IM INTERVIEW: YORAM LUSTIG, T. ROWE PRICE

"Bei Small Caps gefällt uns die Bewertung"

Der Chef von Multi-Asset-Strategien EMEA über den Technologiesektor, Growth- oder Value-Titel und warum gerade kleine Aktien attraktiv bewertet sind

"Bei Small Caps gefällt uns die Bewertung"

Den Vermögensverwalter T. Rowe Price würde es nicht überraschen, wenn Technologieaktien sich weiterhin positiv entwickeln. Bei Growth- oder Value-Titeln sei eine ausbalancierte Positionierung angebracht. Für Yoram Lustig, Chefstratege Multi-Asset für die EMEA-Region, zählen Small Caps zu den am attraktivsten bewerteten Bereichen am Aktienmarkt. Herr Lustig, Technologieaktien haben zuletzt deutlich nachgegeben. Ist ihre Rally damit beendet?Ich messe dieser kurzfristigen Bewegung nicht viel Bedeutung zu. Der Markt war etwas überkauft. Eventuell haben Gewinnmitnahmen eine starke Rolle gespielt, nachdem der Technologiesektor viel zu schnell gestiegen war. Möglicherweise ist die Abwärtsbewegung auch durch den algorithmischen Handel so deutlich ausgefallen. Technologie ist eine der am besten abschneidenden Branchen dieses Jahres. Die Technologieaktien des S&P 500 haben etwa 30 % zugelegt (Stand: 4.9.2020). Ohne die Branche wäre der S&P 500 im Vergleich zum Jahresanfang leicht rückläufig (etwa – 0,5 %) gewesen. Spielten bei der Korrektur die Bewertungen eine Rolle?Die Bewertungen sind sicherlich eine Herausforderung. Technologieaktien sind recht teuer. Aber fundamental betrachtet sehen die FAANGM-Aktien (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Alphabet, Microsoft) recht gut aus. Die Hausse ist gerechtfertigt, weil die Coronakrise dem Geschäft dieser Unternehmen hilft. Die Menschen zahlen immer mehr elektronisch, kaufen immer mehr im Internet ein und nutzen Fernsehen immer mehr online. Letztlich sind das aber langfristige Trends. Wir befinden uns inmitten der digitalen Revolution. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich diese Aktien auch langfristig weiter gut entwickeln. Schon seit längerem wird auf eine Rotation aus Growth- in Value-Aktien gehofft beziehungsweise gewartet. Wie beurteilen Sie die Chancen, dass es in absehbarer Zeit dazu kommt?Die Outperformance von Growth- gegenüber Value-Aktien hält schon seit mehr als einem Jahrzehnt an. Es stellt sich die Frage, was denn der Katalysator für eine Rotation sein könnte. Die Herausforderung ist die Sektorkomposition. Growth wird weitgehend von Technologie dominiert, Value stark von den Finanz- und Energiebranchen bestimmt. Der Finanzsektor leidet unter den sehr niedrigen Zinsen, der Energiesektor unter den gefallenen Ölpreisen. Auch wenn die Bewertungen niedrig sind, ist derzeit schwer auszumachen, was eine Outperformance von Value treiben könnte. Die wirtschaftliche Erholung könnte als Katalysator gesehen werden, weil sie die Zinsen nach oben treiben und damit den Finanzsektor stützen könnte, ebenso die Ölpreise, die den Energiesektor stützen. Wie sind Sie positioniert?Wir waren in Growth übergewichtet. Wir haben uns aber bereits vor der Technologiekorrektur neutral positioniert, was Growth versus Value betrifft. Der Technologiesektor hatte einen sehr starken Lauf und war für eine Korrektur reif, Value ist sehr attraktiv bewertet. Den Sell-off sehen wir aber als Gelegenheit, Growth potenziell zu kaufen, denn es fällt uns schwer, an eine Outperformance von Value zu glauben. Insgesamt ist unserer Meinung nach derzeit eine ausbalancierte Positionierung bei Growth und Value angebracht, weil einerseits Growth recht teuer und Value viel günstiger