TECHNISCHE ANALYSE

Brexit-Votum wirbelt Märkte durcheinander

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 29.6.2016 Das Brexit-Votum hat die Finanzmärkte durchgeschüttelt. Gerade in solchen von hoher Nervosität und der Psychologie dominierten Marktphasen kann die technische Analyse ihre Stärken ausspielen. Mit dem...

Brexit-Votum wirbelt Märkte durcheinander

Von Jörg Scherer *)Das Brexit-Votum hat die Finanzmärkte durchgeschüttelt. Gerade in solchen von hoher Nervosität und der Psychologie dominierten Marktphasen kann die technische Analyse ihre Stärken ausspielen. Mit dem Fokus auf hohe Zeitebenen bzw. langfristige Charts wollen wir uns dabei ganz bewusst von den hektischen Schwankungen der letzten Tage lösen und die strategischen Perspektiven der wichtigsten Assetklassen überprüfen.Seit April 2015 und dem Rekord bei 12 391 Punkten befindet sich der deutsche Standardwerteindex Dax im Rückwärtsgang. Nach dem schwierigen Jahresauftakt kriegte der Dax bei 8 700 Punkten die Kurve. Das bisherige Jahrestief bestätigte damals punktgenau den im März 2009 etablierten Haussetrend (aktuell bei 9 203 Punkten). Auf höherem Niveau steht nun der entsprechende Trend erneut zur Disposition (siehe Chart). Im Zusammenspiel mit den horizontalen Unterstützungen in Form der Tiefs vom August/September 2015 sowie vom Januar 2016 bei gut 9 300 Punkten entsteht eine wichtige Unterstützungszone. Kurzum: Kann die beschriebene Bastion nicht verteidigt werden, erfährt der Chartverlauf des Dax eine deutliche Eintrübung. Anleger müssten dann ein Wiedersehen mit dem erwähnten Jahrestief einkalkulieren. Danach markiert das Tief vom Oktober 2015 bei 8 355 Punkten den Auftakt zu einem möglicherweise idealtypischen Pullback an die alten Ausbruchsmarken bei 8 152/36 Punkten. Die Toleranz gegenüber weiteren Verlusten ist also äußerst gering.Dieses “große Bild” wollen wir im Folgenden auf die Konstellation im Tagesbereich herunterbrechen. Nachdem der Dax gleich am ersten Handelstag des Jahres mit einem großen Abwärts-Gap (10 743 zu 10 486 Punkte) in das Jahr starteten, wurde das Ausmaß dieser Kurslücke durch das jüngste Pendant nach dem Brexit-Votum (10 105 zu 9 720 Punkten) nochmals in den Schatten gestellt. Solche großen Gaps signalisieren ein Marktumfeld, welches in hohem Maße von der Psychologie dominiert wird. Insgesamt ist der Index derzeit auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht. Um dieses tatsächlich zu finden, müssen die jüngsten beiden Verlaufstiefs bei 9 226/14 Punkten unbedingt verteidigt werden. Ansonsten wird nochmals ein Katalysator für das oben gezeichnete Negativszenario aktiviert. Nach Norden hin bildet die 200-Tage-Linie (aktuell bei 10 068 Punkten) zusammen mit der oberen Gap-Kante der jüngsten Kurslücke eine massive Widerstandszone.Das Brexit-Votum hat auch im Chartverlauf des Euro/Dollar-Kurses Spuren hinterlassen. So lagen zwischen dem Tageshoch und -tief am Tag nach dem Votum – mehr als 5 US-Cents: die größte Tagesschwankung seit Dezember 2008. Gerade in diesen turbulenten Tagen lohnt sich der Blick auf den Quartalschart des Euro. So dürfte die jüngste Quartalskerze im Bereich der bereits vielfach angeführten Schlüsselbarrieren zwischen 1,15/1,18 Dollar erneut einen markanten Docht ausbilden. Damit wird die Relevanz der Widerstandszone aus den jüngsten Verlaufshochs bei 1,1495/1,1614/1,1711 Dollar sowie aus zwei unterschiedlichen Fibonacci-Retracements (1,1773/1,1807 Dollar) ein weiteres Mal bestätigt. Übergeordnet vollziehen sich die letzten Quartalskerzen allerdings weiter allesamt innerhalb der im ersten Quartal 2015 gesetzten Handelsspanne, so dass eine Serie von sogenanten “Inside Quarters” entsteht. Unter strategischen Gesichtspunkten dienen also nach wie vor die beschriebenen “Innenstäbe” als die entscheidenden Seismographen – sprich ein Überwinden der genannten Hürden bzw. ein Unterschreiten der Jahrestiefs von 2015 bei rund 1,05 Dollar dient als langfristiger Taktgeber. Unterstützungen verletztInnerhalb dieser “großen Leitplanken” bringt die jüngste Entwicklung jedoch eine wichtige Haltezone in die Bredouille: die Kombination aus dem Erholungstrend seit Dezember vergangenen Jahres (aktuell bei 1,1143 Dollar), der 200-Tage-Linie (aktuell bei 1,1096 Dollar) und dem Verlaufstief vom 30. Mai bei 1,1096 Dollar. Erweist sich der jüngste Rutsch unter diese Bastion als nachhaltig, wäre eine Toppbildung vervollständigt, so dass die horizontalen Auffangmarken bei rund 1,08 Dollar nur Zwischenziele markieren sollten. Schließlich lässt sich das rechnerische Abschlagspotenzial aus einer oberen Umkehr auf rund 1,06 Dollar veranschlagen. Damit stünde auch eine strategische Weichenstellung in Form einer Auflösung der beschriebenen “Inside Quarters” nach unten zur Disposition.Wo es Verlierer gibt, sind auch Gewinner. Dank des Spurts über die Widerstandszone aus dem Hoch vom Mai 2016, dem Jahreshoch 2015 bei 1306/04 Dollar sowie der 200-Wochen-Linie (aktuell 1 309 Dollar) gehört der Goldpreis dazu, zumal damit eine inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation abgeschlossen wurde. Das Anschlusspotenzial aus der Bodenbildung lässt sich auf rund 250 Dollar taxieren. Die nächsten Hürden in Form der zyklischen Hochs aus 2014 und Mitte 2013 bei 1 345/92 Dollar bzw. 1 433 Dollar dürften somit übergeordnet nur Durchgangsstationen auf dem Weg zu den entscheidenden Hürden in Form mehrerer Tiefpunkte aus den Jahren 2011 und 2012 knapp oberhalb von 1 500 Dollar sein. Als Absicherung auf der Unterseite bietet sich die Marke von 1 200 Dollar an, wo jeweils die Tiefs der letzten vier Monate ausgeprägt wurden.—-*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.