Brasiliens Performance enttäuscht
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Eine dramatische dritte Coronawelle, Verzögerungen im Impfprogramm, müder Konsum, hohe Inflation, ein schwacher Real und politische Risiken mahnen Investoren zur Vorsicht. Brasilien gehört zu den schwächsten Emerging Markets dieses Jahres. Die Ausbreitung einer hochansteckenden Coronamutation, die konfuse Reaktion der Regierung Bolsonaro und schwere Versäumnisse bei der Impfstrategie haben bewirkt, dass ausgerechnet jenes Land, das 2020 mehr Geld in die Wirtschaft pumpte als alle anderen Schwellenländer, 2021 von den Investoren gemieden wird.
Desaster setzt sich fort
Mit dem Kollaps des Gesundheitssystems verdunkeln sich die Perspektiven. Alle 20 Sekunden stirbt inzwischen ein Brasilianer an Covid-19. 66868 Menschen starben allein im März, mehr als doppelt so viele wie im bisherigen Rekordmonat Juli 2020. Das Desaster wird sich im April und Mai fortsetzen. Bis Anfang Juni werde der Todeszoll die Marke 500000 erreichen, schätzen Fachärzte. Am Mittwoch gab der neue Gesundheitsminister Marcelo Queiroz neue Verzögerungen des Impfprogramms bekannt. Im April werden dem Land nur 25,5 Millionen Dosen zur Verfügung stehen, anstatt wie vorher angekündigt 47,3 Millionen. Grund dafür seien Fertigungsverzögerungen bei den zwei nationalen Herstellern der Vakzine von AstraZeneca und Sinovac sowie Zulassungsprobleme mit Impfungen aus Russland und Indien.
Banken wie Bradesco und Santander veröffentlichten Studien mit Szenarien des künftigen Impfgeschehens. In ihrem Basisszenario kalkuliert etwa Credit Suisse, dass die gesamte Bevölkerung im Oktober immunisiert sein müsste, wenn die in der zweiten Jahreshälfte angekündigten Großimporte aus den USA eintreffen und die Verteilung in dem Land einigermaßen klappt. Im schlechtesten Fall könnte die Herdenimmunität im Dezember erreicht sein. Aber derartige Berechnungen haben einen Haken. Denn angesichts der vielen Ansteckungen ist die Gefahr neuer Varianten enorm. Und niemand kann berechnen, wie effektiv die Impfstoffe auf diese reagieren.
Dass Bankanalysten inzwischen den Impffortschritt voraussagen, verdeutlicht das Dilemma der Ökonomie: Niemand weiß, wann oder ob überhaupt eine Wiedereröffnung stattfinden kann. Die Wirtschaftsentwicklung hängt von der Länge der Lockdowns ab, die verhängt werden, um die Gesundheitssysteme vor dem totalen Kollaps zu schützen. Noch ehe die aktuelle Abschaltung begann, prognostizierte der nationale Thinktank FGV, dass die Gesamtwirtschaft in den ersten beiden Quartalen um jeweils 0,5% schrumpfen werde. Die Schließungen dürften diese Werte ebenso verschlechtern wie das Konsumklima, denn sie betreffen die Dienstleistungsbranche ebenso wie die informelle Wirtschaft.
Inflation zieht an
Weil ausgerechnet jetzt eine starke Nachfrage aus China die Preise für Lebensmittel sowie Rohstoffe und industrielle Basisprodukte wie Stahl massiv antrieb, stieg trotz mauen Konsums die Inflation massiv an und liegt mit 5,5% deutlich über dem Inflationsziel von 3,5%. Die Zentralbank reagierte Mitte März mit einer Anhebung des Leitzinses um 75Basispunkte und kündigte einen ähnlichen Schritt für Anfang Mai an. Dieser doppelte Zinsschritt kam in der Finanzbranche allgemein gut an, weil die seit Februar auch formell unabhängige Zentralbank einen verlässlichen Rahmen schafft. Allgemein rechnet die Branche damit, dass der Inflationsdruck in der zweiten Jahreshälfte nachlässt und das Inflationsziel noch erreicht werden kann, die Zentralbank hat eine Schwankungsreserve von 1,5% eingeplant. Die Landeswährung dürfte weiter schwach bleiben. Der Real hat seit Jahresanfang 8,5% zum Dollar verloren und gehört zu den schwächsten Emerging-Markets- Währungen. UBS kalkuliert mit nur leichtem Zugewinn im Jahresverlauf und prognostiziert einen Kurs von 5,5 Real pro Dollar für Ende 2021.
Der Aktienmarkt hat im ersten Quartal um 2% nachgegeben. Der Bovespa gehört damit zu den schwächsten Indizes aller Emerging Markets. Ein MSCI-Index, der brasilianische Aktien abbildet, ist in diesem Jahr um mehr als 10% gesunken, verglichen mit einem Rückgang von 6,8% für die regionalen Konkurrenten im gleichen Zeitraum. Das erklärt, warum Großinvestoren wie BlackRock, die brasilianische Aktien Ende des Vorjahres noch übergewichtet hatte, diese Papiere nun untergewichten. Brasilianische Aktienexperten glauben freilich, dass die aktuellen Kurse kaum noch fallen dürften, weil die meisten aktuellen Risiken bereits eingepreist seien, auch die politischen infolge des sprunghaften Kurses des Präsidenten.
Nachdem die gestiegenen Weltmarktpreise die Treibstoffe in Brasilien stark verteuerten, feuerte Jair Bolsonaro den angesehenen Direktor der halbstaatlichen Ölgesellschaft Petrobras und ersetzte ihn durch einen Militär. Die Wirtschaft fürchtet nun weitere populistische Eingriffe und fiskalische Exzesse. Vor allem, weil nach einem Entscheid des obersten Gerichtshofes der linke Ex-Präsident Lula alle politischen Rechte zurückgewann. Selbst wenn das Land in der zweiten Jahreshälfte die Pandemie abschütteln sollte, dürfte ihm ein neues Übel bevorstehen: ein Wahlkampf zwischen zwei Populisten.