IM INTERVIEW: ULRICH VON AUER, J.P. MORGAN PRIVATE BANK DEUTSCHLAND

"Bei den Aktien ist noch etwas mehr Raum"

Der Leiter des Portfoliomanagements über die Zinspolitik, die sehr schmalen Sicherheitsmargen im Rentenmarkt und die Reize von Pharma- und Bankaktien

"Bei den Aktien ist noch etwas mehr Raum"

Die jüngsten Aussagen der US-Notenbank Fed weisen darauf hin, dass die Kapitalmarktzinsen noch länger niedrig bleiben dürften. Dadurch können auch die Preise von Vermögenswerten hoch bleiben, meint Ulrich von Auer, Leiter Portfoliomanagement bei J.P. Morgan Private Banking Deutschland, im Interview der Börsen-Zeitung. Er sieht deshalb noch Potenzial für Aktien, hält die Sicherheitsmarge in den Rentenmärkten aber für sehr schmal. Von Bitcoins als Anlageobjekt ist er nicht überzeugt.- Herr von Auer, die US-Notenbank beginnt mit dem Abbau ihrer Bilanz. Welche Bedeutung messen Sie dem zu?Die wichtigste Aussage der Fed war jene über die langfristig angemessenen Zinsen – ein klares Statement, dass wir langfristig in einer Welt leben werden, in der die Zinsen eher niedrig sein werden. Somit werden auch die Kapitalmarktzinsen niedrig bleiben. Das finde ich sehr interessant.- Weshalb?Es gibt an der Inflationsfront ein Tauziehen. Wir sehen in den USA eine zyklische Wirtschaft, die zunehmend in Richtung Überhitzung laufen könnte. Laut Fachleuten sollte bei einer Arbeitslosigkeit von 4,8 % bis 5 % Vollbeschäftigung herrschen. Momentan liegt die Quote um die 4,4 % und dürfte weiter in Richtung 4 % sinken. Dies würde eine zyklische Überbeschäftigung mit Inflationsdruck bedeuten. Doch sagt Fed-Chefin Janet Yellen, die Zinsen werden niedrig bleiben, da langfristige strukturelle Faktoren die Inflation drücken. Das ist eine klare und sehr wichtige Aussage.- Inwiefern?Yellen spielte auf die Globalisierung an – der Wettbewerbsdruck ist einfach hoch und wird hoch bleiben. Das andere sind die Internet-Wirtschaft und die Sharing Economy, die für extremen Preisdruck sorgen, da sich besser vergleichen lässt, wo etwas günstiger ist. Yellen meint offenbar, und dies meiner Meinung nach zu Recht, dass die Inflation dauerhaft gedrückt und darum unter Kontrolle sein wird.- Wie sieht es denn mit dem Wachstumspotenzial aus?Dass die Produktivität nicht stärker steigt, ist ein Rätsel. Die demografische Entwicklung ist ein Mühlstein am Hals der Wirtschaft in den Industrieländern. Die Frage ist, ob die geringere Zahl der Menschen, die arbeiten, durch eine höhere Produktivität ausgeglichen werden kann. Dies ist zumindest gemäß messbaren Zahlen nicht der Fall und eines der großen Rätsel seit der Finanzkrise – trotz der Internet-Wirtschaft. Es gibt viele Versuche, dies zu erklären, aber keiner ist überzeugend oder ausreichend. Im Moment scheint das Wachstumspotenzial nicht so groß zu sein.- Was hat ein langfristig niedriges Zinsniveau für Implikationen für die Finanzmärkte?Die Preise von Vermögenswerten können hoch bleiben. Alle Bewertungen an den Finanzmärkten sind auch relativ zueinander zu sehen, sie sind ja Substitute, also Alternativen. Wenn man ein Grund-Asset, den Makrozins, billig macht oder dieser billigt bleibt, strahlt das auf alle Assetklassen aus. Die Renten werden teurer, also wechseln die Investoren in Dividendenpapiere als Rentenersatz. Dann werden diese teuer, und die Anleger gehen in zyklischere Aktien. Am Ende investieren sie in Schwellenländer-Small-Caps. Alternativ gehen sie auch in Immobilien, so dass die Mietrenditen parallel zum Kapitalmarktzins sinken. Das hat starke Bewertungsauswirkungen. Die niedrigen Zinsen rechtfertigt viel mehr, dass ein Kurs-Gewinn-Verhältnis wie in den USA beim etwa 18-Fachen liegt. In einem Hochzinsumfeld wäre vielleicht ein 15-faches KGV angemessen.