IM INTERVIEW: ANDREW MILLIGAN, STANDARD LIFE INVESTMENTS

"China wächst sicherlich nicht um 7 Prozent"

Chefstratege erwartet eine sehr allmähliche Zurückführung der geldpolitischen Lockerung in den USA - In Anleihen untergewichtet

"China wächst sicherlich nicht um 7 Prozent"

Die Verlangsamung in China und die generelle Schwäche sowie die Unsicherheit über den Zeitpunkt der US-Leitzinswende machen den Investoren derzeit das Leben schwer. Die Börsen-Zeitung hat Andrew Milligan, Head of Global Strategy von Standard Life Investments, zu den Aussichten der Märkte und seiner Strategie befragt.- Herr Milligan, Sie haben kürzlich von einer aus Investorensicht unsicheren Welt gesprochen. Was ist derzeit das Hauptproblem?Im Jahr 2008 hatten wir eine große Unsicherheit wegen der Finanzkrise, 2011 folgte die Staatsschuldenkrise des Euroraums. Nun stehen wir vor der Frage: Wie schlecht ist es um die Schwellenländer bestellt? Sie sind in einer schwierigen Lage, und manche sehen Ähnlichkeiten mit der Asienkrise in den Jahren 1997 und 1998. Im Hintergrund wirken starke Spannungen. Die USA wollen ihre Geldpolitik straffen, die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank weiter lockern. Das ist eine ungewöhnliche Lage.- Wie beurteilen Sie die Entscheidung der Fed, mit der ersten Leitzinserhöhung zunächst noch abzuwarten?Erst einmal: Die Entscheidung selbst war für die Märkte keine Überraschung, die Begründung und die Tonalität hingegen schon. Investoren, die jetzt so tun, als ob die Fed etwas gänzlich Neues verkündet habe, übertreiben jedoch aus unserer Sicht. Die US-Wirtschaft ist nun einmal offener für den Handel mit dem Rest der Welt, als sie es in früheren Konjunkturzyklen war. Exporte in die Emerging Markets und in das von Rezession geplagte Kanada machen 41 % der gesamten Warenausfuhr aus. Der Stress an den Finanzmärkten und eine Aufwertung des Dollar um 20 % seit Jahresbeginn sorgen für Gegenwind, den die Fed richtigerweise bei diesem Termin berücksichtigt hat. Aber: Die Hürden für den Beginn der Normalisierung liegen jetzt niedrig. Dabei spielt der Zeitpunkt eine viel geringere Rolle als der Pfad. Und hier erwarten wir eine nur sehr allmähliche Zurückführung der geldpolitischen Lockerung, vor allem, weil die Inflation deutlich unter dem Ziel bleibt und Präsidentin Janet Yellen noch beträchtliche freie Kapazitäten am Arbeitsmarkt sieht.- Welche Rolle spielt China?In China ist der verarbeitende Sektor schwach, das Land will eine stärker vom Konsum und von Dienstleistungen getragene Volkswirtschaft. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist schwächer, während mit den USA die größte sich stark entwickelt. Es ist derzeit noch unklar, ob die Starken der Weltwirtschaft die Schwachen nach oben oder die Schwachen die Starken nach unten ziehen werden.- Wie schwach entwickelt sich die Wirtschaft in den großen Schwellenländern?In China wächst der verarbeitende Sektor um zwischen 0 und 2 %. Andererseits zieht der Einzelhandelsumsatz um rund 10 % an. Insgesamt wächst China sicherlich nicht um 7 %. Brasilien und Russland befinden sich in der Rezession, die Emerging Markets im Mittleren Osten stecken ebenfalls in Schwierigkeiten. In diesem Umfeld ist es zweifellos einfach, eine pessimistische Investment Story zu schreiben.- Und tun Sie das?Es gibt auch gute Nachrichten. In China werden die Geldpolitik gelockert und Ankurbelungsmaßnahmen ergriffen. Es gibt Spekulationen, dass die japanische Zentralbank weitere Lockerungsmaßnahmen beschließen wird, auch wenn sie das in ihrer jüngsten Sitzung noch nicht getan hat. Die Europäische Zentralbank hat bereits klar gesagt, dass sie gegebenenfalls energische Lockerungsmaßnahmen ergreifen wird, und die Bank of England wird sich zumindest in den nächsten drei Monaten schwertun, eine erste Leitzinserhöhung zu beschließen. Der Druck, wirtschaftspolitisch gegenzusteuern, steigt. Die Frage ist noch, in welchem Maße das auch geschehen und wirken wird.