GASTBEITRAG

Bei Investments in Brasilien ist Pragmatismus angesagt

Börsen-Zeitung, 19.5.2016 Für Brasiliens Wirtschaft ist es ein Silberstreif am Horizont: Nach einem dramatischen Showdown hat der brasilianische Senat Präsidentin Dilma Rousseff für zunächst 180 Tage suspendiert, und der ehemalige Vizepräsident...

Bei Investments in Brasilien ist Pragmatismus angesagt

Für Brasiliens Wirtschaft ist es ein Silberstreif am Horizont: Nach einem dramatischen Showdown hat der brasilianische Senat Präsidentin Dilma Rousseff für zunächst 180 Tage suspendiert, und der ehemalige Vizepräsident Michel Temer hat die Regierungsgeschäfte übernommen. Eine Rückkehr Rousseffs ins Amt nach dieser Frist ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich: Mit dem Amt hat sie auch die Macht abgegeben, die sie benötigt, um das finale Votum des Senats zu überstehen. Das Ende der Ära Rousseff, so die Hoffnung, bedeutet auch das Ende einer Politik, die der Wirtschaft geschadet und das Land in eine bedenkliche fiskalische Schieflage manövriert hat. Ist nun also auch für Investoren der Augenblick gekommen, Brasilien wieder zuversichtlicher zu betrachten? Das Sentiment an den Märkten hat sich in den vergangenen Wochen bereits verbessert und dürfte sich weiter aufhellen, wenn der Senat sich dem Verfahren anschließt. Doch ist der Optimismus gerechtfertigt angesichts des steinigen Wegs, den das Land vor sich hat? Zeit für einen realistischen Blick auf die Lage. Enormer ReformbedarfEines zumindest ist klar: Alle Augen ruhen nun auf Michel Temer, der dringend notwendige Reformen angehen muss. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren weist Brasiliens Haushalt ein Primärdefizit auf. Daran hat zwar auch die schwache Entwicklung der Rohstoffpreise ihren Anteil, doch der Großteil der Budgetlücke geht auf das Konto der Regierung. Wenn sich der Abschwung fortsetzt, dürfte sich die Schuldendynamik weiter verschlechtern, und Brasiliens Zentralbank wird gezwungen sein, die Notenpresse anzuwerfen. Inflation und Zinsen dürften dann für lange Zeit auf einem hohen Niveau verbleiben. Zugleich hat die Regierung kaum Spielraum für Investitionen, denn 90 % der öffentlichen Ausgaben sind per Gesetz für Sozialleistungen vorgesehen. Um das zu ändern, müsste eine neue Regierung die Verfassung ändern.Keine kleine Aufgabe für eine neue Regierung. Zu große Euphorie ist fehl am Platz. Michel Temer wird die vergangenen Jahre nicht über Nacht ungeschehen machen können. Schlimmer noch, Brasiliens Schuldenstände dürften zunächst weiter ansteigen. Aber die Dringlichkeit der Probleme wird dem neuen Präsidenten keine Wahl lassen, als auf eine wirtschaftsfreundlichere Politik umzuschwenken. Er muss das Vertrauen in eine ökonomische Belebung wieder herstellen, denn dies braucht Brasilien jetzt mehr als alles andere. Dazu muss er eine veritable Liste an Reformen abarbeiten. Um das Defizit in den Griff zu bekommen, wird eine Neuausrichtung der Sozialversicherungssysteme ebenso notwendig sein wie Austeritätsmaßnahmen und Steuererhöhungen. Dazu dürften nicht nur höhere Abgaben auf Treibstoff, sondern auch eine Ausweitung der Finanztransaktionssteuer CPMF notwendig sein. Neben diesen fiskalischen Maßnahmen muss Temer eine Reihe weiterer Reformen vorantreiben, darunter eine Öffnung des Ölsektors, die auch die Lockerung der Auflagen zum Einsatz lokaler Ressourcen und Arbeitskräfte umfassen dürfte.Dabei sind drei Dinge so gut wie ausgemacht: Erstens werden viele Maßnahmen extrem unpopulär sein. Zweitens sind sie dennoch notwendig. Und drittens werden sie noch lange nicht ausreichen, um Brasiliens Probleme zu lösen. Die anstehenden Einschnitte sind als eine Art Abschlag auf den langjährigen Reformprozess zu verstehen, der Brasilien bevorsteht. Auch hier