ist, andererseits eine Rotation schwer zu prognostizieren ist. In welchen weiteren Bereichen sind Sie übergewichtet?In den Schwellenländern und in Small Caps. Allerdings muss man in den Emerging Markets sehr selektiv sein. Ein Land wie China hat eine starke Zentralbank und profitiert von den niedrigen Rohstoffpreisen, weil es Nettorohstoffimporteur ist. Zudem scheint China die Pandemie überwunden zu haben. Brasilien hat dagegen keine so starke Zentralbank, ist Rohstoffexporteur und hat mit der Pandemie schwer zu kämpfen. Mit aktivem Management kann man in den Emerging Markets in signifikantem Ausmaß Wert generieren. Und was gefällt Ihnen an Small Caps?Hier gefällt uns die Bewertung. Small Caps zählen zu den am attraktivsten bewerteten Bereichen des Aktienmarktes. Sie sind im Vergleich zu den großen Werten weniger dem globalen Handel ausgesetzt, der unter dem Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie unter der Pandemie leidet. Aufgrund ihrer lokalen Fokussierung sind Small Caps gegen Beeinträchtigungen des globalen Handels immun. Auch der schwächere Dollar und Währungsschwankungen setzen ihnen weniger zu. Viele kleinere Unternehmen könnten zudem Stützung seitens der Regierung erhalten, durch Hilfspakete in Europa und in den USA. Wie stellen Sie sich im Anleihebereich auf?Das ist derzeit ein sehr interessanter Bereich. Auch was die Positionierung Anleihen versus Aktien betrifft, sind wir zurzeit neutral positioniert. Innerhalb des Anleihebereiches sind wir wiederum eher auf Segmente mit mehr Risiko fokussiert. Wir sind in Unternehmens-, Hochzins- und Schwellenländeranleihen übergewichtet. Der High-Yield-Bereich ist attraktiv bewertet. Die Spreads sind noch recht weit, wenn auch nicht so weit wie im zurückliegenden März. Hinzu kommt, dass die Notenbanken in den USA und Europa auch Hochzins-ETFs kaufen. Durch die Krise gibt es außerdem sehr viele Fallen Angels, das heißt Anleihen, die vom Investment-Grade- in den High-Yield-Bereich zurückgestuft worden sind. Die Folge ist, dass sich die Kreditqualität in dem Segment insgesamt erhöht hat. Hier bietet sich die Möglichkeit, durch einen aktiven Ansatz einen Mehrwert zu generieren. Schwellenländeranleihen werden zwar nicht von den Notenbanken gekauft. Aber das Niedrigzinsumfeld sorgt durch den Renditebedarf der Investoren für Nachfrage. Ist nicht gerade bei einer solchen Positionierung auch hier aktives Management gefragt?Aktiv und selektiv vorzugehen ist definitiv wichtig. Wir betreiben ein intensives Research, um Defaults zu meiden. In welchem Ausmaß berücksichtigen Sie Staatsanleihen der entwickelten Volkswirtschaften?Sie spielen immer noch eine Rolle im Portfolio. Wir haben, um es in der Fußballsprache zu sagen, eine balancierte Mischung aus Offensive und Defensive. Aktien und Hochzinsanleihen sind unsere Offensive, mit Bundesanleihen, Treasuries, Dollar und Yen sind wir auf Ereignisse wie die jüngste Korrektur des Technologiesektors vorbereitet. In welche weiteren Asset-Klassen investieren Sie?Wir investieren in alle liquiden Asset-Klassen, nicht aber in illiquide Asset-Klassen wie Immobilien, Infrastruktur und Private Equity. In unserem Portfolio haben wir einige liquide alternative Strategien, die sich sowohl in guten als auch in schlechten Marktphasen gut entwickeln. Dazu zählen etwa Faktor-, Long-/Short- sowie kombinierte Futures-/Optionsstrategien. Die Idee ist, fünf bis sechs Strategien zu mischen. Nicht jede einzelne entwickelt sich immer gut, aber insgesamt tun sie das. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.