GastbeitragAnlagethema im Brennpunkt (325)

Warum Chinas Wirtschaftswachstum vom Immobilienmarkt abhängt

Chinas Immobilienmarkt gilt als Konjunkturmotor – steckt aber in einer tiefen Krise. Im Jahr 2024 wird die Führung in Peking entscheiden müssen, ob und in welchem Umfang sie taumelnden Immobilienriesen hilft.

Warum Chinas Wirtschaftswachstum vom Immobilienmarkt abhängt

Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (325)

China: Warum das Wirtschaftswachstum vom Immobilienmarkt abhängt

Chinas Immobilienmarkt gilt als Konjunkturmotor – steckt aber in einer tiefen Krise. Wie sich das Wachstum der Volksrepublik im Jahr 2024 entwickelt, hängt deshalb stark davon ab, ob die Regierung den Schlüsselsektor stabilisieren kann.

Lange Zeit warnten Ökonominnen und Ökonomen vor einer Blase am chinesischen Immobilienmarkt. Im Jahr 2021 war es dann so weit, wie prophezeit, platzte die Blase: Evergrande, Chinas zweitgrößtes Unternehmen für Immobilienentwicklung, meldete Insolvenz an. Mittlerweile ist das insolvente Unternehmen ein Symbol für die sich stetig ausweitende Immobilienkrise in der Volksrepublik China geworden. Weitere Unternehmen aus der Branche folgten Evergrande. So musste der hoch verschuldete Mitbewerber Sunac Gläubigerschutz in den USA beantragen und auch der einstige Branchenprimus Country Garden konnte seine Anleihezinsen im Oktober 2023 nicht mehr bedienen.

Geförderter Regimewechsel

Die Bedeutung des Immobiliensektors für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist allerdings groß: In der Spitze machte dieser rund ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Ebenso sind etwa zwei Drittel des Vermögens chinesischer Haushalte in Immobilien gebunden. Dabei dienen die Häuser und Wohnungen nicht nur als Wertanlage, sondern oft auch als Altersvorsorge. Bisher kauften die Chinesinnen und Chinesen eifrig Immobilien, um sie nach ein paar Jahren gewinnbringend zu veräußern. Solange die Preise stiegen, funktionierte dieses Modell, das wir auch aus anderen Märkten wie den USA kennen. Die jetzigen Unsicherheiten im Sektor bringen folglich die gesamte Volkswirtschaft und das Konsumverhalten ins Straucheln – und das, obwohl sich die Anzeichen mehren, dass 2024 eine weitere wirtschaftliche Stabilisierung eintreten könnte.

In der Vergangenheit beschleunigten enorme Mengen an Fremdkapital das Wachstum des Immobiliensektors. Damit dürfte erst einmal Schluss sein. Die Regierung leitete zuletzt einen Regimewechsel ein, indem sie strengere Kreditvergabestandards und andere regulatorische Maßnahmen beschloss. Ziel ist es, den aufgeblähten Sektor gesundzuschrumpfen und ein stabileres Investitionsumfeld zu schaffen. Einen deutlichen Abschlag hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Wachstumserwartungen nimmt die Regierung dabei billigend in Kauf.

Im Jahr 2024 wird die Führung in Peking entscheiden müssen, ob und in welchem Umfang sie taumelnden Immobilienriesen fiskal- und geldpolitisch unter die Arme greift. Unserer Einschätzung nach gibt es verschiedene mögliche Szenarien, die sich unterschiedlich auf chinesische Vermögenswerte auswirken werden.

Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es eine anhaltende Stabilisierung durch staatliche Unterstützung in China geben wird. Wir schätzen, dass dieser Fall mit einer Wahrscheinlichkeit von 65% eintreten wird. In diesem würden die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger mehr geldpolitische Maßnahmen bereitstellen, die sowohl die Referenzzinssätze als auch die Liquiditätsversorgung betreffen. Zusätzlich würden sie fiskalische Initiativen einleiten, die über den Immobiliensektor hinaus auch den Finanzsektor und die Lokalregierungen strukturell entlasten und Risiken limitieren sollen. Insgesamt dürfte das Chinas Wirtschaft zu einem Wachstum zwischen 4 und 5% verhelfen. Auf eine großflächige Stimulierung soll nach aktuellem Stand wohl verzichtet werden. Diese Entscheidung führte zuletzt zu einem sinkenden Vertrauen innerhalb der internationalen Investorengemeinschaft.

Vertrauen zurückgewinnen

Und dabei rennt die Zeit: Längst hat sich unter der Bevölkerung im Zuge der Immobilienkrise ein Vertrauensverlust breitgemacht. Dieser äußert sich in einem allgemeinen Konsumstreik, welcher sich wiederum negativ auf die wirtschaftliche Erholung nach dem Ende der Zero-Covid-Politik auswirkte. Denn statt sich Immobilien zu leisten, deren Preisentwicklung längst nicht mehr so zuverlässig vorherzusagen ist, legen chinesische Privatpersonen ihr Geld inzwischen lieber für schlechte Zeiten zurück. Die stark gestiegenen Ersparnisse zu mobilisieren und sowohl das Verbrauchervertrauen als auch das der Investorinnen und Investoren wiederherzustellen, dürfte eine der wichtigsten Aufgaben der chinesischen Regierung in den kommenden Monaten sein.

Hin zu solidem Wachstumsmodell

Sollte das beschriebene Szenario nicht eintreten und die Regierung in Peking sich stärker zurückhalten, könnte die Immobilienkrise in Verbindung mit einer globalen Rezession und einer weiteren Konsumzurückhaltung der Chinesen die Konjunktur deutlicher unter Druck bringen.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Chinas bröckelnder Immobiliensektor das Wirtschaftswachstum derzeit akut ausbremst. Das gilt allerdings nicht nur für die Volksrepublik selbst, die Auswirkungen sind auch global spürbar. Langfristig könnte der Regimewechsel hin zu einem gemäßigteren, aber dafür solideren Wachstumsmodell den Markt für Anlegerinnen und Anleger sogar attraktiver machen. Doch zunächst liegt es an der chinesischen Regierung, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, damit sich die Krise im Schlüsselsektor nicht auch auf andere Sektoren ausweitet und systemische Risiken entstehen.

Carsten Roemheld

Kapitalmarktstratege bei Fidelity International