instrumente hätten, um Spannungen abzubauen.Da die verschiedenen Weltregionen an unterschiedlichen Punkten im Wachstumszyklus stehen und in den USA im Dezember die Leitzinsen erstmals seit 2006 wieder erhöht wurden, schafft dies Unsicherheit. Gibson Smith, Chief Investment Officer of Janus Fixed Income, sagt, in einem Umfeld wie derzeit, in dem die Bewertung risikoreicher Anlagen schon ausgereizt sei, würden Änderungen in der Vorgehensweise Kursausschläge vergrößern. Öl: InvestitionsausfallEin weiterer Faktor ist die Rohstoffpreisbaisse. So besteht derzeit eine Korrelation zwischen der Entwicklung von Aktienkursen und Ölpreis. Der Preisverfall trifft rohstoffreiche Länder wie Russland, Saudi-Arabien oder Brasilien, denen Einnahmen entgehen. Einige Analysten erkennen darin Risiken für den Konsum oder die politische Stabilität.Michael Browne, für die Long-Short-Equity-Strategie des Vermögensverwalters Martin Currie verantwortlich, hält zudem den Investitionsausfall im Öl- und Gassektor für signifikant. Seit 2009 habe die Branche in Europa 40 % der Investitionsausgaben aller gelisteten Unternehmen ausgemacht. Nun brechen die Investitionen ein: “Es gibt keinen anderen Sektor, der dies ersetzen kann”, sagt der Fondsmanager.