Börse Teheran auf dem Weg zum Frontier Market

Vielversprechende wirtschaftliche Entwicklung nach dem Ende der Sanktionen - Investments durch ausländische Anleger bereits in Ansätzen möglich

Börse Teheran auf dem Weg zum Frontier Market

Von Curd Jürgen Wulle, TeheranDas etwas in die Jahre gekommene aus 17 Stockwerken bestehende Gebäude an einer viel befahrenen Straße mitten in Teheran ist nicht gerade repräsentativ für eine aufstrebende Börse. Wer sich durch den täglich wuchernden Verkehrsknäuel der 15-Millionen-Metropole durchgekämpft hat, glaubt zudem eher in einem Wettbüro gelandet zu sein als an Irans führendem Finanzplatz. Gut zwei Dutzend Anleger sitzen mit ihren Laptops und Smartphones vor den blinkenden Anzeigetafeln und beobachten gespannt das Auf und Ab der Aktienkurse an Teherans Aktienmarkt.Mit einem Kursanstieg von rund 26 % zählt die Börse im laufenden Jahr zu den am besten abschneidenden Märkten weltweit. Auch längerfristig macht Teherans Börse auf den ersten Blick eine gute Figur. Seit August 2012 haben sich die Aktienkurse in Landeswährung verdreifacht und seit 2004 sogar verfünffacht. Zumindest iranische Anleger dürften damit auf ihre Kosten gekommen sein. Ausländische Anleger spielen an Teherans Börse nicht zuletzt aufgrund der verhängten Sanktionen und dem schwierigen Marktzugang dagegen eine vernachlässigbare Rolle, obwohl der Markt prinzipiell für Auslandsinvestoren offen ist. Nach Angaben der Teheraner Börse halten ausländische Gruppen weniger als 1 % der inzwischen auf rund 90 Mrd. Dollar angestiegenen Börsenkapitalisierung. Daran dürfte sich auch in Zukunft so schnell nichts ändern, auch wenn Analysten wie Ghordon B. Adabi, der bei der Teheran Stock Exchange als Senior-Experte für das Emissionsgeschäft verantwortlich ist, mit seinen Kollegen immer häufiger auf internationalen Anlegermessen anzutreffen ist, um Werbung für einen der aussichtsreichsten Zukunftsmärkte zu machen.Zwar hat die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen zum Jahresbeginn am Teheraner Aktienmarkt die Börse kurzfristig aus ihrer Lethargie gerissen und beispielsweise bei Automobilwerten eine kräftige Kursrallye von 175 % von Januar bis April angestoßen. In den vergangenen Wochen hat der Markt allerdings wieder deutlich zurückgeschaltet und der Aufschwung entpuppte sich als Strohfeuer. Auch bei den stark gestiegenen Automobilwerten, die an der Börse zu den Schwergewichten zählen, drückten die Verkaufsorders im zweiten Quartal eine Delle von rund 30 % in die Aktiendepots und setzten den gesamten Markt unter Druck. Index auf FünfmonatstiefIm ersten Börsen-Halbjahr, das nach dem iranischen Kalender vom 21. März bis 20. September dauert, verlor der Tehran Exchange Dividend Price Index (Tedpix) fast 5 % an Wert und fiel auf ein Fünfmonatstief von 76 450 Punkten. Damit liegt der Tedpix, der sich als Total Return Index aus Kursanstiegen und Dividenden zusammensetzt, derzeit gut 14 % unter seinem Allzeithoch von 89 500 Zählern im Januar 2014. Die Analysten der iranischen Finanzgruppe Turqoise Partners, die zu den größten Investoren am Markt zählt, führen das maue Ergebnis in den zurückliegenden Wochen vor allem auf die kaum messbaren Fortschritte bei der Anbindung iranischer Banken an das internationale Finanzsystem zurück.Grundsätzlich ist der Zugang zum Zahlungssystem Swift nach der teilweisen Aufhebung der Sanktionen zwar wieder offen. Dennoch sind viele Banken aus Angst vor Strafzahlungen oder einem erneuten Inkrafttreten der Sanktionen zurückhaltend, wenn es darum geht, direkte Zahlungen mit iranischen Banken abzuwickeln.Während der Anschluss der iranischen Banken an