ist Realismus gefragt, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass Michel Temer sich als schwacher Präsident erweisen wird. Temer ist im eigenen Land äußerst unpopulär und verfügt als Vizepräsident nicht über ein demokratisches Mandat. Daher könnten die Parteien im Nationalkongress geneigt sein, auf Distanz zu gehen, und es ihrem neuen Präsidenten schwer machen, weitreichende Reformen durchzusetzen. Allerdings besteht in Brasilien ein breiter politischer Konsens hinsichtlich der notwendigen Reformen, der Temer zumindest eine Weile lang tragen und dafür sorgen dürfte, dass das Land bis zu den nächsten Wahlen durchhält. Weiter und steiniger WegSo weit zur politischen Einschätzung. Die für Investoren entscheidende Frage lautet: Wie stehen die Chancen für die brasilianische Wirtschaft? Auf den Rohstoffsektor dürften Anleger jedenfalls nicht hoffen. Die hohen Rohstoffpreise der Vergangenheit haben die Wirtschaft beflügelt, doch sie haben auch zum Reformstau beigetragen, der Brasilien nun belastet. Sie haben geholfen, den Staatshaushalt und die Ausgaben der Regierung zu finanzieren, und dafür gesorgt, dass sich das Land einen Konsumboom leisten konnte, ohne ein zu großes Leistungsbilanzdefizit aufzubauen. Doch diese Zeiten sind vorerst vorbei. Das Land muss nun den harten Weg der Reformen gehen: Schlechte Infrastruktur, Korruption und Überregulierung sorgen dafür, dass Geschäfte in Brasilien mit hohen Zusatzkosten verbunden sind. Bei den nun notwendigen Reformen muss es nicht zuletzt darum gehen, diesen sogenannten Custo Brasil zu reduzieren. Wie dargelegt, dürfte es noch ein weiter und steiniger Weg bis dahin sein.Wenn es der neuen Regierung gelingt, die Inflationserwartungen zu senken und die mittelfristige Schuldendynamik in den Griff zu bekommen, dürften brasilianische Anlagen insgesamt profitieren. Bis dahin sollten Investoren pragmatisch sein. Es gilt, Unternehmen zu finden, die sich auch in einem schwierigen Umfeld gut entwickeln können. Die Krise ist kein neues Phänomen, und Brasiliens Unternehmen hatten bereits genug Gelegenheit, Erfahrung zu sammeln. Auch wenn die Konjunkturaussichten für dieses Jahr durchwachsen bleiben, dürften Firmen mit gesunden Bilanzen in der Lage sein, damit umzugehen.Interessante Unternehmen finden sich beispielsweise bei den Banken mit Fokus auf dem Privatkundengeschäft. Bezüglich des brasilianischen Bankensektors gehen angesichts des anhaltenden Abschwungs Sorgen über die Qualität der Aktiva um. Allerdings gehen viele Banken insbesondere im Privatkundensektor seit fünf Jahren bei der Kreditvergabe sehr konservativ vor und dürften daher auch im aktuellen Konjunkturzyklus nicht unter Druck geraten. Renditestarke BankenAuch im derzeitigen Umfeld können diese Banken Eigenkapitalrenditen von annähernd 20 % vorweisen. Bei diesen Banken, zu denen etwa Itau Unibanco Holdings gehört, wären also höhere Bewertungen gerechtfertigt. Und auch im Konsumsektor, hier insbesondere bei den Einkaufszentren und den Herstellern hochwertiger Konsumprodukte, finden sich Unternehmen, denen es sehr gut gelingt, mit der Krise umzugehen. Ein Beispiel ist die Modekette Lojas Renner, die kräftig in den Vertrieb investiert hat und sich so deutlich vom Gesamtsektor absetzen konnte. Wenn sich die wirtschaftlichen Aussichten mittel- und langfristig verbessern, dürften Unternehmen wie diese das Potenzial zu kräftigen Kursgewinnen haben.Auch wenn in Brasilien die Zeit des Aufatmens noch nicht gekommen ist, bietet der brasilianische Aktienmarkt also auch heute schon attraktive Chancen. Investoren, die diese Gelegenheiten identifizieren können, brauchen auf den Silberstreif am Horizont nicht zu warten.—-Gonzalo Pangaro, Portfolio Manager des T. Rowe Price Funds SICAV-Emerging Markets Equity Fund