- Der niedrige Leitzins verzerrt also die Bewertung beträchtlich?Wir haben das nicht quantifiziert. Der Konsens geht davon aus, dass die Bewertungen hoch sind, aber es gibt derzeit keine Blase. Wenn der US-Markt gemessen am S & P 500 auf einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 20 handelt, sollten allerdings unserer Meinung nach die Warnlichter aufleuchten. Wir stehen derzeit beim 17,5-Fachen, es wäre also noch etwas Raum nach oben, wenn die Zinsen niedrig bleiben.- Wenn auch die Gewinne entsprechend mithalten?Ja. Der Anstieg des Kurs-Gewinn-Verhältnisses in den vergangenen Jahren wurde durch reale Gewinne gestützt. Es handelte sich nicht um eine Hoffnungsblase, sondern dahinter stehen eine stetig wachsende Wirtschaft und wachsende Gewinne.- Für Europa gilt das auch?Neuerdings ja. 2012 gab es ja noch einmal eine Rezession, aus der wir erst 2014 herausgekommen sind, aber 2017 legen die Gewinne erstmals kräftig zu. Die angelsächsischen und auch asiatischen Investoren haben zudem ihre Meinung zur Eurozone revidiert und investieren hier.- Welche Risiken sehen Sie in den europäischen Aktienmärkten?Es gibt den Spruch, Bullenmärkte sterben nicht an Altersschwäche. Für ein Ende des Bullenmarktes müsste es einen Grund geben. Das haben wir bei großen Crashs gesehen – beim Platzen der Technologie- oder der US-Immobilienblase. Wo ist die jetzige Blase, die platzen könnte? Das ist unklar. Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, wo etwas schiefgehen könnte. Wirklich gravierend wäre aber nach unserer Einschätzung vor allem, wenn die Zentralbanken ihren geldpolitischen Kurs unerwartet ändern würden, also viel schneller und schärfer die Geldpolitik straffen, als es der Markt erwartet.- Auch deswegen, weil sich die Duration im Fremdkapitalmarkt verlängert hat?Die ist in der Tat sehr lang geworden. Die Märkte haben acht bis neun Jahre von der Politik des billigen Geldes profitiert. Wenn sich diese ändern würde, wäre das ein Paradigmenwechsel. Dafür müsste aber die Inflation anziehen, und danach sieht es nicht aus.- Sie sagen, es ist schwer vorstellbar, was schiefgehen kann. Das ist die beste Voraussetzung dafür, dass wirklich etwas schiefgeht. Fehlt nicht eine Sicherheitsmarge in den Märkten, weil die Notenbanken kaum noch Spielraum haben?Die Sicherheitsmarge in den Rentenmärkten ist sehr schmal. Auch in den Credit Spreads zeigt sich, dass der Markt für eine perfekte Welt gepreist ist, in der nicht viel schiefgehen darf. Anleger suchen geradezu danach, was schiefgehen könnte. Als ein Risikofaktor wird auch die Geopolitik – beispielsweise Nordkorea – genannt. Es gibt aber immer irgendwo auf der Welt eine geopolitische Krise. Klar, das lässt sich nicht abschätzen. Dann kommt das Argument politischer Risiken in der Eurozone. Das Thema ist aber auch vorerst vorbei. Auch der Klassiker, die China-Blase, wird seit 15 Jahren diskutiert, es scheint aber alles in ruhigeres Fahrwasser gekommen zu sein. Als größtes und wichtigstes Thema bleibt also nur eine Wende der Geldpolitik, die alle überrascht. Das würde vermutlich zu einer gleichzeitigen Korrektur bei Aktien und Renten führen.- Besorgt Sie nicht, dass durch die niedrigen Zinsen die Investoren undisziplinierter werden?Wir sehen diese Tendenz, ja. Anleger gehen immer mehr in riskantere und illiquidere Assetklassen, weil alles andere unattraktiv ist. Das kann so lange gutgehen, wie fundamental nichts schiefgeht.