Bei Biontech ist Geduld gefragt
Geld oder Brief
Bei Biontech ist Geduld gefragt
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Der Überflieger der Corona-Jahre, das Mainzer Unternehmen Biontech, ist hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Nach dem Ende der Pandemie ist das Biotech-Unternehmen 2024 in die roten Zahlen gerutscht. Biontech hat bisher nur ein Medikament auf dem Markt: den Corona-Impfstoff Comirnaty, den das Unternehmen gemeinsam mit seinem US-Partner Pfizer entwickelt hat. Die Nachfrage nach Comirnaty lässt inzwischen deutlich nach. Zu Hochzeiten hatte der Impfstoff Biontech knapp 19 Mrd. Euro in die Kassen gespült. 2024 fiel der Umsatz um knapp 30% auf nun noch 2,75 Mrd. Euro. Da die Mainzer gleichzeitig ihre Ausgaben für die Forschung und Entwicklung von Krebsmedikamenten um gut 26% auf 2,25 Mrd. Euro nach oben gefahren haben, steht unter dem Strich nun ein dickes Minus von 665,3 Mill. Euro, nachdem 2023 noch ein Gewinn von einer knappen Milliarde Euro zu Buche gestanden hatte. Es ist das erste Mal seit dem Vor-Corona-Jahr 2019, dass Biontech in einem Geschäftsjahr keinen Gewinn macht.
Wirklich überraschend kommt dieses Ergebnis eigentlich nicht. Die nachlassende Nachfrage nach Comirnaty war genauso absehbar wie, dass die Entwicklung von Krebsmedikamenten eher einem Langstreckenlauf als einem Sprint gleicht. Dennoch wurden die Zahlen an der Börse nicht gut aufgenommen. Für die in New York an der Nasdaq gelisteten Anteilscheine von Biontech ging es nach Verkündung der Zahlen um fast 4% nach unten.
Mehr Forschung und Stellenabbau
Das Unternehmen will nun Stellen abbauen. Bis Ende 2027 sollen in Europa und Nordamerika 950 bis 1.350 Arbeitsplätze wegfallen. Ende 2024 hatte Biontech weltweit ungefähr 7.200 Beschäftigte. Betroffen von den Stellenkürzungen sind etwa die Standorte in Marburg und in Idar-Oberstein. Gleichzeitig soll in anderen Bereichen wie auch am Stammsitz in Mainz Personal aufgebaut werden. Biontech spricht von einem eindeutigen Bekenntnis zum Standort Deutschland. Auch die hohen Investitionen vor allem in teure klinische Studien sollen nicht etwa gekürzt, sondern weiter ausgebaut werden. Für das laufende Jahr wird mit noch etwas geringeren Erlösen von 1,7 bis 2,2 Mrd. Euro bei gleichzeitigen Forschungsausgaben von 2,6 bis 2,8 Mrd. Euro gerechnet. An Geld mangelt es den Mainzern so schnell nicht: Trotz des hohen Verlusts und der Umsatzeinbrüche hielt Biontech zum Jahresende insgesamt 17,4 Mrd. Euro.
Investieren will das Unternehmen in die Entwicklung von Krebstherapien auf mRNA-Basis, die dem Immunsystem bei der Erkennung und Zerstörung von Krebszellen helfen sollen. Auch Comirnaty war auf der Basis von mRNA entwickelt worden. Aktuell hat Biontech 20 Medikamente in späteren klinischen Studienphasen. Vergleichsweise weit sind die Mainzer bei der Entwicklung von Präparaten gegen Blasenkrebs sowie zur Behandlung von Darmkrebs. Bei Letzterem werden für Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres wichtige neue Studiendaten erwartet. Bei der mRNA-Technologie steht der Kandidat BNT122 im Fokus. Biontech erprobt das Mittel, das es gemeinsam mit Genentech, einem Tochterunternehmen der Schweizer Pharmafirma Roche, entwickelt hat, gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs, Hautkrebs und Darmkrebs. Daneben setzt Biontech große Hoffnungen auf einen Wirkstoffkandidaten namens BNT327. Dieser soll Effekten von Tumoren entgegenwirken, die das körpereigene Immunsystem unterdrücken. Die weltweiten Rechte an dem Wirkstoffkandidaten haben sich die Mainzer mit der Übernahme der chinesischen Firma Biotheus gesichert. Beobachtern zufolge könnte das Mittel dem derzeit verkaufsstärksten Medikament überhaupt, Keytruda, mit 25 Mrd. Dollar Jahresumsatz, Konkurrenz machen.
Große Fortschritte
Die Bekämpfung von Krebs gehört nach wie vor zu den vielversprechendsten Wachstumsfeldern der Gesundheitsbranche. Im vergangenen Jahr habe sein Unternehmen hier große Fortschritte gemacht, sagte Firmenchef Ugur Sahin zuletzt. In den kommenden Monaten könne mit weiteren Nachrichten gerechnet werden, die Krebsbehandlungen revolutionieren könnten. 2026 soll die erste Marktzulassung folgen. Sollte den Mainzern nach ihrem Corona-Impfstoff hier erneut ein Durchbruch gelingen, dürfte die Aktie mindestens so durch die Decke gehen wie zu Zeiten der Pandemie. Das Potenzial beim Kampf gegen die Menschheitsgeisel Krebs erscheint vielen Beobachtern nämlich noch deutlich vielversprechender.
Bis es so weit ist, werden sich Investoren allerdings noch eine Zeit lang gedulden müssen. Zudem ist die Entwicklung von Medikamenten nie ohne Risiken und kann auch schnell zum Milliardengrab werden. Analysten betrachten die Aktie dennoch ganz überwiegend optimistisch. Der Finanzdienstleister Refinitiv zählt drei Empfehlungen mit dem Prädikat „Strong Buy“ und weitere 13 mit „Buy“. Während fünf Analysten für „Halten“ votieren, rät nicht ein einziger zum Verkauf. Auf ähnliche Zahlen kommt der Aktienbewertungs- und Prognosedienst ValuEngine (13-mal Strong Buy, viermal Hold). Deutsche Bank Research etwa hat die Einstufung für Biontech auch nach den aktuellen Zahlen auf „Buy“ mit einem Kursziel von 150 Dollar belassen. Etwas vorsichtiger sind UBS, J.P. Morgan und Goldman Sachs, die Kursziele zwischen 115 und 136 Dollar aufrufen. Klar scheint aber bei allem Potenzial: Zunächst ist Geduld gefragt.