VOLATILITÄTS-CHECK - GASTBEITRAG

Brexit-Votum treibt implizite FTSE-100-Volatilität

Börsen-Zeitung, 17.6.2016 In der kommenden Woche stimmen die Briten über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ab. Lange Zeit sahen die Umfragen einen knappen Ausgang mit einem leichten Vorsprung der EU-Befürworter...

Brexit-Votum treibt implizite FTSE-100-Volatilität

In der kommenden Woche stimmen die Briten über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ab. Lange Zeit sahen die Umfragen einen knappen Ausgang mit einem leichten Vorsprung der EU-Befürworter voraus. Zuletzt lagen sogar die Austritt-Befürworter in Führung.Dennoch scheint es so, als würde die britische Aktienmarkt von dieser Abstimmung und den damit verbundenen potenziellen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen kaum Notiz nehmen. Der wichtigste britische Aktienindex FTSE 100 notiert seit Jahresanfang zumeist unverändert (oder im Plus) und lässt damit beinahe alle Indizes aus der Eurozone hinter sich. Der dazugehörige Volatilitätsindex, der FTSE 100 Volatility Index, notiert bei einem Wert von 21 und damit unter seinen Pendants aus der Eurozone.Doch der erste Anschein trügt: Seit die Umfragen der vergangenen Wochen den Brexit-Befürwortern erstmals eine hauchdünne Mehrheit bescheinigen, ist der FTSE 100 Volatility Index, der die erwartete zukünftige Schwankung des britischen Aktienmarkts widerspiegelt, ein gutes Stück angestiegen. So notiert er aktuell deutlich über seinem Durchschnittswert der vergangenen (durchaus turbulenten) zwölf Monate und auch über den langfristigen Mittelwerten der vergangenen fünf beziehungsweise zehn Jahre.Noch deutlicher fällt der jüngste Anstieg im Vergleich mit anderen Volatilitätsindizes aus. Zwar mag der Stand des FTSE 100 Volatility Index mit 21 nicht übermäßig hoch anmuten. Es gilt jedoch zu beachten, dass der FTSE 100 in der Vergangenheit (beinahe) immer deutlich unter dem Volatilitätsindex des Dax notierte. Diesen Rückstand hat der FTSE 100 Volatility Index nun fast aufgeholt. Anders ausgedrückt: Bei mehr als 99 % aller in den vergangenen zwölf Monaten beobachteten Datenpunkten war der Abstand zwischen den beiden Volatilitätsindizes höher als aktuell. Zieht man zudem einen Vergleich mit dem US-Markt heran, so wird das Bild noch deutlicher. So notiert der Volatilitätsindex des FTSE 100 aktuell signifikant über dem des S & P 500. Der Vorsprung des FTSE 100 Volatility Index ist auf ein Niveau angewachsen, das in den vergangenen fünf Jahren nie zu beobachten war. Die Liste der Auffälligkeiten ist damit noch nicht zu Ende: Während die realisierte Volatilität, also die tatsächlichen Schwankungen des FTSE 100, zuletzt deutlich zurückging, stieg die implizite Volatilität (also die vom Markt erwarteten Preisschwankungen der Basiswerte von Optionen) an. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Derivateexperten für die Zukunft mit bevorstehenden Marktturbulenzen rechnen.Woher kommt dieser Anstieg der impliziten Volatilität, wenn sich der Aktienmarkt gleichzeitig so herrlich unaufgeregt verhält? Zur Beantwortung hilft ein Blick auf den Optionsmarkt. Betrachten wir zunächst das “Open-Interest”, also das Marktvolumen aller börsengehandelter Optionen auf den FTSE 100, so sehen wir: Der Abstand zwischen Call- und Put-Open-Interest ist so hoch wie selten in der Vergangenheit. Dies deutet darauf hin, dass institutionelle Anleger, die diese Instrumente vorwiegend nutzen, offensichtlich einen hohen Absicherungsbedarf haben. Ähnlich hoch war dieser Bedarf zuletzt zu Zeiten des schottischen Unabhängigkeitsvotums im Herbst 2014. Alles andere als gleichgültigDie Tatsache, dass Anlageprofis im Vorfeld des Referendums Put-Optionen zur Absicherung einsetzen und dafür auch höhere Prämien in Kauf nehmen, zeigt, dass sie für den Ausgang des Referendums sowohl für steigende als auch für fallende Kurse positioniert sein wollen. Eine reine Glattstellung der Positionen oder eine reine Aktienpositionierung scheint nur für wenige in Frage zu kommen. Die implizite Volatilität des FTSE 100 weist also auf die aktuelle Stimmung der Anlageexperten in Bezug auf das Referendum hin – und diese ist aktuell alles andere als gleichgültig. Wer das Ergebnis des Referendums zufällig verpassen sollte: Auch am Freitag danach lässt es sich mit Sicherheit bei einem Blick auf den FTSE 100 Volatility Index ablesen.—-Bisher erschienen:- 9.6. – Niedrige Volatilitäten Folge des “Zentralbank-Puts”? —-Thomas Altmann, Leiter des Portfoliomanagements von QC Partners