Bei FlatexDegiro ist viel eingepreist
Von Wolf Brandes, Frankfurt
5,90 Euro ist beim Online-Broker FlatexDegiro so etwas wie eine magische Zahl. So viel kostet schon seit Jahren eine Wertpapierorder bei dem Haus in Deutschland. Und auf diesen Wert ist der Aktienkurs im Dezember gefallen, so tief wie seit März 2020 nicht mehr. Anfang Dezember gab der europaweit tätige Online-Broker seine dritte Gewinnwarnung seit Jahresbeginn heraus und reduzierte das Umsatzziel 2022 auf 380 Mill. Euro. Im Oktober hatte die Gesellschaft das Ziel von zuvor 400 bis 440 Mill. auf „mindestens“ 400 Mill. Euro gesenkt. Firmenchef Frank Niehage rechnet jetzt außerdem nur noch mit einer bereinigten operativen Marge von 37% (Ebitda 140 Mill. Euro), nachdem man bislang den Vorjahreswert von gut 42% (170 Mill. Euro) angepeilt hatte.
Der prognostizierte Rückgang des Gewinns wird nach dem glanzlosen Handel im Oktober und November auf die insgesamt geringere Handelsaktivität im vierten Quartal zurückgeführt. Die neuerliche Anpassung der Zahlen nach unten entspricht einer Kürzung der Ebitda-Marge um 18% beziehungsweise des Umsatzes um 5%.
Sonderprüfung mit Folgen
Zeitgleich zur Gewinnwarnung informierte der Online-Broker über eine Sonderprüfung der Finanzaufsicht BaFin, die Mängel in Geschäftspraktiken und Unternehmensführung festgestellt hat. Die BaFin ordnete unter anderem zusätzliche Eigenmittel an. Aufsichtsrat und Vorstand haben daraufhin beschlossen, die FlatexDegiro Bank mit weiteren 50 Mill. Euro aus eigenen Mitteln zu kapitalisieren. Der Überschuss 2022 soll einbehalten werden, heißt es. Angesichts des Kapitalbedarfs dürften sich die Hoffnungen auf baldige Dividenden oder Aktienrückkäufe in Luft aufgelöst haben.
Die Organisation von FlatexDegiro wurde gestärkt. Matthias Heinrich rückt als Risikochef auf und der bisherige CFO Muhamad Chahrour wird ab 1. Januar COO und stellvertretender Firmenchef. Neuer Finanzvorstand des Konzerns wird Benon Janos, der bisher diese Funktion bei der FlatexDegiro Bank ausübte. Die Veränderungen scheinen den Analysten von KWB überfällig. Allerdings seien die neuen Vorstände Veteranen des Brokers und „frisches Blut“ könnte neue Perspektiven eröffnen.
Kurs stürzt ab
Der Aktienkurs des SDax-Unternehmens reagierte auf die BaFin-Sonderprüfung und die erneute Gewinnwarnung Anfang Dezember heftig. Innerhalb eines Tages sackte die Notierung um 36% von 10,14 Euro auf 6,46 Euro ab. Bei 5,62 Euro war vorläufig der Boden erreicht, am Donnerstag beendete das Papier den Handel mit 5,89 Euro. Noch zu Beginn des Jahres war die Aktie bei 22,22 Euro gehandelt worden. Das Allzeithoch wurde Ende Juni 2021 mit 29,28 Euro markiert. Dem Kursverlauf entsprechend brach die Marktkapitalisierung des Online-Brokers zusammen. Aktuell ist das Unternehmen an der Börse noch 650 Mill. Euro wert. Weit weg von den 1 Mrd. Euro – für den Brokerverbund mit den Marken Flatex und Degiro eine wichtige Marke. Die Rekordkapitalisierung wurde mit 3,26 Mrd. Euro im Juni 2021 erreicht.
Die Deutsche Bank hat die Erwartung für den Gewinn 2022 gesenkt, unter anderem weil Rentabilität und Neukundengewinnung durch die negativen Ergebnisse der Sonderprüfung der BaFin beeinträchtigt würden. Damit einher gingen höhere Kosten, um die Unternehmensführung zu stärken und Mängel zu beheben. Infolgedessen hat die Bank auch die Schätzungen für die Folgejahre reduziert. Auf Basis der aktualisierten Schätzungen werde FlatexDegiro nun mit dem Zehnfachen des Gewinns pro Aktie gehandelt, was deutlich unter der historischen Bewertung liege. Die Bank erwartet einen höheren Bewertungsabschlag. Vor diesem Hintergrund senkte die Deutsche Bank das Kursziel für FlatexDegiro auf 9 Euro, behielt aber die Empfehlung „Halten“ bei.
Analysten werden vorsichtig
Morgan Stanley stufte den Titel Mitte Dezember von „Underweight“ auf „Equal-weight“ hoch. Nach Ansicht der Bank seien viele schlechte Nachrichten nun eingepreist, begründete Analyst Panos Ellinas diesen Schritt. Er verweist auf den Aktienrückgang von rund 70% im Jahresverlauf. Das Kursziel senkte die Bank von 10,10 auf 7,10 Euro mit der Begründung, dass das Geschäftsmodell mit Fokus auf Privatkunden sehr abhängig von der Konjunktur und dem Verhalten der Kunden sei. Morgan Stanley hebt positiv die geografische Präsenz, die integrierte, skalierbare Plattform und das Angebot an Finanzprodukten hervor.
Der Online-Broker versucht in dem schwierigen Markt gegenzusteuern und hatte schon vor einiger Zeit beispielsweise die Bearbeitungsgebühren für Transaktionen bei Degiro erhöht.
Die Einschätzungen der Analystengemeinde haben sich in den vergangenen Monaten deutlich negativ entwickelt. Auf Bloomberg geben elf Häuser eine aktuelle Empfehlung ab. Berenberg, Jefferies und Warburg haben die Aktie mit „Kaufen“ eingestuft. Morgan Stanley, Autonomous Research, Goldman Sachs, BNP Paribas Exane, Deutsche Bank, KBW und Oddo BHF empfehlen eine neutrale beziehungsweise „Halten“-Position. Als ein „Strong Sell“ bewertet Sadif Analytics die Aktie.
Vor einem Jahr urteilte die Mehrheit der Analysten noch mit „Kaufen“. Bei den Zielkursen reicht die Spanne nun von 5,56 Euro (Autonomous) bis 19,80 Euro (Warburg).
Kritik an Kommunikation
Angesichts der sehr schlechten Kursentwicklung der Aktie und der Zuspitzung mit der dritten Gewinnwarnung sowie der Sonderprüfung der BaFin Anfang Dezember spricht nach Ansicht vieler Marktbeobachter im Augenblick eher wenig für das Papier. Insbesondere die Kostenrisiken, die sich aus den Konsequenzen der BaFin-Prüfung ergeben könnten, dürften nach Einschätzung einiger Analysten das Ergebnis belasten. Hinzu kommt noch, dass am Markt zum Teil bemängelt wurde, dass das Haus nicht frühzeitiger auf die BaFin-Sonderprüfung hingewiesen habe.
Mit dem massiven Kursrückgang sind viele schlechte Nachrichten bereits im aktuellen Börsenkurs enthalten. Gleichwohl weisen die Analysten auf die Risiken bei dem europäischen Marktführer im Retail-Brokerage hin.