Brasiliens Aktienmarkt haussiert

Index Bovespa legt seit Jahresbeginn um 25 Prozent zu - Wirtschaft befreit sich aus der Rezession

Brasiliens Aktienmarkt haussiert

Trotz der Turbulenzen in der brasilianischen Innenpolitik setzt der Aktienmarkt des Landes seinen Höhenflug in diesem Jahr fort. Nach mehr als 60 % 2016 hat der Index Bovespa seit Jahresbeginn um weitere 25 % zugelegt.Von Andreas Fink, Buenos AiresDie Investoren lassen sich vom anhaltenden politischen Chaos in der brasilianischen Hauptstadt kaum beeindrucken. Während der Kongress in Brasilia sich anschickt, über die Zulassung der zweiten Korruptionsanklage gegen den mit nur noch drei Prozent Zustimmungswerten unpopulärsten Präsidenten der Landesgeschichte zu entscheiden, hält auf dem Börsenparkett ein Optimismus an, der nicht wenige erstaunt. Der Bovespa-Index liegt derzeit jenseits der 75 000-Punkte-Marke, also rund 15 000 Punkte höher als Mitte Juni. Am zurückliegenden Freitag erreichte das Börsenbarometer gar ein Allzeithoch von 76 990 Punkten, was einige Teilnehmer freilich motivierte, Kasse zu machen. Gestern lag der Index zuletzt bei 75 455 Zählern.Die Hausse gründet sowohl auf externe als auch interne Faktoren. Marktbeobachter erklären sie erstens mit der anhaltenden Niedrigzinspolitik der nordamerikanischen und europäischen Zentralbanken. Zum Zweiten verweisen sie auf das Anspringen der brasilianischen Wirtschaft nach drei Jahren Rezession. Drittens ist der Boom offenbar auch eine indirekte Folge der politischen Instabilität.2016, im Jahr der tiefen politischen Krise in Brasilia, war die Bolsa de Valores, Mercadorias e Futuros de Sao Paulo mit mehr als 60 % plus die stärkste Börse der Welt. Zum Jahreswechsel zweifelten viele, ob sich dieser Trend angesichts der politischen Gewitterwolken über der Hauptstadt wohl halten lasse, und nachdem Mitte Mai eine den Präsidenten Michel Temer belastenden Audiodatei publik wurde, schienen die Zweifler bestätigt. Damals fielen die Kurse deutlich. Doch seither ging es fast nur noch nach oben, insgesamt ist der Bovespa in diesem Jahr bereits um etwa 25 % gestiegen. Nur 2,5 Prozent InflationGründe für das weiter hohe Interesse an Emerging Markets sind die niedrigen Zinsen im Norden ebenso wie der leichtere Dollar. Dazu kommen positive Wachstumsaussichten: der IWF schätzt, dass das Wachstum der Schwellenländer in diesem Jahr bei 4,6 % und 2018 bei 4,8 % liegen wird. Hinzu kommt ein in manchen Ländern massiver Rückgang der Inflation. Das wiederum gilt vor allem für Brasilien. Die jährliche Teuerungsrate ist im September auf 2,5 % gefallen und somit deutlich unter dem Ziel der Notenbank von 4,5 %. Analysten wie Enestor dos Santos, Brasilien-Chef von BBVA-Research, erklären den spektakulären Rückgang mit drei Faktoren: der erlahmten Nachfrage, weitgehend stabilen Wechselkursen und gesunkenen Lebensmittelpreisen. Eine Rekordernte ermöglichte, dass auf den Großmärkten des Landes erstmals seit Jahren die Preise deutlich zurückgingen. So wurden etwa Bohnen, tägliches Grundnahrungsmittel aller Schichten, um mehr als 9 % günstiger. Der Rückgang der Inflation wiederum gab der Zentralbank Spielraum für Zinssenkungen, der Leitsatz Selic ist binnen eines Jahres in mehreren Schritten von 14,25 % auf 8,25 % gesenkt worden, und viele Marktbeobachter rechnen damit, dass der Zins zum Jahresende bei 7 % liegen könnte. Zentralbankchef Ilan Goldfajn sagte kürzlich: “Unser erstes Vorhaben war es, die Inflation und damit die Zinssätze herunterzufahren. Und das zweite Ziel ist es, diese niedrigen Zinsen zu erhalten.”Bei aller Wertschätzung der Finanzmärkte für Zentralbankchef Goldfajn sowie den Finanzminister Henrique Meirelles sehen die meisten Ökonomen den Rückgang der Inflation jedoch eher als eine