DEVISENWOCHE

Beim Pfund bleibt das Glas halb leer

Von Daniel Winkler *) Börsen-Zeitung, 23.6.2020 Von Mitte Mai bis Anfang Juni überraschte das britische Pfund mit einer freundlichen Performance zum Dollar; Cable rangierte zeitweise rund 6 % höher. Konstruktive Brexit-Verhandlungen per...

Beim Pfund bleibt das Glas halb leer

Von Daniel Winkler *)Von Mitte Mai bis Anfang Juni überraschte das britische Pfund mit einer freundlichen Performance zum Dollar; Cable rangierte zeitweise rund 6 % höher. Konstruktive Brexit-Verhandlungen per Videokonferenz zwischen der EU-Kommission und dem britischen Premierminister sowie eine wenig später eher vorsichtig agierende Bank of England boten Anlass zur Hoffnung, der Währung Großbritanniens stünden grundsätzlich wieder sonnigere Zeiten bevor. Mitnichten! Zunächst ist zu konstatieren, dass das britische Pfund in diesem Zeitraum lediglich von einer zeitweisen Risk-on-Stimmung zulasten des Greenback profitierte; eine beinahe vollständige Beta-Bewegung zum US-Dollar. Insgesamt blieb das britische Pfund jedoch hinter allen anderen High-Beta-Währungen zurück; die NEER (Nominal Effective Exchange Rate) rangierte bezeichnenderweise seitwärts (rund 5 % über dem Coronakrisentief, aber 4 % unter dem Vorkrisenniveau). Markante AbwärtsrisikenDarüber hinaus hat das britische Pfund im G10-Universum unseres Erachtens im Rahmen der Corona-Auswirkungen zwei markante Abwärtsrisiken. Zum einen trifft Covid-19 die öffentlichen Finanzen Großbritanniens wie kaum eine andere Industrienation – 2020 dürfte sich das Staatsdefizit auf über 16 % des Bruttoinlandsproduktes belaufen. Dabei spielt die Fiskalpolitik neben der Geldpolitik in der aktuellen Krise insbesondere angesichts der großen Unsicherheit um die Verschiebung der aggregierten Nachfragekurve eine zentrale Rolle: Sie muss über entsprechende Vehikel die privaten und Unternehmenseinkommen bestmöglich schützen, um zunächst die Kontraktion abzumildern und sodann die konjunkturelle Erholung zu flankieren. Je kritischer die Staatsfinanzen vor der Krise waren, desto weniger effektiv kann hier agiert werden.Zum anderen dürfte sich folgende Bürde pfundnegativ auswirken: Großbritannien hat im besagten G10-Universum die höchsten Finanzierungsanforderungen durch ausländische Kapitalgeber. Diese enorme Abhängigkeit von Kapitalflüssen aus dem Ausland macht die Inlandswährung mit Blick auf die QE-Auswirkungen der Bank of England anfällig. Die Rendite zehnjähriger Gilts, die analog zu anderen Govie-Benchmarks in Industrienationen bereits vor Covid-19 in tiefes Terrain vorgedrungen war, setzt ihre Reise südwärts im aktuellen (QE-)Umfeld fort. Negativzinsen denkbarNeben dem jüngst erweiterten Ankaufprogramm der “Old Lady” gesellt sich allerdings ein weiterer geldpolitischer GBP-Negativfaktor: Wenngleich das Monetary Policy Committee der Bank of England die Bank-Rate in der vergangenen Woche unverändert bei 0,1 % beließ, mehren sich nichtsdestotrotz Anzeichen, dass die Währungshüter Ihrer Majestät Negativzinsen (Negative Interest Rate Policy, NIRP) inzwischen weniger skeptisch gegenüberstehen. Im Falle eines solchen Schrittes, der als Funktion von Coronakrise und Brexit im Jahresverlauf zumindest nicht ausgeschlossen werden sollte, wäre das britische Pfund die erste Währung mit einem nicht unwesentlichen Leistungsbilanzdefizit, die sich einer solchen Herausforderung stellen müsste. Bislang haben nur Überschussländer mit negativen Zinsen experimentiert. Aufgrund der genannten hohen Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen