IM INTERVIEW: KURT KOTZEGGER, RAIFFEISEN CAPITAL MANAGEMENT

"Buy and Hold ist alles andere als tot"

Chief Investment Officer rät zu einem breit gestreuten und gemischten Portfolio - Sachwerte hoch gewichtet

"Buy and Hold ist alles andere als tot"

Durch die Schuldenkrise und die extrem niedrigen Zinsen stehen die Investoren derzeit vor besonders schwierigen Herausforderungen. Vor allem die unbefriedigenden Ertragsperspektiven der für viele Institutionelle unverzichtbaren und große Anteile der Portfolien ausmachenden Top-Staatsanleihemärkte bereiten Sorgen. Die Börsen-Zeitung hat Kurt Kotzegger, Chief Investment Officer Equities & Asset Allocation von Raiffeisen Capital Management, zur Anlagestrategie und Portfoliostrukturierung befragt.- Herr Kotzegger, Risiko-Assets haben seit dem Jahresbeginn für viele Investoren überraschend zum Teil deutlich zugelegt. Raten Sie dazu, Risiken nun hochzufahren, oder neigen Sie in Ihrer Kernstrategie derzeit eher zu einer vorsichtigeren Herangehensweise?Eine Anlagestrategie sollte umso mehr Risiko eingehen, je höher das resultierende Ertragspotenzial ist. Es gibt derzeit eine Reihe von Assetklassen, in denen Wert zu finden ist – z.B. europäische Aktien, manche Segmente in den Emerging Markets, High-Yield-Anleihen – und die auch weiterhin stark im Portfolio vertreten sein sollten. Allerdings ist das Universum aller globalen Anlagemöglichkeiten – von Staatsanleihen über Unternehmensanleihen bis zu Aktien – unserer Meinung nach aus absoluter Sicht teuer. Das deutet auf langfristig unterdurchschnittliches Ertragspotenzial hin. Deshalb setzen wir insgesamt in unserer strategischen Ausrichtung einen Investitionsgrad um, der rund ein Drittel geringer ist als im Durchschnitt.- Was empfehlen Sie Institutionellen, die angesichts der Schuldenkrise und der extrem niedrigen Renditen der Top-Staatsanleihesegmente verunsichert sind?Teure Bewertungen stellen das wichtigste fundamentale Anlagerisiko dar. Aus einem vermeintlich konservativen Staatsanleihenportfolio wird dadurch ein sehr riskantes Investment, das langfristige Ziele verfehlen wird. Der sinnvollste Ausweg ist meist ein breit gestreutes, gemischtes Portfolio mit einem ähnlichen Durchschnittsrisiko – gemessen z. B. an Volatilität. Durch die Streuung kann man aber billigere Bewertungen z.B. in Aktien oder Credits einkaufen und gleichzeitig das Risiko gegenüber verschiedenen Marktszenarien besser balancieren. Auch ein gemischtes Portfolio kann nicht zaubern, aber im Vergleich zu aktuellen Staatsanleihenrenditen doch ein deutlich besseres Ertrags / Risiko-Profil bieten.- Welche Mittel sind Ihrer Meinung nach geeignet, um sich angesichts der stärker gewordenen Schwankungen gegen kurzfristig bestehende Risiken abzusichern?Statische Ansätze zur kurzfristigen Risikobegrenzung sind meist teuer: Ein höherer Geldmarktanteil senkt Kursschwankungen, aber auch den Ertrag. Put-Optionen werden gerade in volatilen Zeiten nahezu unbezahlbar. Ein gut diversifiziertes Portfolio ist deshalb wichtig, weil jede Art der Absicherung umso günstiger wird, je besser das Ertrags / Risiko-Profil der Basis. Als Alternative zu Optionen setzen wir Overlays von technisch orientierten Strategien ein, die einen vergleichbaren Effekt zu einem deutlich billigeren Preis erzielen.- Ist “Buy and Hold” tot?Buy and Hold ist alles andere als tot. Es ist eine der wenigen Erfolg versprechenden Antworten auf starke Marktverwerfungen und hohe kurzfristige Volatilität. Eine sinnvolle Anlagestrategie, die auch tatsächlich die angestrebten Erfolge bringt, wird ohne den Fokus auf billige Kaufgelegenheiten und einen angemessen langen Anlagehorizont, um den Ertrag aus dieser Unterbewertung zu realisieren, nicht funktionieren.- Geht es ohne Long- / Short-Strategien nicht mehr?Long- / Short-Strategien bieten viele Chancen und sind meist eine nützliche Zutat in einer Anlagestrategie. Insgesamt sollte ein Portfolio aber auf den langfristigen Markttrend als Ertragsquelle nicht verzichten. Ein intelligent diversifiziertes Portfolio, das eben wirklich “den Markt”, d.h. möglichst viele, ausgewogene Assetklassen beinhaltet, sollte der Kern jeder Anlage sein, weil es langfristig schlicht und einfach das verlässlichste Ertragspotenzial bietet.- Wie sollte ein gut ausbalanciertes Portfolio aus langfristiger Sicht aussehen?Entscheidend für die Ausgewogenheit eines Portfolios sind Risikobeiträge, nicht Kapitalgewichte. 