Folge der schlimmsten Rezessionsphase seit hundert Jahren, während der Brasiliens Volkswirtschaft um 7 % schrumpfte. Erst in zweiter Linie halten sie die Entwicklung der aktuellen Regierung zugute. Diese hatte 2016 stark begonnen, als die Deckelung der Staatsausgaben für 20 Jahre in die Verfassung geschrieben wurde. Danach folgten weitere Reformen, vor allem die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes. Aber die wichtigste Änderung, die Neuorganisation des Pensionssystems, verhedderte sich in den Wirbeln der Korruptionsaffären um den Präsidenten und mehrere Kabinettsmitglieder. Das alte Rentensystem, das vielen Brasilianern schon mit Anfang 50 den Weg in den Ruhestand eröffnet, war in den Zeiten rückläufiger Steuereinnahmen hauptverantwortlich für die dramatischen Budgetdefizite von 10 % des BIP 2015 und 2016. Nun, ein Jahr vor den kommenden Präsidentenwahlen, scheint es kaum noch möglich, die Abgeordneten für diese höchst unpopuläre Reform zu gewinnen.Tatsächlich hatten die politischen Nöte des Präsidenten und seiner engen Vertrauten im Kabinett auch Folgen, die zum Auftrieb an den Börsen beitrugen. Nachdem der vom inzwischen verhafteten Fleischunternehmer Batista in Umlauf gebrachte Mitschnitt die Generalstaatsanwaltschaft zur Anklage des Präsidenten bewog, musste dieser im Kongress Alliierte finden, um seine Immunität zu wahren. Der Präsident überwies darob generös Bundesmittel in die Wahlkreise seiner Unterstützer, was dort Bauprojekte doch noch ermöglichte, die durch die zuvor beschlossene Haushaltsdeckelung gefährdet waren. Laxere Fiskalpolitik erklärt den gestiegenen Konsum, der viele Unternehmen freute, die während der mageren Jahre Kosten reduzierten und nun höhere Profite einfahren können. Außerdem helfen den Firmen die gesunkenen Finanzierungskosten. Als Folge erwarten die meisten Beobachter in diesem Jahr ein leichtes Wachstum, die Zentralbank prognostiziert 0,7 %. Aber für 2018 liegen die Wachstumserwartungen bei mehr als 2 %.Weil es sich abzeichnet, dass die Rentenreform nicht mehr in dieser Legislatur durchkommen und der Machterhalt kostspielig werden dürfte, vermuten viele, dass die Regierung ihre Bilanzen mit Privatisierungen glätten wird. Kürzlich verriet der Energieminister Fernando Coelho Filho in einem TV-Interview, dass über eine weitere Privatisierung des Ölriesen Petrobras nachgedacht werde, an dem der Staat immer noch 60 % hält. Dies befeuerte tags darauf die Petrobras-Aktie, die 4 % zulegte. Weil Petrobras vielen Brasilianern immer noch als nationales Symbol gilt, dessen Zerlegung nicht ins Jahr vor einer Präsidentenwahl passt, sah sich die Regierung zu einem Dementi veranlasst. Dennoch: Häfen, Straßen, Brücken, Flugplätze liegen weiterhin auf der Privatisierungsagenda der Regierung, die vom staatlichen Energieversorger Eletrobras angeführt wird. Allgemein wird erwartet, dass die Regierung diesen noch vor dem Urnengang im Oktober 2018 zumindest teilweise privatisieren wird. Populismus-GefahrWer für dieses Rennen antreten soll, ist freilich noch ziemlich nebulös. Der Optimismus vieler Anleger gründet auf der Annahme, dass ein wirtschaftsfreundlicher Präsident gewählt werden könnte. Doch der totale Glaubwürdigkeitsverlust der brasilianischen Politik könnte auch den Aufstieg von Populisten provozieren. In den Umfragen führt derzeit mit großem Vorsprung der wegen Korruption verurteilte Ex-Präsident Lula da Silva. Und dahinter folgt derzeit der Rechtspopulist Jair Bolsonaro, den viele mit dem umstrittenen philippinischen Rambo-Präsidenten Duterte vergleichen. Das Kandidatenkarussell dürfte weitere Überraschungen provozieren, die sich auch auf die Börse auswirken können. Aber das alles nicht vor März. Bis zum Ende des Karnevals kann die festa weitergehen.