- Wie gehen Sie im Privatkundengeschäft mit dieser Erkenntnis um, wenn die Zielsetzung ist, kein Geld zu verlieren?Der Spielraum im Rentenmarkt ist enger als im Aktienmarkt. Der Makrozins bietet keinen Puffer gegen einen Zinsanstieg. Bei den Credit Spreads ist kaum Raum für Defaults. Wir haben im High-Yield-Bereich Defaults, die zwischen 1 % und vielleicht 2 % liegen. Wenn sie darüber steigen, fängt dies der Spread nicht mehr auf. Aber bei den Aktien ist noch etwas mehr Raum. Das ist eine Lehre vergangener Korrekturen: Die Kreditmärkte reagieren häufig als Erste, während die Aktienmärkte oft noch etwas weiter laufen. Darum würde ich auf die Credit Spreads als Seismografen achten.- Welche Branchen favorisieren Sie am Aktienmarkt?In den USA überwiegend Titel aus dem Gesundheitswesen, aus dem Technologiesektor sowie Bankwerte, vor allem aus dem Einlagen- und Depotgeschäft – in Europa zunehmend auch. Ein Faktor, der oft unterschätzt wird, ist, dass die Bankfiliale unbedeutender wird. Das bedeutet ein erhebliches Kosteneinsparungspotenzial. Hinzu kommt, dass etwas höhere Zinsen – auch wenn sie weiter sehr niedrig bleiben – etwas Unterstützung bieten. In Europa ist im Bankensektor eine weitere Konsolidierung zu erwarten – auch in Deutschland. Andere Branchen wie Versorger, Konsumgüter des Massenbedarfs sowie Energietitel halten wir dagegen für weniger attraktiv und tendenziell auch Anbieter von Lebensversicherungen und Vorsorgelösungen. Im Bereich der Sach- und Unfallversicherung gibt es aber hochattraktive Geschäftsmodelle, die auch erhalten bleiben werden.- Gibt es weitere Ideen?Es gibt Branchen, die von Reformen unter US-Präsident Donald Trump profitieren dürften. Beispielsweise von der Repatriierung von Barbeständen großer Konzerne in die USA würden alle Unternehmen mit hohen Cash-Positionen profitieren, namentlich aus dem Technologie- und Pharmasektor. Die Pharmaindustrie forscht zudem sehr intensiv und meldet viele Patente an. Im defensiven Bereich ist dies der interessanteste Sektor. Das umfasst ebenfalls den Biotechsektor, auch wegen möglicher Übernahmefantasien. In der Krebstherapie bietet die Genforschung viel Fantasie.- Wie sieht Ihr Portfolio sonst aus?Abgesehen von der leichten Übergewichtung von Aktien in der Vermögensverwaltung haben wir in Bezug auf die Länderverteilung keine klaren Präferenzen. Wir sehen heute in Europa mindestens so gute Chancen wie in den USA, haben aber auch Positionen in Japan und in asiatischen Schwellenländern. Nach einem ausgesprochenen Growth-Jahr aufgrund der Tech-Hausse erwarten wir nun eine bessere Entwicklung von Value-Aktien mit stabilen Geschäftsmodellen und Cash-flows, die auch in schwierigeren Konjunkturlagen die Dividenden unterstützen. In den vergangenen Monaten haben wir den Value-Faktor aufgebaut.- Als abschließende Frage – würden Sie eine Diversifizierung in Kryptowährungen wie Bitcoins empfehlen?Ich kann dazu nur eine private Meinung äußern. Nicht ohne Grund haben sich alle modernen Gesellschaften eine Zentralbank mit einem Notenmonopol gegeben. Wenn jetzt dezentral unkontrolliert eine andere Institution Geld schafft, was auch als Geld gelten soll, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines regulatorischen Eingriffs sehr real. Deshalb würde ich mich überhaupt nicht wohlfühlen, Kryptowährungen in meinem Portfolio zu haben. Hinzu kommt die Volatilität, die rund fünf Mal so hoch ist wie bei normalen Währungen, sowie die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit einer Bewertung. In Summe ist dies keine überzeugende Investition.—-Das Interview führte Dietegen Müller.