- Sind Sie also auf der optimistischen Seite?Wir müssen erst noch gute Zeichen sehen. Ein solches waren zuletzt die Daten zu den chinesischen Rohstoffeinfuhren. Wenn die USA stärker wachsen, sollte das auch den Schwellenländern helfen. Das wäre in der Tat ein positives Signal. Wir glauben immer noch, dass die Weltwirtschaft im nächsten Jahr um 3 % wachsen und die Bank of England ihren Leitzins erhöhen kann, aber nur, wenn sich die Probleme der Emerging Markets nicht als sehr gravierend erweisen. Wenn die Weltwirtschaft um 3 % wächst und die Inflation weltweit bei rund 3 % liegen wird, werden sich Aktien unserer Einschätzung nach positiv entwickeln. Das liegt vor allem an steigenden Unternehmensgewinnen, wo wir einen Anstieg von 5 bis 8 % für möglich halten. Das ist zwar nicht berauschend, aber es wird die Aktienmärkte stützen. Aktien können sich prinzipiell auch in einem Umfeld niedrigen Wachstums gut entwickeln.- Aber die Schwellenländer sind doch ein Risiko.Die entscheidende Frage ist in der Tat, ob sich die Lage in den Schwellenländern entspannt. Ursache des Ausverkaufs im August war die bei weitem schlechter als erwartete wirtschaftliche Entwicklung in China. Viele hatten geglaubt, dass das Land noch mehrere Jahre lang um 7 % macht. Es war ein Traum, es war einfach töricht zu glauben, dass das für einen sehr langen Zeitraum möglich sei.- Ist in dem gegenwärtigen Umfeld Ihrer Meinung nach eine defensivere Positionierung angeraten?Wir haben bereits das ganze Jahr über sukzessive unser Risiko heruntergefahren. In Aktien sind wir insgesamt neutral gewichtet. Innerhalb dieser Asset-Klasse sind wir in Japan und in Europa übergewichtet und in Großbritannien, den USA sowie den Emerging Markets untergewichtet. Wir reduzieren Risiken, wollen dabei aber von den starken Teilen der Weltwirtschaft profitieren.- Aber Sie sind doch in den USA, die im Moment das Zugpferd der Weltwirtschaft sind, untergewichtet.Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Das Wirtschaftswachstum der Vereinigten Staaten ist zwar in der Tat überdurchschnittlich, aber die Gewinne der US-Unternehmen entwickeln sich schwach. Wir kaufen kein Wirtschaftswachstum, sondern Unternehmensgewinne. Wir rechnen ohne Öl und Rohstoffe mit einem Gewinnwachstum von nur 5%. Einschließlich Öl und Rohstoffen gehen die Gewinne der amerikanischen Unternehmen sogar zurück. Europa und Japan können dagegen ein Gewinnwachstum von zwischen 10 % und 15 % vorweisen.- Was setzt die US-Unternehmensgewinne unter Druck?Neben der Preisschwäche von Öl und anderen Rohstoffen sind das die Stärke des Dollar und höhere Löhne.- Welche Bedeutung haben die immensen Aktienrückkäufe der amerikanischen Unternehmen?Die Dividendenrendite liegt in den USA im Schnitt bei gut 2 %, Aktienrückkäufe der US-Unternehmen fügen noch einen Prozentpunkt hinzu. Das ist ein ansprechender Mehrertrag. Vielfach werden die Aktienrückkäufe jedoch über die Begebung von Unternehmensanleihen finanziert. Das bereitet uns Sorgen. Wenn die Fed den Leitzins erhöht, ist das eine ungünstige Situation. Aktienrückkäufe werden dann auch weniger interessant sein, und die Anleger werden lieber Dividenden sehen. Hohe Ausschüttungen sind generell zu einem wichtigen Argument geworden: Viele Investoren brauchen echte Einnahmen, und die sind mit Anleihekupons kaum zu erzielen.- Wie ist überhaupt Ihre Haltung zu Anleihen?Es ist gegenwärtig äußerst schwierig, im Anleihebereich etwas Interessantes zu finden. Vieles hängt vom Weltwirtschaftswachstum ab. Wenn die Leitzinsen steigen, wird es bei den Anleihen zu einem Ausverkauf kommen, und wenn die Schwellenländer in noch größere Schwierigkeiten geraten sollten, wird es für Emerging-Market-Anleihen ein Problem geben. Es ist einfach schwierig, sich vorzustellen, dass die Investoren in diesem Umfeld im großen Stil Anleihen kaufen werden.- Wie hoch könnten die Anleiherenditen Ihrer Einschätzung nach steigen?Trotz unserer Skepsis für Staatsanleihen glauben wird nicht, dass die Renditen von Treasuries sehr stark steigen werden. Wir können uns einen Anstieg in einen Bereich von zwischen 3 und 4 % vorstellen. Historisch gesehen ist das immer noch ein niedriges Niveau.- Wie beurteilen Sie die Aussichten von Bundesanleihen?In Deutschland sind die Renditen bis zum vierjährigen Laufzeitenbereich negativ. Die Renditen können steigen, wenn das weltweite Wirtschaftswachstum anzieht. Bei einem Renditeniveau von 3 % werden aber Käufe einsetzen.- Wie sind Sie im Anleihebereich gewichtet?In Anleihen insgesamt sind wir derzeit untergewichtet, in einigen Segmenten neutral. Wenn die Renditen höhere Niveaus erreichen, werden wir kaufen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.