50 % Kapital in Aktien und 50 % in Staatsanleihen bedeutet rund 95 % Aktienrisiko und ist daher nicht ausgewogen. Risikostreuung bedeutet auch Ausgewogenheit gegenüber verschiedenen Marktregimen: Inflation versus Deflation, Wachstum versus Stagnation. Außerdem reduziert Diversifikation das Timing-Risiko: Wenn man billige Assetklassen kauft, wird das oft in einem negativen Marktumfeld sein, wo Preise noch weiter fallen. In einem breiten Portfolio sind die Risiken einer solchen Entscheidung leichter zu tragen. Aber genau mit diesen Entscheidungen verdient man langfristig Ertrag.- Wie verfahren Sie bei der Allokation?In einem ersten Schritt identifizieren wir die relevanten Marktrisiken: Aktien, nominelle Zinsen (kein Bonitätsrisiko), Spreads (Bonitätsrisiko), reale Risiken (Korrelation zu Inflation). Im Durchschnitt ist das Portfolio ausgewogen in diesen Risiken aufgestellt, je nach Bewertungen und Marktzyklen variieren wir im Zeitablauf. Erst im letzten Schritt wählen wir die Assetklassen, über die wir gegen diese Risiken exponiert sein möchten. Das führt dazu, dass unser Masterportfolio in Kapitalanteilen aktuell etwa ein Viertel in Aktien hält, ein weiteres Viertel in inflationsindexierten Anleihen, rund ein Drittel in Spread-Assets, gut 10 % in Rohstoffen, und (aus Kassa- und Derivatepositionen) rund 60 % in hochwertigen Staatsanleihen – was im Risikobeitrag relativ wenig ist.- In Ihrer derzeitigen Allokation haben sie ein relativ niedriges Staatsanleiherisiko Wie sind Sie bei den Spread-Assets positioniert?Spread-Risiko stellen wir durch verschiedenste Assets dar: einerseits natürlich Unternehmensanleihen, wo wir derzeit sowohl europäische Investment-Grade- als auch High- Yield-Portfolios halten, wobei wir weitgehend Non-Financials bevorzugen. Andererseits beinhaltet das auch Emerging-Markets-Staats- und Unternehmensanleihen und auch Emerging-Markets-Währungsrisiko. Schon seit langem subsumieren wir Staatsanleihen der europäischen Peripherie unter Spread-Risiko, halten derzeit aber keine südeuropäischen Staatsanleihen. Insgesamt bietet dieses Segment akzeptable, aber keine herausragenden Bewertungen.- Wie gewichten Sie Sachwerte, und über welche Assets kann man den Sachwertekomplex darstellen?Reale Assets haben wir prominent im Portfolio vertreten – höher als Zinsen und Spreads. Die tatsächliche Umsetzung ist vielfältig. Basis dafür sind verschiedene Definitionen und Quellen von Inflation, für die wir positioniert sein wollen. Ansteigende Inflationserwartungen an Anleihenmärkten decken wir durch inflationsindexierte Anleihen ab, Vertrauensverlust in Papierwährungen durch Edelmetalle, Druck aus Staatsverschuldung durch Short Duration, strukturelle Verschiebungen an Rohstoffmärkten und zwischen Schwellen- und Industrieländern durch Emerging-Markets-Währungen, Rohstoffe und Relative-Value-Positionen von bestimmten Sektoren des Aktienmarktes. Ein Investment ausschließlich in Aktien und Rohstoffen, wie es oft als Realwertanlage angepriesen wird, ist aus unserer Sicht zu unausgewogen.- Was macht inflationsindexierte Anleihen interessant?Inflationsindexierte Anleihen spiegeln die mittel- bis langfristigen Kapitalmarkterwartungen für Inflationstrends wider. Wenn aufgrund kurzfristiger Marktstimmungen wie z.B. Ende 2008 oder Sommer 2011 die eingepreisten durchschnittlichen Inflationserwartungen für die kommenden Jahre auf Werte von 1 % oder darunter fallen, dann stellt das für langfristige Investoren vermutlich ein gutes Kaufniveau dar. Andererseits ist es eben nur ein Zugang zur Realwertanlage – wie eben beschrieben.- Wie würden Sie derzeit Aktienrisiken gewichten?In Aktien muss man differenzieren. Europa bietet weiterhin Wert und ist unsere größte Aktienposition, deutlich größer als die USA oder Emerging Markets. US-Aktien sind hingegen unserer Ansicht nach eher teuer, Schwellenländer einigermaßen gut bewertet. Aufgrund der Verwerfungen rund um Euroland war diese Ausrichtung in 2011 sehr schlecht. Andererseits ist das ein gutes Beispiel, wie ein diversifiziertes Portfolio Timing-Risiken reduziert: Kurzfristig haben uns europäische Aktien Ertrag gekostet, aber an der insgesamt guten Performance in 2011 kaum etwas geändert. Trotz des miserablen Aktien-Timings hat unser Kernportfolio letztes Jahr rund 10 % an Wert gewonnen. Langfristig werden wir mit dem Europa-Aktien-Investment überdurchschnittliche Erträge erzielen.—-Die Fragen stellte Christopher Kalbhenn.