das internationale Finanzsystem noch kaum Fortschritte vorweisen kann, sieht der Internationale Währungsfonds IWF substanzielle konjunkturelle Fortschritte. Produktion und Export liegen bereits wieder auf dem Niveau vor Verhängung der Sanktionen und im laufenden Jahr 2016/17 könnte ein Wachstum von 4,5 % bei einer Preissteigerungsrate von 9,2 % erreicht werden.Der Rückstau bei der Modernisierung der Industrie dürfte der Hauptgrund für eine schwache Entwicklung der Produktivität sein. Der Rückstand bei der Modernisierung der petrochemischen Anlagen ist enorm. Die Ratingagentur Moody’s geht davon aus, dass allein der Investitionsrückstand in der Öl- und Gasindustrie bei 230 Mrd. Dollar liegt. Das Statistic Center of Iran beziffert das jährliche Produktivitätswachstum in den zurückliegenden 15 Jahren auf lediglich 0,5 % p. a. Hinzu kommt, dass Irans Wirtschaftssystem unter einer ineffizienten Verwaltung, unzureichender Korruptionsbekämpfung und eingeschränkter wirtschaftlicher Freiheit leidet. Nach einer Analyse der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) liegt der Iran gemessen am Corruption Perception Index nur auf Platz 136 von insgesamt 174 analysierten Ländern. Hinsichtlich der Wettbewerbsstärke nehmen die Iraner auf der vom Word Economic Forum veröffentlichten Studie Rang 83 von 144 untersuchten Nationen ein.Wird das ehemalige Persien in den kommenden Jahren trotzdem zu einer Wachstumsstory und der Aktienmarkt zu einer Rendite-Oase für ausländische Anleger? Im laufenden Jahr erwirtschaftet die auf mittlerweile 80 Millionen Einwohner angestiegene Bevölkerung auf einer Fläche die etwa viereinhalbmal so groß ist wie Deutschland, ein Bruttoinlandsprodukt (BIP), das mit rund 405 Mrd. Dollar etwa halb so hoch ausfällt wie das der etwa gleich starken Bevölkerung in der Türkei. Umgerechnet pro Kopf beträgt das BIP jedoch nur etwa ein Zehntel des deutschen Wertes. Nach Einschätzung von Analysten könnte der Iran in den kommenden Jahren jedoch mächtig aufschließen. Dafür spricht nicht nur die vergleichsweise günstige Bevölkerungsstruktur (über die Hälfte der Bevölkerung ist unter 35 Jahren), sondern auch der hohe Ausbildungsstand und die vergleichsweise geringe Analphabetenquote von 15 %.Turqoise Partners stuft das für die kommenden drei Jahre erzielbare Wirtschaftswachstum, nach den Rezessionsjahren in 2012 und 2013 mit einem Minus von 6,6 bzw. 1,9 % auf knapp 4 % ein, bei durchschnittlichen Preissteigerungsraten von 8,2 % für 2017/18 und 6,2 % für 2018/19. Öl als WirtschaftsmotorDer Öl- und Gassektor und die petrochemische Industrie sind nicht nur der Wirtschaftsmotor des Landes, sondern auch die Schwergewichte an der Börse mit einem Anteil an der Börsenkapitalisierung von zusammen etwa 30 %. Nach Angaben der LBBW entfielen im Jahr 2014 etwas über die Hälfte der iranischen Exporterlöse auf den Öl- und Gassektor. Das Land verfügt neben reichen Kupfervorkommen weltweit über die viertgrößten Öl- und die zweithöchsten Gasreserven.Am Aktienmarkt zählt ferner der Bankensektor mit einer Gewichtung von etwa 12 % zu den wichtigsten Sektoren. Noch mehr Gewicht entfällt lediglich auf den Chemiesektor mit rund 22 % Anteil. Die Sektoren Post- und Telekommunikationen vereinnahmen rund 8 % des Marktwertes und der Rohstoffsektor kommt nach Aussagen der TSE auf knapp 9 %. Iranische Aktien sind bislang weder in einen der Emerging Markets Index aufgenommen worden, noch in einem Frontier Market Index vertreten. