Bilderbuchstart für Russlands Börse

RTS-Index legt um mehr als 10 Prozent zu - Niedrige Bewertungen und hohe Dividendenrenditen ein Plus

Bilderbuchstart für Russlands Börse

Ziemlich unerwartet ist der russische Aktienmarkt mit einem Höhenflug ins Jahr 2019 gestartet. Das hat mehrere Gründe. So hat das Land bei den Dividendenrenditen weltweit die Nase vorn. Neue Sanktionsdrohungen werfen jedoch dunkle Schatten voraus.Von Eduard Steiner, MoskauEs war gewissermaßen das Pünktchen auf dem i, als die Ratingagentur Moody’s am 9. Februar das Länderrating Russlands von Ramsch- auf Investitionsniveau hob. Die beiden anderen US-Agenturen, Fitch und Standard & Poor’s, bescheinigten Russland diesen Status schon lange vorher. Die Entscheidung von Moody’s sei gerecht, aber sie komme halt ein wenig verspätet, quittierte Finanzminister Anton Siluanow die Neubewertung süffisant. Und so hatte sie auf den Markt auch keine Auswirkung mehr. Mehr StabilitätIn der Tat finden in Wladimir Putins Reich schon seit geraumer Zeit Veränderungen hin zu mehr Stabilität statt. Das zeigt sich etwa in der Ausgabendisziplin, die der Kreml-Chef walten lässt und mit der er ein dickes Polster gegen etwaige weitere externe Schocks geschaffen hat. Der Schock der Jahre nach der Krim-Annexion, als zur strukturellen Wirtschaftskrise die Sanktionen und der Ölpreisverfall kamen, sitzt den Machthabern noch in den Knochen.Und so werden nun die Reserven wieder aufgefüllt, um etwaige neue US-Sanktionen abfedern zu können, wie auch Moody’s anmerkt: Die Leistungsbilanz weist mit genau 100 Mill. Euro einen Überschuss auf wie noch nie. Die Außenverschuldung ist auf ein mehrjähriges Tief gesunken, der Budgetüberschuss mit 2,7 % des BIP so hoch wie seit der Rohstoffhausse 2006 nicht. Und die Gold- und Währungsreserven haben das relativ hohe Niveau von 477,7 Mrd. Dollar erreicht, wobei eine radikale Umschichtung weg von US-Staatsanleihen die Vorsicht untermauert. Wie es indes um die Weiterentwicklung der Wirtschaft wirklich aussieht, ist umstritten. Das von der Statistikbehörde Rosstat ausgewiesene BIP-Wachstum von ungeahnten 2,3 % im Vorjahr wird von Experten als frisiert interpretiert. Die Realeinkommen gehen das fünfte Jahr in Folge zurück. Die Inflation, bis vor kurzem noch weit unter 4 % gedrückt, zieht wieder deutlich an. Und für das laufende Jahr prognostiziert das Wirtschaftsministerium weiterhin ein BIP-Wachstum von lediglich 1,3 %.Am Aktienmarkt merkte man von diesen Sorgen bis zuletzt nichts. Im Gegenteil: Die Börse ist nach einem sehr schwachen Jahr 2018 so selbstbewusst ins neue Jahr gestartet wie kaum jemals. So legte der in Dollar denominierte Index RTS seit Jahresbeginn bis Mitte dieser Woche um über 11 % zu. Das ist freilich zum Teil auch der jüngsten Rubel-Aufwertung zu verdanken. Diese kostete den in Rubel denominierten Index Imoex zuletzt etwas an Dynamik. Er legte zwar seit Anfang Januar nur halb so stark zu, markierte aber in der ersten Februar-Hälfte wiederholt Rekordhöchststände.Der Rubel verdankt – wie viele Schwellenländerwährungen – seine jüngste Aufwertung dem Umstand, dass die US-Notenbank eine Pause bei den Leitzinserhöhungen verkündet und sich eine Entspannung im Handelskonflikt zwischen den USA und China abzuzeichnen begonnen hatte. Entsprechend fundamental hat sich die Einstellung der Investoren auch zu den Aktienmärkten in den Schwellenländern geändert. Waren sie lange gemieden, weil Kapital