Belastungsprobe für Chinas Aktien

Leitzinsfantasie allein treibt den Markt nicht mehr an - IPO-Welle friert Liquidität ein

Belastungsprobe für Chinas Aktien

An Chinas Festlandbörsen herrscht gespannte Ruhe vor einem möglichen Sturm. Konjunkturpessimismus und Hoffnungen auf neue Leitzinssenkungsimpulse halten sich in etwa die Waage. Mögliche Beschränkungen von Wertpapierkrediten und eine Neuemissionswelle, die temporär die Liquidität stark beeinträchtigt, gelten als harte Belastungsprobe. Am Horizont aber steht die Chance, dass chinesische A-Aktien in MSCI-Indizes Eingang finden, was den Markt stark beflügeln könnte.Von Norbert Hellmann, SchanghaiAn der Börse Schanghai hat sich in den vergangenen Tagen ein gänzlich “unchinesischer” Trend eingestellt, nämlich eine unspektakuläre Seitwärtsbewegung. Der Hauptindex Shanghai Composite tritt bei 4 400 Punkten und damit knapp 4 % Abstand zum Ende April erreichten Siebenjahreshoch auf der Stelle. Dies ist ein starker Kontrast zum volatilen Geschehen der vergangenen acht Wochen, als die im Herbst begonnene Rally chinesischer Dividendenwerte mit immer kräftigeren Tagesgewinnen fortschritt, aber immer wieder von einigen kurz währenden, aber scharfen Abwärtskorrekturen unterbrochen wurde.Die nun eingetretene Ruhephase basiert auf einer Art Abschreckungsgleichgewicht. Auf der einen Seite hat Chinas millionenstarke Armada von neu ins Börsengeschäft gelockten Kleinaktionären ihren Spekulationstrieb noch nicht ausgelebt und bringt genügend Liquidität ein, um die Rally am Leben zu halten. Auf der anderen Seite wächst die Nervosität, dass die Regierung den umtriebigen chinesischen Brokergesellschaften weiter auf den Pelz rückt, um das Ausufern von kreditfinanzierten Wertpapiergeschäften einzudämmen. Dies könnte eine Panikwelle am Markt auslösen, wenn Anleger unter Druck geraten, Wertpapiere, mit denen ihre Kredite unterlegt sind, abzuverkaufen, um Einschussverpflichtungen nachzukommen.Auch gibt es Fragezeichen, inwieweit sich der Optimismus der Anleger aufrechterhalten lässt, wenn doch die chinesische Zentralbank mit immer neuen Zinssenkungen und anderen monetären Lockerungsgesten auf die abbröckelnde Konjunktur einwirken muss. Zu Wochenbeginn brachte die People’s Bank of China (PBOC) eine nach schwachen Konjunkturdaten als überfällig geltende Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte. Doch scheint die Zentralbank vor dem Hintergrund des gewaltigen Überschuldungsproblems in der chinesischen Wirtschaft und der bislang sehr mäßigen realwirtschaftlichen Anpassungen auf Zinsgesten mit weiteren Schritten geizen zu wollen. Teilung in zwei LagerBei den Experten sieht man eine Teilung in zwei Lager. Die einen befürchten, dass der Shanghai Composite nach über 70 % Anstieg binnen sechs Monaten sich so weit von der fundamentalen Konjunktursituation abgehoben hat, dass zwangsläufig eine größere Korrektur ansteht. Die anderen setzen auf die ungebrochene Begeisterung der chinesischen Kleinanleger, die ausreichen könnte, den Markt weiter nach oben zu tragen, und darauf, dass die Regierung mit neuen Stimulierungsrunden und Reforminitiativen bei den Investoren Resonanz findet.Die kommende Woche wird eine Bewährungsprobe für den Markt mit sich bringen, da eine neue Runde von 20 kleineren Börsengängen ansteht. Mit den Initial Public Offerings (IPO) ist eine insgesamt nur geringfügige Kapitalaufnahme von gut 200 Mill. Dollar (170 Mill. Euro) verbunden, was keinerlei Belastung für den Markt darstellt, doch gelten im aufgeheizten chinesischen IPO-Markt andere Gesetze. Dort sorgt die Wertpapieraufsichtsbehörde mit eiserner Kontrolle über Timing und Konditionensetzung von Neuemissionen dafür, dass neue Titel der über 500 auf ein Entree wartenden IPO-Kandidaten stoßweise in den Markt kommen.Die Nachfrage nach knapp gehaltenen Neuemissionen ist so enorm, dass bei praktisch allen IPOs die Kurse am ersten Handelstag um die maximal zulässige Kursbewegung von 44 % nach oben schießen und auch danach weiter kräftig ansteigen. Dies wiederum führt dazu, dass IPOs in China als eine Lotterie wahrgenommen werden, bei der sich Millionen von Anlegern mit Zeichnungsgeboten engagieren, um die schmale Chance einer Zuteilung zu nutzen, die ihnen sichere Gewinne an den ersten Handelstagen bringt. Dieses absurde Spiel führt dazu, dass in den nächsten Tagen nach Analystenschätzungen rund 2,5 Bill. Yuan, also etwa 400 Mrd. Euro, für die Subskriptionsverfahren einige Tage auf Eis gelegt werden und dem Markt gewaltig Liquidität entziehen. Starke SogwirkungWährend die IPO-Lotterie eine weiche Flanke für Chinas Börsen abgibt, steht man vor der Perspektive, dass dem Markt ein riesiger Schwapp von institutionellem ausländischen Kapital zukommt, das eine länger anhaltende Hausse nähren könnte. Der Indexanbieter MSCI hat kürzlich wissen lassen, dass er am 9. Juni bekannt geben wird, ob die an den Börsen in Schanghai und Shenzhen gehandelten chinesischen A-Aktien erstmals Aufnahme in das führende Barometer für Schwellenländeraktien, den MSCI Emerging Marktes Index, finden. Im Falle einer positiven Entscheidung würde dies eine enorme Sogwirkung entfalten, da zahlreiche globale Assetmanager dann mit ihren passiv verwalteten Fondsvehikeln dazu angehalten wären, sich direkt im chinesischen Festlandmarkt zu engagieren.Bislang wurde den A-Aktien bei der jährlichen Prüfung der MSCI-Indizes, die auf länglichen Sondierungen mit großen institutionellen Investoren basieren, stets die Aufnahme verweigert, weil ausländische Fonds im Zusammenhang mit chinesischen Kapitalverkehrsbestimmungen nur sehr begrenzten Zugang zum Markt für A-Aktien finden. Entsprechend sind die Indexanbieter gezwungen, bei der Gewichtung den China-Anteil mit sogenannten H-Aktien, also den an der Hongkonger Börse notierten chinesischen Werten, darzustellen.Seit Oktober allerdings ist im Rahmen des sogenannten Hongkong Shanghai Stock Connect Scheme das Gros der chinesischen A-Aktien per Anbindung über die für ausländische Investoren frei zugängliche Hongkonger Börse handelbar. Allerdings unterliegt der Mechanismus noch einer Quotenregelung und einigen Imponderabilien in Sachen steuerlicher Behandlung. Hier dürften allerdings weiter gelockerte Beschränkungen seitens der chinesischen Behörden anstehen. Außerdem soll in der zweiten Jahreshälfte ein paralleler Anbindungsmechanismus, der auch die Börse Shenzhen mit Hongkong vernetzen würde, starten.