DEVISENWOCHE

Beim Brexit ist für das Pfund noch alles drin

Von Ulrich Leuchtmann*) Börsen-Zeitung, 15.10.2019 Ende letzter Woche schien alles rosig auszusehen. Neue Hoffnung auf einen Brexit-Deal (ein Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU) keimte auf. Entsprechend konnte das...

Beim Brexit ist für das Pfund noch alles drin

Von Ulrich Leuchtmann*)Ende letzter Woche schien alles rosig auszusehen. Neue Hoffnung auf einen Brexit-Deal (ein Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU) keimte auf. Entsprechend konnte das Pfund am Donnerstag und Freitag deutlich zulegen: gegenüber dem Dollar um mehr als 3 %, gegenüber dem Euro um mehr als 2,5 %. Doch am Wochenende wurde klar, dass alles nicht so einfach ist. Der Vorschlag der britischen Regierung basiert auf einer Idee, die schon einmal als zu kompliziert verworfen wurde: Nordirland formal im britischen Zollgebiet anzusiedeln, materiell aber im Zollgebiet der EU zu belassen. Damit nicht zu offensichtlich wird, dass das ein formalistischer Trick ist, um die Brexiteers zu beruhigen, muss etwas Materielles her, das die Nordiren in einigen Aspekten zollrechtlich an Großbritannien bindet. Doch weicht jeder Schritt in diese Richtung die Zollunion der Gemeinschaft auf. Das kann die EU nicht wollen. Und deshalb ist alles nicht so einfach, wie es letzte Woche erschien.Plötzlich ist zumindest wieder wenig wahrscheinlich, dass auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag ein Deal unter Dach und Fach gebracht wird. Damit könnte sich das Deal-Angebot der britischen Regierung als ziemlich vergiftete Offerte erweisen. Wenn nämlich die EU – in ihrer Sorge, ja nicht als Buhmann dazustehen – sich auf dem EU-Gipfel nicht dazu durchringt, den Briten zu sagen, dass es bis Monatsende keinen Deal gibt. Dann könnte die Regierung in London versuchen, die laufenden Verhandlungen über ihre Offerte als Hebel zu benutzen, um den “Benn Act” auszuhebeln – jenes Gesetz, das der Regierung vorschreibt, in Brüssel eine Verlängerung der EU-Mitgliedschaft zu beantragen, falls diese Woche kein Deal zustande kommt. Für den Markt heißt das: Es ist noch alles drin: ein Deal, eine Verlängerung und ein No-Deal-Brexit.Klar, ein Deal wäre die positivste Alternative für das Pfund. Dann könnte der Worst Case dauerhaft ausgepreist werden. Die Niveaus, die Ende letzter Woche erreicht wurden (Pfund-Dollar um 1,2700, Euro-Pfund um 0,8700), sind sicherlich noch nicht das Ende der Fahnenstange, falls doch ein Deal zustande kommt. Doch wie viel Pfund-Stärke ist eigentlich zu erwarten, wenn es einen Deal gibt?Ende 2015 – bevor die Aussicht auf das Brexit-Referendum (am 23. Juni 2016) begann, das Pfund zu belasten – notierte Euro-Pfund im Bereich von rund 0,70 bis 0,75. Jedoch, seitdem ist viel passiert. Nicht nur der Brexit-Prozess. Dass ein Deal Euro-Pfund wieder in diese Regionen zurückführen könnte, erscheint mir unwahrscheinlich. Klar, die Bank of England (BoE) ist überzeugt, dass vor allem die Brexit-Unsicherheit verhindert, dass sie ihren Leitzins anheben kann.Und in der Tat, die in Inflations-Swaps implizierten langfristigen Inflationserwartungen des Marktes sind hoch (vgl. Grafik) und schreien – wenn der Brexit erst einmal überstanden ist – förmlich danach, dass die BoE die geldpolitischen Zügel anzieht. Das würde das Pfund deutlich unterstützen. Denn plötzlich wäre die BoE die einzige der großen Zentralbanken, die in Richtung höherer Zinsen unterwegs ist und zu hohe Inflation bekämpfen muss. Diese solitäre Stellung wäre ein starkes Argument für die britische Währung. Doch sollte man nicht vergessen: Auch der Markt für Inflations-Swaps muss einen ungeordneten Brexit und die dann zu erwartende Pfund-Schwäche berücksichtigen. Zu einem guten Teil dürften die hohen Inflationserwartungen Brexit-Angst reflektieren und somit verschwinden, wenn die Briten geordnet (ohne kollabierendes Pfund) die Union verlassen. Langsameres WachstumBliebe noch das realwirtschaftliche Argument. Dass die britische Volkswirtschaft seit dem Brexit-Referendum deutlich langsamer wächst als Europa und die USA, dass die Unternehmensinvestitionen seit Ende 2017 deutlich rückläufig sind (-3 %): All das mag auf Brexit-Unsicherheit zurückzuführen sein. Kommt es zu einem Deal, wird es Nachholinvestitionen geben. Doch käme der Deal zu einem zyklisch ungünstigen Zeitpunkt. Derzeit grassiert in Europa, den USA, ja weltweit die Angst vor einer globalen Rezession. Die vorlaufenden Stimmungsindikatoren geben deutliche Warnsignale in diese Richtung. Das hat nichts mit Brexit zu tun und wird sich auch bei einem Deal nur marginal ändern. Ob dies das Umfeld ist, um verschobene Investitionen schnell nachzuholen, erscheint mir fraglich. Das heißt aber: Wie überall sonst auch wird die realwirtschaftliche Entwicklung im Vereinigten Königreich auch bei einem gütlichen Ausgang des Brexit-Prozesses vor allem an der Weltwirtschaft hängen. Eine Sonderkonjunktur dürfte eher schwach ausfallen. Auch von dieser Seite gilt: Die BoE wird kaum so stark die Zinsen erhöhen können, wie sie heute glaubt.Die andere Seite – ein Brexit ohne Deal – ist von Ausmaß her schwerer einzuschätzen. Das größte Risiko wäre eine sich selbst verstärkende Abwertungsspirale, die in Ländern mit hohem Leistungsbilanzdefizit leicht entstehen kann. In solch einem Fall überschießt der Markt gerne. Man sieht, dass das genau das Szenario ist, welches alle Welt befürchtet: Versicherungen für einen deutlichen Pfund-Absturz sind am Optionsmarkt nur zu deutlich höheren Prämien erhältlich als Versicherungen für eine deutliche Pfund-Erholung.Als Analyst werde ich oft nach Punktprognosen gefragt. In diesem Fall verweigere ich mich strikt. Jedoch rate ich allen, die Pfund-Exposure haben, sich so aufzustellen, dass auch bei 15 % Abwertung – ungefähr nochmal das, was nach dem Brexit-Referendum passierte – nichts Schlimmes passiert. *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter Devisen-Research der Commerzbank.