aufgrund der strafferen US-Zinspolitik in die USA gesogen wurde, sind sie nun wieder merklich gefragt, wie die Bank of America feststellt. Die UBS spricht in einem Kommentar gar von beispiellosen Chancen in aufstrebenden Märkten im kommenden Jahr. Steigender Ölpreis stütztIm Falle Russlands kommt hinzu, dass der Ölpreis nach seinem drastischen Verfall im vierten Quartal seit Weihnachten wieder um über 20 % zugelegt hat. Und auch wenn die Wirtschaft nicht sprunghaft wachse, so sei sie entgegen früheren Prognosen doch in keine Rezession gerutscht, wie Wjatscheslaw Smoljaninow, stellvertretender Chefanalyst bei BCS Global Markets, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt. Beflügelt wurde die russische Börse zuletzt auch durch den Umstand, dass die USA bei den im April vorschnell verhängten harten Sanktionen gegen den Aluminiumkonzern Rusal Ende Januar einen Rückzieher machen mussten, den sie schon Ende Dezember angedeutet hatten. Jetzt wisse man, dass harte Sanktionen gegen einzelne Großkonzerne wohl kaum noch verhängt würden, so das Fazit der Analysten. Trotzdem herrscht seit Mittwoch wieder neue Unsicherheit, seit bekannt ist, dass US-Parlamentarier einen Gesetzesentwurf für neue Sanktionen eingebracht haben, die unter anderem russische Staatsanleihen betreffen könnten. KGV von nur 5,5Blendet man diesen Faktor aus, so spricht die Lage so klar für Russland wie seit Jahren nicht. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), in Russland aufgrund des Länderrisikos traditionell niedriger, hat sich im Vorjahr nochmals weiter verringert. Hatte es im Schnitt der vergangenen fünf Jahre 6,5 bis 7 betragen, liegt es jetzt bei 5,5. Der russische Markt sei “stark unterbewertet”, meint Michail Poddubski, Analyst der Promsvyazbank, in einem Kommentar für die Wirtschaftszeitung “Wedomosti”. Die BCS, die für 2019 ein BIP-Wachstum von 1,5 % veranschlagt, sieht den positiven Trend auf dem Aktienmarkt vorerst bis April oder Mai intakt und spricht von bis zu 20 % Kurspotenzial. Das Jahreskursziel für den RTS, der am Donnerstag aufgrund der Sanktionsandrohung auf 1 160 Punkte gesunken ist, wurde kürzlich auf 1 450 Punkte erhöht.Was die Branchen betrifft, so streicht Smoljaninow den Bankensektor heraus, der in der jetzigen Situation eindeutig am meisten profitiere. Wichtigster Vertreter ist der staatliche Branchenprimus Sberbank, der im Zuge der Bankenkonsolidierung in den vergangenen Jahren nur noch weiter an Bedeutung gewonnen hat. Das Geldinstitut steht für ein Drittel der russischen Bankenbilanzsumme. Vor Sanktionen ist es freilich nicht gefeit. Als aussichtsreich gilt auch die aufstrebende private Online-Bank TCS Group.Neben den Banken zählen die größten Öl- und Gaswerte wie Rosneft, Lukoil oder Gazprom zu den Favoriten. Smoljaninow fügt noch Yandex hinzu, “die beste Geschichte im russischen IT-Sektor”. Als Internetsuchmaschine hat Yandex im Inland seit jeher die Nase vor Google. Starke Kooperationen weiten ihre Macht im Online-Handel oder im Taxisektor aus.Unklar ist bislang, wie sich der Einzelhandelssektor entwickelt. Die Branchenwerte, allen voran X5, mussten im Vorjahr deutlich Federn lassen, da der Konsum schwächelt. Erst in den nächsten Konzernberichten wird sich zeigen, wie sehr die Branche sich an die neuen Gegebenheiten angepasst hat. Über allem steht, dass Russland die attraktivsten Dividendenrenditen der Welt bietet. Im Schnitt sind es derzeit 6,8 %.