wäre das britische Pfund unseres Erachtens besonders anfällig im Falle einer solchen Quasisteuer gegenüber ausländischen Investoren. Wie wahrscheinlich ist NIRP in Großbritannien? Fakt ist, dass Investitionen auf der Insel seit dem Brexit-Referendum underperformt haben. Covid-19 dürfte die Lage noch verschlimmern. Dies wiederum impliziert, dass das zukünftige Produktivitätswachstum sehr gering ausfallen wird, mit entsprechender Auswirkung auf den neutralen Zins. In anderen Worten: Das derzeitige Zinsniveau wirkt absehbar immer weniger stimulierend auf die Konjunktur. Über die in der Summe positiven Wirkungsmechanismen gibt es von Zentralbanken, die bereits mit NIRP arbeiten, einige überzeugende Studien. Vorerst nicht erste WahlNichtsdestotrotz dürfte NIRP für den Coronaschock vorerst nicht das geldpolitische Mittel erster Wahl sein. Dies liegt vor allem an der für diese Krise charakteristischen Verschiebung der aggregierten Nachfragekurve. Nach dem medizinischen Containment des Virus und einem dadurch induzierten Abebben der Kaufzurückhaltung seitens der Konsumenten (wobei diese trotz Schutzschirmen für Einkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit unterm Strich längere Zeit nicht das Vorkrisenniveau bei den Konsumausgaben erreichen dürften) sollte sich jedoch zeitnah erneut die Frage um NIRP drehen (Stichwort Brexit). Schwerer WirtschaftseinbruchCovid-19 ließ binnen zweier Monate die Wirtschaft Großbritanniens um 25 % einbrechen. Der Brexit sollte sich gemäß Prognosen mit einem Rückgang des britischen BIP um 5 % auswirken – verteilt über mehrere Jahre. Es wäre jedoch ein Trugschluss, die negativen Auswirkungen des unrühmlichen Brexit-Kapitels als gering einzuschätzen. Nachdem eine Verlängerung der Brexit-Übergangsphase von der britischen Regierung abgelehnt wurde, muss nun ein Handelsabkommen bis Oktober erzielt werden, damit es bis Jahresende noch rechtzeitig ratifiziert werden kann. Wenngleich wir mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 80 % von einer grundsätzlichen Einigung ausgehen, dürfte es einerseits Bereiche geben, bei denen eine Einigung länger dauern wird und mithin die Brexit-Unsicherheit partiell anhält. Andererseits stellt sich Großbritannien auch bei einer weitreichenden Einigung insgesamt wohlfahrtstechnisch schlechter. Damit sind die Auswirkungen des Brexits längerfristig negativ.Im Gegensatz zu Großbritannien, das unter dem Damoklesschwert Brexit leidet, dürften die USA als größte Volkswirtschaft der Welt weitaus zügiger wieder in konjunkturell ruhigeres Fahrwasser zurückkehren. Den Boden für eine hinreichende solide Konjunkturunterstützung hat insbesondere die Fed in guter Abstimmung mit dem US-Finanzministerium bereitet. Die aktuellen Krisenprogramme haben einen wesentlich höheren Umfang als während der großen Finanzkrise. Zudem ist der fiskalpolitische Spielraum (Stichwort Exorbitant Privilege) hoch. Die jüngsten positiven Einzelhandelsumsätze sind zwar nur ein erster Indikator, aber die Zeichen mehren sich, dass die US-Wirtschaft die Talsohle schneller durchschreiten wird als andere entwickelte Volkswirtschaften.Für Cable erwarten wir vor dem Hintergrund der skizzierten Pfund-Schwäche, coronabedingter Risk-off-Szenarios sowie einer letztlich schneller wieder auf die Beine kommenden US-Konjunktur sukzessive leicht niedrigere Niveaus. Deutliche Abwärtsrisiken bestehen im Falle eines No-Deal-Brexits sowie bei Negativzinsen seitens der Bank of England. *) Daniel Winkler ist Finanzanalyst FI/FX bei Metzler.