GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (120)

Branchenführer sind die Gewinner der Krise

Börsen-Zeitung, 23.5.2020 Die Covid-19-Krise hat von Mitte Februar bis Ende März zu einem willkürlichen Abverkauf an den Aktienmärkten geführt. Besonders hart traf es Schwellenländeraktien, denen Anleger mit rund 30 Mrd. Dollar den Rücken kehrten....

Branchenführer sind die Gewinner der Krise

Die Covid-19-Krise hat von Mitte Februar bis Ende März zu einem willkürlichen Abverkauf an den Aktienmärkten geführt. Besonders hart traf es Schwellenländeraktien, denen Anleger mit rund 30 Mrd. Dollar den Rücken kehrten. Ende März sind die Abflüsse jedoch zum Stillstand gekommen. Dies stimmt uns optimistisch, dass das Schlimmste in Bezug auf Kapitalabflüsse vorbei sein sollte.Nach einer zweijährigen Periode, in der die Renditen auf das investierte Kapital (ROIC) in den globalen Schwellenländern kontinuierlich gestiegen sind, erwarten wir nun einen Rückgang des ROIC im Jahr 2020, bevor 2021 wieder eine Erholung einsetzt. Welche Form diese Erholung annimmt – eine V-, U- oder sogar eine W-Form -, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen, da das davon abhängt, wie schnell die globale Wirtschaftstätigkeit vollständig wiederhergestellt sein wird. Spreu trennt sich vom WeizenWir sind uns jedoch sicher, dass, wie in jeder anderen Krise der Geschichte, Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen gestärkt aus der Krise hervorgehen werden. Zweifellos dürfte die Schere zwischen starken Unternehmen und solchen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen und schwachen Erfolgsbilanzen noch weiter auseinandergehen. Folglich erwarten wir, dass Branchenführer in der gegenwärtigen Krise noch mehr Marktanteile gewinnen werden. Die verbesserte Wettbewerbsposition dieser Unternehmen dürfte es ihnen ermöglichen, zukünftig stärker als durchschnittliche Schwellenländerunternehmen zu wachsen. Investoren sollten sich deshalb auf Unternehmen konzentrieren, die im Vergleich zu ihren Konkurrenten den höchsten Cash-flow generieren und die stärkste Wettbewerbsposition haben. Starke operative LeistungBeispiele für solche Unternehmen sind JD.com, ein Online-Direktvertriebsunternehmen, und Netease, ein Internet-Technologieunternehmen. Beide Unternehmen haben ihren Sitz in China. JD.com bietet über seine Website sowie über mobile Anwendungen eine breite Produktpalette an elektronischen Geräten, Computern, digitalen Kommunikationsprodukten, Kleidungsstücken, Büchern und Haushaltsartikeln an. In den vorigen Wochen zeigte JD eine starke operative Leistung – und das zu einer Zeit, in der Chinas Lieferketten unter schweren Störungen litten und in der nur sehr wenige Konkurrenten in der Lage waren, das gleiche Niveau an Produktangebot und Lieferkapazitäten aufrechtzuerhalten. Diese operative Outperformance von JD war das Ergebnis einer einzigartigen Logistik, über die kein anderer Online-Händler verfügt. Dies wird dem Unternehmen in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen.Netease ist ein führendes Internet-Technologieunternehmen, das Online-Dienstleistungen einschließlich Content, Community- und Kommunikationsdiensten und E-Commerce-Plattformen anbietet. Das solide Umsatzwachstum des Unternehmens wird vor allem durch Mobile Games angetrieben. Die Einführung neuer Spiele, eine starke Entwicklungspipeline und die anhaltende internationale Expansion nach Japan, in die USA und andere Märkte sorgen für eine nachhaltige Wertschöpfung, wobei der neueste Flaggschiff-Gaming-Titel gerade erst anfängt, einen merklichen Beitrag zu leisten. Ein weiterer Vorteil ergibt sich daraus, dass die Einnahmen aus dem Gaming-Bereich in der Regel nur begrenzt anfällig für wirtschaftliche Zyklen sind und eher durch erfolgreiche Lancierungen neuer Games getrieben werden. Dies dürfte die Entwicklung des Unternehmens auch über die Pandemie hinaus unterstützen.Neben der Qualität der Geschäftsmodelle sollte eine sehr lockere Geld- und Fiskalpolitik den Aktienmärkten förderlich sein. Die Zinssätze befinden sich auf einem Rekordtief oder sind in vielen Regionen sogar negativ und treiben die Anleger in ertragsträchtigere Anlagen, einschließlich Aktien. Im Moment werden Ideen, wie der direkte Kauf von Aktien, von der Fed diskutiert, was den Aktienmärkten zusätzliche Unterstützung geben sollte. In den nächsten Monaten sollten wir einige Marktbewegungen in Reaktion auf die Ausbreitung des Virus, schwache Unternehmensgewinne und eine lockere Geld- und Finanzpolitik sehen. Weitere Gewinnrevisionen Trotz der positiven Impulse glauben wir, dass Anleger weiterhin mit negativen Gewinnrevisionen rechnen müssen, da die Konsensschätzungen immer noch zu hoch sind. Laut J.P. Morgan wurden die Schätzungen der Gewinne für Aktien aus Schwellenländern für 2020 bisher um 15 % reduziert. Es wird jedoch erwartet, dass die Gewinne um bis zu 20 bis 25 % fallen werden. Es ist schwierig abzuschätzen, wie weit der Markt die Rezession bereits durchschritten hat und welche Form und Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung derzeit eingepreist ist. Sobald die Unternehmen die Ergebnisse für das erste und das zweite Quartal 2020 melden, gehen wir davon aus, dass die Schätzungen realistischer werden. Ein solches Szenario könnte möglicherweise zu einem weiteren Rückschlag für den Aktienmarkt führen. Dabei dürften die Gewinne von Basiskonsumgüter-, Rohstoff- und Finanzunternehmen besonders empfindlich auf den Coronavirus-bedingten wirtschaftlichen Abschwung reagieren.In einem historischen Kontext sind die aktuellen Bewertungsniveaus von Schwellenländeraktien attraktiv. Jedes Mal, wenn der MSCI-EM-Benchmarkindex das aktuelle Bewertungsniveau, gemessen am durchschnittlichen Kurs-Buch-Wert der vorigen zwölf Monate, erreicht hat, lag das Indexniveau zwölf Monate später mit einer durchschnittlichen Performance von ungefähr 40 % höher. Typischerweise wird “Growth” in der ersten Phase einer Erholungsrally von “Value” überholt. In der zweiten Phase einer potenziellen Erholung erwarten wir jedoch, dass qualitativ höherwertige, schneller wachsende und besser positionierte Unternehmen in einem rezessiven Umfeld, das von wenig Wachstum gekennzeichnet sein wird, weiterhin überdurchschnittliche Leistungen erbringen werden. Zuletzt erschienen: Wenn die Brandmauer zum Brandbeschleuniger wird (119), DWS Nachhaltig in globale Infrastruktur investieren (118), BNP Paribas Asset Management Roger Merz, Portfoliomanagement Vontobel und Thomas Schaffner, Portfoliomanagement Vontobel