Bei China kommt es auf die langfristige Perspektive an
Seit dem 23. August unterliegen chinesische Güter im Wert von etwa 50 Mrd. US-Dollar, von Haushaltsgeräten bis zu Elektronikprodukten, Autoteilen und weiteren Erzeugnissen, US-Handelszöllen. Viele Anleger treibt die Frage um, welche potenziellen Auswirkungen dieser eskalierende Konflikt auf Investments in China hat. Politischer Kaffeesatz ist schwer zu lesen, und wir behaupten nicht, zu wissen, wie das geht. Aber als langfristiger Investor ist man auch nicht gezwungen, jederzeit den nächsten Schritt vorauszusehen. Es gilt vielmehr, die Entwicklungen im Auge zu behalten und abzuwägen, was sie für die eigenen Positionen bedeuten könnten. Über die Unternehmen, in die wir investieren, bekommen wir ein Gefühl dafür, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Einige dieser Unternehmen legen gerade die Ergebnisse für das erste Halbjahr vor. Dies ist eine gute Gelegenheit, ihre aktuelle Verfassung zu beurteilen. Wachstum bereitet SorgenDer chinesische A-Aktienmarkt ist seit Ende Januar um rund 25 % gefallen. Mehr als über den Handelskonflikt machen sich die Investoren Sorgen über die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China und die Auswirkungen des Schuldenabbaus. Reflexartige Verkaufswellen dieser Art sind typisch für einen von Kleinanlegern bestimmten Markt, wo die Anleger erst verkaufen und dann nachdenken. Wenn wir diesen Markt analysieren, erkennen wir allerdings in bestimmten Segmenten durchaus gute Entwicklungen. Diese bieten die Gelegenheit, die jüngste Volatilität zu nutzen, um qualitativ hochwertigen Titel in unsere regionalen und chinesischen Portfolios aufzunehmen, deren Bewertungen bisher ein Hindernis darstellten.In gleicher Weise hatten wir während der chinesischen Verkaufswelle 2015 und 2016 Positionen in ausgewählten Aktien aufgebaut. Damit konnten wir von der Markt-Rally im letzten Jahr profitieren, als sich diese von den Analysten vernachlässigten Unternehmen aufgrund ihrer inhärenten Stärken erholten. Grundsätzlich gilt es, wahllose Verkäufe, die sich nicht aus einer Verschlechterung der Fundamentaldaten eines Unternehmens ergeben haben, für das Portfolio zu nutzen. Solche Fehlbewertungen helfen dabei, den wahren Wert der gehaltenen Qualitätsunternehmen zu erkennen. Riesiger KonsumentenmarktTrotz der Turbulenzen beurteilen wir die langfristigen Aussichten Chinas nach wie vor positiv. Unserer Meinung nach wird die Wirtschaft weiter gut wachsen. Dabei wird sie durch den riesigen Konsumentenmarkt, den wachsenden Wohlstand und die Urbanisierung unterstützt. Wir richten den Blick vor allem auf die zukünftige Entwicklung, um die langfristigen Vorteile des Schuldenabbaus der Regierung und ihrer Reformbemühungen zur Behebung struktureller Schwächen im Inland zu verstehen. Viele Analysten erwarten, dass der rückläufige Handelsbilanzüberschuss Chinas und die Eskalation des Handelskonflikts den Yuan und den Aktienmarkt nach unten drücken werden. Peking hat jedoch eingegriffen, um die Wirtschaft im Lot zu halten: Die Regierung hat Steuerermäßigungen für Unternehmensinvestitionen eingeführt und die Ausgabe lokaler Staatsanleihen beschleunigt. Dies zeigt, dass die Unterstützung des Wachstums notfalls Priorität hat. Wir gehen davon aus, dass die politischen Entscheidungsträger extrem vorsichtig dabei sein werden, die Einschränkungen für das Schattenbankwesen zu lockern, um das Kreditwachstum zu fördern. Begrenzte AuswirkungenChina hat zwar eigene Vergeltungszölle für US-Produkte im Wert von 60 Mrd. Dollar angekündigt. Die Gegenwehr über den Handel wird jedoch nur begrenzte Auswirkungen zeigen, da die US-Importe unbedeutend sind. Im Großen und Ganzen erkennen wir drei Optionen für Peking: Beschränkung der US-Geschäftsaktivitäten in China, Abwertung des Yuan und Verkauf von US-Treasuries. Die beiden erstgenannten Maßnahmen sind wahrscheinlicher. Peking kann formelle oder informelle Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Unternehmen ergreifen, die in Bezug auf ihren Umsatz oder Umsatzwachstum von China abhängig sind. Daraus resultierende Umsatzminderungen und Aktienkursschwankungen der betroffenen US-Unternehmen könnten für Peking ein Druckmittel bei den Verhandlungen sein. Breiteres Yuan-Band Im Hinblick auf die Währungsabsicherung halten wir es für wahrscheinlicher, dass die Regierung die Handelsbandbreite des Yuan ausweitet, statt einen direkten Währungskrieg aufzunehmen. Denn große Kapitalabflüsse dürften angesichts der Bemühungen Chinas um einen Schuldenabbau das Risiko bergen, die interne Geldversorgung zu erschweren. Zölle ein stumpfes InstrumentIn Wahrheit stammt allerdings ein großer Teil der Wertschöpfung, die in chinesischen Exporten in die USA enthalten ist, aus anderen asiatischen Volkswirtschaften wie Malaysia, Südkorea und Thailand. Diese sind wesentlich offener für den Handel als China. Deshalb dürften die Sanktionen zum größten Teil andere Länder in der Region belasten. In einer Welt der integrierten Lieferketten sind Zölle ein stumpfes Instrument zur Verfolgung handelspolitischer Ziele.Die negativen Auswirkungen dieses Handelskonflikts werden zwar erst später im Jahr klar zu erkennen sein. Die Daten deuten jedoch bereits jetzt darauf hin, dass die asiatischen Volkswirtschaften darunter leiden werden. Das Bruttoinlandsprodukt Südkoreas etwa hat sich im Quartalsvergleich verlangsamt, da die Exporte und der Privatverbrauch nachließen. Und die jüngsten Zölle auf chinesische Güter werden wohl auch japanische Unternehmen belasten, die Komponenten für den Zusammenbau nach China exportieren.Die multilaterale, über China hinausgehende Natur des US-Handelsprotektionismus, sekundäre Auswirkungen der Zölle auf das Geschäftsklima und die Finanzmärkte sowie Gegenmaßnahmen von Drittländern, um Produkte von ihren eigenen Märkten fernzuhalten, bergen das Risiko eines möglicherweise umfassenderen Wachstumsschocks. Wir werden die Ereignisse weiter aufmerksam im Auge behalten und Qualitätsaktien kaufen, wenn sie unserer Meinung nach unterbewertet sind.—-Hugh Young, Head of Asia Pacific bei Aberdeen Standard Investments