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 90 Mrd. Dollar ist Teherans Börse nur in etwa so viel wert wie alle Siemens-Aktien zusammen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt wird die Börse derzeit nur mit etwa 25 % bewertet. In den Industrieländern liegt die Quote dagegen bei deutlich über 100 %.Inzwischen zählt die Börse Teheran zu den fünf großen Handelsplätzen im Mittleren Osten, ist aber gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis deutlich günstiger als die Märkte in Saudi Arabien oder den angrenzenden Staaten. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Marktkapitalisierung in etwa verdreifacht, seit 2002 stieg sie immerhin um das Sechsfache. Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen ist mit umgerechnet 78 Mill. Dollar allerdings gering und der Handel wird nach Angaben von Turqoise Partners überwiegend von Privatanlegern dominiert.Die Teheraner Börse unterscheidet bei ausländischen Investoren dabei grundsätzlich zwei Gruppen. Die als strategische Investoren bezeichneten Anleger können zwar grundsätzlich Aktien iranischer Unternehmen erwerben. Dabei sind sie allerdings an eine zweijährige Lock-up-Periode gebunden. Nicht als strategische Anleger eingestufte Investoren können bis zu 10 % eines Unternehmens erwerben, wobei alle ausländischen Investoren zusammen die Schwelle von 20 % allerdings nicht überschreiten dürfen.Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), der Dividendenrendite und im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt erscheint Teherans Aktienmarkt auf den ersten Blick überaus preiswert. Das KGV wird von Turqoise Partners mit 7,3 angegeben. Iranische Aktien sind damit etwa halb so teuer wie die im MSCI Frontier Markets enthaltenen Unternehmen. Auch gemessen an der Dividendenrendite, die von Griffon Capital für den Tedpix Anfang Oktober auf 9 % taxiert wird, erscheinen die Aktien interessant, zumal die Dividenden von iranischen Stellen nicht besteuert werden.Die auf den ersten Blick ins Auge stechende Preiswürdigkeit iranischer Aktien wird jedoch bei einer genaueren Betrachtung relativiert. Analysiert man den Kurszettel etwa genauer, stellt sich heraus, dass nicht alle Werte eine günstige Bewertung aufweisen und bei den 30 am meisten gehandelten Titeln ein geringer Free Float von teilweise deutlich weniger als 10 % vorliegt.Zudem sind die Bewertungsrelationen mit Vorsicht zu genießen. Derzeit gelten nach der Anweisungen der iranischen Securities and Exchange Organisation (SEO) immer noch landeseigene Rechnungslegungsstandards und die wenigsten Unternehmen erfüllen die Vergleichsweise hohen Compliance-Standards internationaler Investoren. Bislang sind IFRS-Standards für die Berichterstattung noch freiwillig. Eine Umstellung auf das wesentlich aussagefähigere IFRS-Zahlenwerk ist für die 100 größten börsennotierten Unternehmen erst ab dem Jahr 2017 vorgeschrieben. Für kleinere Unternehmen sogar erst ab 2018. Staat und StiftungenErschwerend kommt hinzu, dass von den insgesamt rund 300 an der Börse gehandelten Unternehmen nur ein Bruchteil als Investitionsobjekte zur Verfügung stehen dürfte. Der Grund: Die von religiösen Stiftungen und vom Staat kontrollierten Organisationen kontrollieren nach Angaben der LBBW immer noch bis zu 80 % der iranischen Wirtschaft. Insgesamt stehen Anlegern unter Berücksichtigung dieser Umstände deshalb nur gut 50 Unternehmen als Anlage zur Verfügung.Die große Lücke zwischen offiziellem Wechselkurs und Schwarzmarktkurs ist nach wie vor ein weiterer Hemmschuh für Auslandsanleger. Obwohl sich beide Kurse seit dem Atomabkommen bereits angenähert haben, sind die Spannen immer noch beträchtlich, und ob die iranische Zentralbank die bis zum Frühjahr 2017 geplante Vereinheitlichung der Wechselkurse tatsächlich umsetzen wird, bleibt fraglich.