Luftfahrt- und Rüstungskonzern

Boeing bleibt in der Krise

Der Boeing-Konzern hat die Krise seines wichtigsten Flugzeugmodells 737 Max weitgehend überwunden, es tun sich aber ständig neue Probleme auf. Der Aktienkurs spiegelt das wider.

Boeing bleibt in der Krise

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Es sind gegenwärtig keine guten Zeiten für Aktien aus dem Bereich der Luftfahrt. Die Treibstoffkosten steigen stark an, die Kaufkraft der potenziellen Fluggäste lässt nach und die Frachtvolumina leiden unter der Deglobalisierung und dem sich verschärfenden globalen Wirtschaftskrieg zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite und Russland und China auf der anderen Seite. Andererseits waren die Zeiten für Rüstungskonzerne in den vergangenen Jahrzehnten niemals besser. Die Länder der Nato haben mit einer massiven Aufrüstung begonnen, die einen warmen Auftragsregen für die Konzerne der Rüstungsbranche bedeutet.

In diesem Umfeld hat sich Airbus als ein Konglomerat aus Flugzeughersteller und Rüstungskonzern beispielsweise gar nicht so schlecht geschlagen. Im bisherigen Jahresverlauf hat die Aktie gerade einmal 5% an Wert eingebüßt, der Dax aber bislang fast 10%. Ganz anders sieht es für den Airbus-Wettbewerber Boeing aus, ebenfalls ein Konglomerat aus Flugzeughersteller und Rüstungskonzern. Die Aktie hat im bisherigen Jahresverlauf mehr als 30% eingebüßt, auf Sicht von einem Jahr sogar mehr als 40%.

Das jüngste Ergebnis des ersten Quartals zeigt, dass es bei Boeing gar nicht rund läuft. In den drei Monaten per 31. März sind die Erlöse um 5% gesunken, es handelt sich nun schon um das dritte Quartal in Folge mit einem Umsatzrückgang. Unterm Strich ergibt sich ein hoher Verlust von 1,2 Mrd. Dollar oder 2,75 Dollar je Aktie, nachdem es bereits im vierten Quartal ein extrem hohes Minus von 4,1 Mrd. Dollar gegeben hatte. Sowohl beim Umsatz als auch beim Ergebnis wurden die Analystenerwartungen deutlich verfehlt. Im ersten Quartal wurden 3,2 Mrd. Dollar an Cash verbrannt, allerdings soll der Cashflow im Jahresverlauf wieder positiv werden. Insgesamt deutet alles darauf hin, dass die Bemühungen des Unternehmens, nach dem Desaster des 18-monatigen Flugverbots des Volumenmodells 737 Max und der Pandemie sein Zivilflugzeuggeschäft neu aufzubauen, bislang nicht besonders erfolgreich sind.

Fehlende Teile

In der Zivilluftfahrt sieht es für das Unternehmen in der Tat nicht besonders gut aus. Die Produktionsrate des inzwischen wieder produzierten Modells 737 Max liegt unter dem, was vor der Pandemie in Aussicht gestellt wurde. Die neue Version des Widebody-Modells 777 soll nun erst 2025 verfügbar sein, fünf Jahre später als ursprünglich geplant. Zwar gelang es Boeing, im ersten Quartal 23% mehr Flugzeuge auszuliefern als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, was im Wesentlichen auf den Anstieg der Auslieferungen der 737 Max zurückzuführen ist. Da eine 737 aber weniger kostet als die Widebody-Modelle, gingen die Erlöse der Sparte im Vorjahresvergleich um 3% zurück. Im Mai gab es auch schon wieder Probleme mit der Produktion der 737 Max. Diese musste, wohl wegen fehlender Teile, für zehn Tage stillgelegt werden. Beim 787 Dreamliner, dessen Auslieferungen im zweiten Quartal 2021 wegen gravierender Qualitätsprobleme gestoppt werden mussten, wird mit einem Beginn der Lieferungen erst für das dritte oder vierte Quartal gerechnet – falls die amerikanische Flugaufsichtsbehörde Federal Aviation Administration mitspielt.

Damit liegt der Fokus der Anleger verstärkt auf dem Rüstungsbereich „Boeing Defense, Space and Security“ (BDS). Für das erste Quartal hatten Analysten im Schnitt mit Erlösen von 6,7 Mrd. Dollar gerechnet. Vom Unternehmen berichtet wurde dann aber ein Umsatzeinbruch um 24% auf 5,5 Mrd. Dollar, bei einem operativen Verlust von 929 Mill. Dollar, der sich mit einem Vorjahresgewinn von 405 Mill. Dollar vergleicht. Drei Programme sind für die Misere verantwortlich: das neue Präsidentenflugzeug VC-25B („Air Force One“), das nun erst 2026 fertig werden soll, das Trainingsflugzeug T-7A Red Hawk und die Tankerdrohne MQ-25 Stingray. Gleichzeitig verfügt Boeing über größere, ältere Programme wie die Kampfflugzeuge F-18 und die F-15, die sich aber allmählich ihrem Ende zuneigen. Noch problematischer ist, dass das Management im Con­ference Call zum Quartalsergebnis davon sprach, dass es im laufenden Jahr in der BDS-Sparte einen moderaten Rückgang der Erlöse im Vergleich zum Vorjahr geben werde. Dies erscheint verwunderlich vor dem Hintergrund, dass das ­Pentagon wegen des Ukraine-Kriegs im laufenden Jahr 33 Mrd. Dollar zusätzlich ausgeben will und es sich bei Boeing immerhin noch um den drittgrößten Zulieferer des US-Militärs handelt. Der Konzern profitiert aber von dem Ukraine-Krieg insofern, als die Bundes­wehr zunehmend von europäischen auf amerikanische Rüstungsgüter um­schwenkt und Boeing 60 Helikopter des Modells Ch-47 Chinook, das es bereits seit 1962 gibt, abkauft.

Eher unerfreulich ist auch im Bereich Weltraum die Entwicklung der 4,6 Mrd. Dollar teuren Raumkapsel Starliner, deren Fertigstellung und Indienstnahme zwei Jahre verspätet ist. Mitte Mai hat der Starliner zwar erstmals die Raumstation erreicht, aber es gab erneut technische Probleme. Zwei der Positionstriebwerke fielen aus, so dass es fraglich erscheint, dass bald Astronauten sicher zur Internationalen Raumstation gebracht werden können.

Analysten zuversichtlich

Trotz der vielen Fehlschläge sind die Analysten gegenüber der Aktie ausgesprochen positiv gestimmt. Von 24 Banken raten nicht weniger als 17 zum Kauf, während drei Häuser den Titel mit Overweight einstufen. Vier Analysten empfehlen ihren Kunden immerhin, die Aktie im Portfolio zu behalten. Verkaufsempfehlungen gibt es überhaupt keine. Das durchschnittliche Kursziel wird bei 215,90 Dollar gesehen, was gegenüber dem aktuellen Kurs ein hohes Kurspotenzial von 54% wäre. Allerdings glauben Kritiker, dass sich die US-Analysten zu stark auf den Bereich Zivilluftfahrt konzentrieren und die zahlreichen Probleme im Bereich BDS zu schwach gewichten.

Eines ist jedoch sicher: Die US-Regierung wird es niemals zulassen, dass Boeing pleitegeht. Dafür ist das Unternehmen als Rüstungszulieferer für das Pentagon und als letzter großer US-Hersteller von Zivilflugzeugen einfach zu wichtig. Diese Gewissheit haben die Anleger nur bei wenigen anderen großen börsennotierten Unternehmen.

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