Boom der US-Aktienrückkäufe endet

Besonders Tech-Unternehmen und Finanzinstitute bisher aktiv - Donald Trump schließt sich Kritikern an

Boom der US-Aktienrückkäufe endet

Die Kritik an Aktienrückkäufen hat angesichts der staatlichen Hilfe für amerikanische Fluggesellschaften zugenommen. Unternehmen halten in der Coronakrise jetzt vermehrt liquide Mittel vor – und auch Star-Investor Warren Buffett hat Ratschläge für Spitzenmanager, die Rückkäufe erwägen.nok New York – An der Wall Street ist der Boom der Aktienrückkäufe fürs Erste vorbei. Angesichts der Coronakrise konzentrieren sich amerikanische Unternehmen verstärkt auf die Aufrechterhaltung ihres Betriebs und die Kontrolle ihrer liquiden Mittel. Ausschüttungen an Aktionäre treten in den Hintergrund – auch aufgrund wachsenden politischen Widerstands.”Covid-19 hat die Landschaft bedeutend verändert, da Dividenden unter Druck stehen und Rückkäufe nach Luft zu schnappen scheinen”, kommentierte Howard Silverblatt, Analyst des Indexanbieters S&P Dow Jones Indices, die Marktsituation. Aktienrückkäufe konkurrierten innerhalb der Unternehmen derzeit mit anderen Prioritäten. Die Unsicherheit, ob die liquiden Mittel ausreichten, sei so hoch wie seit der Finanzkrise nicht mehr.Aktienrückkäufe, die bereits vor der aktuellen Krise in Fachkreisen umstritten waren, sind in der Öffentlichkeit in Verruf geraten. Der Grund: Die großen amerikanischen Fluggesellschaften hatten angesichts einbrechender Umsätze auf ein staatliches Rettungspaket gedrungen. Die Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren aber auch stark vom Rückkauf eigener Aktien Gebrauch gemacht – also möglicherweise Mittel verwendet, die ihnen jetzt in der Krise zu fehlen scheinen. Selbst Präsident Trump schlug sich in der Debatte auf die Seite der Kritiker. “Ich will kein Unternehmen retten, nur damit jemand das Geld benutzt, um Aktien zurückzukaufen, den Kurs erhöht und dann einen Bonus bekommt”, sagte er. Unternehmen, die im Rahmen des in der vergangenen Woche verabschiedeten 2-Bill.-Dollar-Konjunkturpakets zinsgünstige Kredite und staatliche Bürgschaften in Anspruch nehmen, dürfen nun während der Laufzeit der Darlehen und ein Jahr darüber hinaus keine Rückkäufe tätigen. Für die Airlines sind Hilfen im Volumen von 50 Mrd. Dollar vorgesehen. Großbanken streichen PläneSchon vor der Verabschiedung des Hilfspakets hatten zahlreiche Unternehmen Aktienrückkäufe ausgesetzt, darunter der Ölkonzern Chevron und der Halbleiterhersteller Intel. Auch acht der größten amerikanischen Banken haben ihre geplanten Rückkäufe für den Rest des ersten Quartals und das zweite Quartal gestrichen. “Insgesamt wurden mehr als 40 Mrd. Dollar angekündigter Aktienrückkäufe ausgesetzt”, kalkuliert Winston Chua, vom Informationsdienst Trimtabs.Finanzdienstleister hatten in den vergangenen Jahren zu den größten Rückkäufern eigener Aktien gehört. So beliefen sich die Ausgaben der im S&P 500 gelisteten Branchenvertreter auf fast 179 Mrd. Dollar. Unter den Segmenten des Index waren nur Technologieunternehmen aktiver. Diese gaben 2019 nach Angaben von S&P Dow Jones Indices insgesamt knapp 225 Mrd. Dollar für Aktienrückkäufe aus. Allein Apple kaufte Aktien im Wert von fast 82 Mrd. Dollar zurück. Das war mehr als ein Zehntel des gesamten Volumens der S&P-500-Konzerne. Apple verfügte Ende des Jahres aber über Barmittel von mehr als 200 Mrd. Dollar.Beflügelt wurde der jüngste Boom der Aktienrückkäufe im Jahr 2018 durch eine Steuerreform der Trump-Administration. Diese sah eine Senkung von Ertragsteuern und Steuern auf repatriierte Auslandsgewinne vor. Der Rekord-Rückkaufsumme von 806 Mrd. Dollar im Jahr 2018 folgte 2019 zwar ein Rückgang um 9,6 % auf knapp 729 Mrd. Dollar – dennoch war dies die zweithöchste Summe von Aktienrückkäufen in der Geschichte der Wall Street.Ein zentraler Kritikpunkt an Aktienrückkäufen ist, dass Unternehmen die verwendeten Mittel nicht in Wachstumsmaßnahmen investieren, etwa in Forschung und Entwicklung. “Viel zu häufig haben Unternehmen versäumt, langfristig in Innovation zu investieren”, sagt der Juraprofessor Robert Jackson, der bis vor kurzem der Kommission der amerikanischen Börsenaufsicht SEC angehörte. Jackson wirft Spitzenmanagern von Unternehmen zudem vor, die üblichen Kursgewinne nach Ankündigung von Rückkaufprogrammen zum Verkauf von Aktien zu nutzen – obwohl Rückkäufe dem Markt eigentlich signalisieren sollten, dass die Kurse unterbewertet sind.Hedgefondsmanager Clifford Asness von AQR Capital Management weist die Kritik indes zurück. Unternehmen würden ihre liquiden Mittel zumeist nicht für Aktienrückkäufe verwenden, sondern diese mit Fremdkapital finanzieren, schrieb er in einem Fachaufsatz. Zudem gebe es keine empirischen Nachweise, dass Unternehmen für Rückkäufe auf profitable Investitionen verzichten. Buffetts AusnahmenSelbst Starinvestor Warren Buffett, in der Regel nicht um Kritik an der Wall Street verlegen, hat nichts gegen Rückkäufe, auch wenn er deren Auswirkungen im Tagesgeschäft “üblicherweise für unbedeutend” hält. In zwei Fällen rät Buffett aber davon ab. Erstens: Wenn eine Übernahme oder Investition mehr Wertsteigerung verspricht als der Kauf der eigenen unterbewerteten Aktien. Zweitens: Wenn ein Unternehmen alle “verfügbaren Gelder” braucht, um den Betrieb zu erweitern oder zu “schützen”. Buffett schrieb das 2017 im Brief an die Aktionäre seiner Gesellschaft Berkshire Hathaway – für die Spitzenmanager der angeschlagenen Fluggesellschaften eine empfehlenswerte Lektüre.